Thüringische Landeszeitung (Gera)
Gefahren des Rededuells
Harald Bergsdorf befasst sich in seinem Gastbeitrag mit Konfrontationen
Die freiheitliche Demokratie gründet auf Parteienpluralismus und Meinungsvielfalt. Daraus folgt kein Zwang für demokratische Politiker und Journalisten, mit Extremisten und Populisten im Fernsehen zu diskutieren. Hier einige Beispiele, wie es mehr oder weniger gut gelang.
Peter Glotz (1939 – 2005), SPDPolitiker, Kommunikationswissenschaftler, einstiger Präsident der Uni Erfurt, wollte rechtsextremistische Demagogen in offenen, direkten Auseinandersetzungen (stärker) demaskieren. Der Verfasser eines lesenswerten Buches über Rechtsextremismus diskutierte daher nach der Landtagswahl 2004 in Sachsen im Fernsehen mit einem NPD-Politiker. Dessen faktenferne Behauptung, deutsche Politiker ignorierten das Leid deutscher Opfer im Zweiten Weltkrieg, widerlegte Glotz, indem er auf das Engagement deutscher Politiker gegen Vertreibungen ebenso hinwies wie auf Besuche deutscher Politiker auch auf deutschen Soldatenfriedhöfen.
Im Landtag von Sachsen in Dresden errang die NPD seinerzeit mit wohlkalkulierten Entgleisungen erhebliche Aufmerksamkeit, unter anderem durch das Stichwort „Bomben-Holocaust“.
Als Glotz dem NPD-Politiker vorhielt, seine Partei mutiere zunehmend zum Sammelbecken für Gewalttäter, entgegnete dieser, die NPD betreibe „Resozialisierung“. Im Widerspruch dazu gibt es nach wie vor einen Unterschied, ob tatsächlich beziehungsweise angeblich geläuterte Extremisten (oder Funktionäre eines totalitären Regimes) zu einer demokratischen Partei wechseln oder zu einer extremistischen Kraft. Auch wenn die Sendung für den NPD-Politiker zu keinem Desaster geriet, kürte eine auflagenstarke Zeitung Glotz nach der Sendung zum „Gewinner des Tages“, der die Parolen des NPDPolitikers „zerfetzt“habe: „Klarer Punktsieg für die Demokratie“, lautete die Bilanz des Boulevard-Blattes.
Die Gefahr ist groß, das Gegenüber zu unterschätzen
Anders als Glotz überschätzten sich andere Politiker und Journalisten, die mit rechtsextremistischen Politikern öffentlich debattierten – und unterschätzten ihre Gesprächspartner: So diskutierte Thomas Gottschalk 1992 im Fernsehen mit Franz Schönhuber. Der Entertainer bot dem Politiker die gute Gelegenheit, sich einem Millionenpublikum zu präsentieren. Vor laufenden Kameras und Mikrofonen erklärte der damalige Chef der „Republikaner“(REP), er verabscheue Gewalt und Nationalismus. Die REP bekämpften sogar Fremdenfeindlichkeit.
Angeblich gebe es auch keine „Antisemiten“bei den REP, doch rückten die Medien seine Partei gerne in ein falsches Licht. Gottschalk zeigte sich weitgehend überfordert. In der Sache konnte er Schönhuber, einst lange Jahre selbst Fernsehmoderator, kaum etwas entgegenhalten. Vor allem versagte Gottschalk davor, frühere Äußerungen Schönhubers zu thematisieren, zu entschlüsseln und zu kontextualisieren. Im Interview mit Gottschalk betonte der langjährige REP-Chef trickreich, er verabscheue die millionenfache Ermordung von Juden im Dritten Reich lediglich deshalb, weil Hitler damit Deutschland in eine „Katastrophe“geführt habe und „Antisemitismus“heute zum „Untergang“Deutschlands führen werde.
Gottschalk wollte in direkter Konfrontation mit Schönhuber ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus setzen. Sein hehres Ziel verfehlte er nach der Auffassung zahlreicher Kommentatoren freilich klar: Er zeigte sich inhaltlich schlecht vorbereitet und bot kaum mehr als „Betroffenheit“, „charmante Ahnungslosigkeit“und „hilflose Appelle an die Menschlichkeit“. Gottschalk misslang es, Schönhubers Versuche, sich selbst zu verharmlosen, zu konterkarieren. Weil Gottschalk an der Aufgabe gescheitert war, den angeblichen „Biedermann“Schönhuber als „geistigen Brandstifter“zu entlarven, nannte ein demokratischer Politiker den Talkmaster sogar „Bildschirmtäter“. Gottschalk hatte offen eingestanden: „Wir wollen doch hier nicht politisch diskutieren. Das kann ich nicht.“Schönhuber bedankte sich schließlich für den „Glücksfall dieser Sendung“. Gerade Gottschalks leichtfertige Diskussion mit dem Medienprofi Schönhuber wirkte in der Folgezeit offenbar abschreckend auf viele Journalisten.
Wie Journalisten in Fernsehdiskussionen mit Populisten und Extremisten scheitern, verdeutlichte auch der TV-Auftritt von Jörg Haider (1950 – 2008) beim früheren Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme (1930 – 2009) vor vielen Jahren:
Ein Diskutant beim erfahrenen Böhme wollte von Haider wissen, wie er zu einem Parteifreund stehe, der geäußert haben solle, Kinder müsste es verboten sein, den Film „Schindlers Liste“zu sehen. Es solle sich dabei um den Politiker Walter Rauter gehandelt haben. Haider entgegnete, es existiere kein Walter Rauter in seiner Partei und habe auch nie eine Person mit diesem Namen in ihr gegeben. Damit war dieses Thema in der Sendung des überforderten Böhme erledigt.
Wichtig ist, auf Halbwahrheiten und Tricks gut vorbereitet zu sein
Es schien, als habe Haider spektakulär gepunktet. Offenbar hatte Haider seine Widersacher blamiert beziehungsweise diese sich selbst. Tatsächlich stammte die inkriminierte Äußerung von einem Mann, der nicht Walter, sondern Wolfgang Rauter heißt, dem langjährigen Klubobmann, also Fraktionsvorsitzenden, der Partei Haiders im Burgenland. Deshalb muss auf solche Halbwahrheiten und Tricks vorbereitet sein, wer in Debatten mit Extremisten und Populisten bestehen oder gar punkten will.
Als Haider erklärte, er bedauere es, wenn sein Lob für Hitlers Beschäftigungspolitik jemanden beleidigt habe, gab sich Böhme damit zufrieden, obwohl sich Haider damit ja inhaltlich in keiner Weise von seiner Huldigung für NS-Arbeitsmarktmaßnahmen distanziert hatte. Haider selbst lobte nach der Sendung großzügig die „sympathische Diskussionsleitung“durch Böhme. Dieser hatte kritischen Journalismus nur simuliert.
Wolfgang Donsbach (1949 – 2015), langjähriger Kommunikationswissenschaftler in Dresden, ergänzte: „Journalisten müssen prüfen, ob die Ziele dieser Partei mit dem demokratischen System und den ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft vereinbar sind… Journalisten sind keine Richter… Die Ursachenforschung, warum Menschen rechtsradikal sind, sollte in den Medien stattfinden. Wer sollte es sonst tun? Nach dem Elternhaus und der Schule bleiben die Medien als einzige Sozialisationsinstanz übrig.“Freilich zeigt sich eben immer wieder, wie schwierig es mitunter ist, im Fernsehen in Debatten die Parolen von Populisten und Extremisten zu widerlegen. Das gilt vor allem dann, wenn Journalisten und demokratische Politiker inhaltlich unzureichend vorbereitet sind.