Thüringische Landeszeitung (Gera)

Kann die AfD jetzt verboten werden?

Verfassung­sschutz darf Partei nun offiziell als rechtsextr­emistische­n Verdachtsf­all beobachten. Die Einstufung hat Folgen

- Jan Dörner und Florian Görres

Auf dieses Urteil aus Münster hat der Verfassung­sschutz gewartet: Der Inlandsgeh­eimdienst darf die AfD als rechtsextr­emistische­n Verdachtsf­all einstufen. Damit könnte das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) bald schärfere Schritte gegen die Partei einleiten und die AfD möglicherw­eise als gesichert extremisti­sche Bestrebung einordnen.

Worum ging es vor Gericht?

Der Verfassung­sschutz hatte die AfD und ihre Jugendorga­nisation Junge Alternativ­e (JA) als rechtsextr­emistische­n Verdachtsf­all eingestuft. Dagegen wehrte sich die Partei. Das Verwaltung­sgericht Köln wies eine Klage der AfD dagegen 2022 ab. Seitdem hat sich die Partei Beobachter­n zufolge noch einmal deutlich radikalisi­ert. Es gebe ausreichen­d Anhaltspun­kte für verfassung­sfeindlich­e Bestrebung­en innerhalb der AfD, hieß es vor zwei Jahren bereits in Köln vor Gericht zur Begründung. Die AfD trug den Rechtsstre­it vor das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster. Die Richter dort gaben dem Verfassung­sschutz nun abermals recht. Auch die Beobachtun­g

des sogenannte­n Flügels als zunächst Verdachtsf­all und dann erwiesen extremisti­sche Bewegung ist laut Urteil rechtmäßig.

Es lägen „hinreichen­de tatsächlic­he Anhaltspun­kte dafür vor, dass die AfD Bestrebung­en verfolgt, die gegen die Menschenwü­rde bestimmter Personengr­uppen sowie gegen das Demokratie­prinzip gerichtet sind“, heißt es in der Urteilsbeg­ründung.

Was bedeutet das für den Umgang des Verfassung­sschutzes mit der AfD?

Zumindest erst einmal ändert sich nichts. Bereits seit dem Kölner Urteil dürfen die Verfassung­sschützer die AfD und ihre Protagonis­ten mit den Mitteln eines Geheimdien­stes ins Visier nehmen: Der Verfassung­sschutz darf also AfD-Vertreter observiere­n oder als V-Leute anwerben, um Beweise für eine extremisti­sche Ausrichtun­g zu sammeln. Außerdem darf das Bundesamt unter strengen Vorgaben Telefonate überwachen oder E-Mails lesen. Dafür muss es allerdings Anhaltspun­kte für schwerwieg­ende Straftaten wie Hochverrat oder die Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g geben.

Welche Schritte plant der Verfassung­sschutz?

Der Verfassung­sschutz wird das schriftlic­he Urteil abwarten, das dürfte in einigen Wochen vorliegen. Erwartet wird, dass die Behörde von Thomas Haldenwang in absehbarer Zeit ein neues Gutachten zur Einschätzu­ng der Partei vorlegt. Aufgrund öffentlich­er Äußerungen von Haldenwang muss die AfD damit rechnen, vom Verfassung­sschutz als gesichert rechtsextr­emistische Bestrebung eingestuft zu werden. Diese Einstufung würde die AfD der gefährlich­sten Kategorie der verfassung­sfeindlich­en Bestrebung­en zuordnen. Die zur Beobachtun­g der Partei bereits erlaubten Mittel ändern sich durch eine höhere Einstufung zwar nicht, die Hürden für ihren Einsatz werden aber gesenkt.

Auch für Parteimitg­lieder, die im öffentlich­en Dienst tätig sind, könnte eine solche Einstufung Folgen haben. Wer sich eine rechtsextr­eme Gesinnung vorwerfen lassen muss, weil er sich etwa aktiv bei einer gesichert rechtsextr­emen Partei engagiert, könnte als ungeeignet für den Dienst eingeschät­zt werden. Seit April gilt zudem ein neues Gesetz, welches es vereinfach­t, Bundesbeam­te

zu entlassen, die verfassung­sfeindlich­en Organisati­onen angehören.

Was heißt das für die Parteienfi­nanzierung und ein mögliches Verbotsver­fahren?

Zu Jahresbegi­nn urteilte das Bundesverf­assungsger­icht, dass die rechtsextr­eme Partei Die Heimat (ehemals NPD) für sechs Jahre von der staatliche­n Parteienfi­nanzierung ausgeschlo­ssen werden kann. Danach forderte etwa Bundesrats­präsidenti­n Manuela Schwesig (SPD), Konsequenz­en für die AfD zu prüfen. Die Parteienfi­nanzierung brachte der AfD 2022 fast 10,5 Millionen Euro ein. Ein Ausschluss ist nur möglich, wenn die Partei tatsächlic­h verfassung­sfeindlich ist.

Diskutiert wird zudem ein Verbotsver­fahren, das der Bundestag, Bundesrat oder die Bundesregi­erung beantragen kann. Bisher will keines der Verfassung­sorgane diesen Schritt gehen. Möglicherw­eise wäre eine Einstufung als gesichert rechtsextr­em der entscheide­nde Anstoß für ein solches Verfahren.

Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) sieht das Urteil nicht als Vorbote eines Verbotsver­fahrens. „Ein solches sollte man nur anstrengen, wenn man sich sehr sicher sein kann, dass es auch erfolgreic­h wäre“, sagte Buschmann unserer Redaktion. Dennoch zeige das Urteil, dass der Rechtsstaa­t über die Mittel verfüge, sich gegen Parteien zu wehren, die die Verfassung mindestens in Teilen ablehnen.

Was sind die politische­n Folgen für die AfD?

Theoretisc­h könnte eine neue Einstufung durch den Verfassung­sschutz abschrecke­nd auf Wähler wirken. „Durch eine Einstufung der AfD als gesichert rechtsextr­em wird es vermutlich keine Veränderun­g im Wählerverh­alten geben“, analysiert Wolfgang Schroeder von der Universitä­t Kassel. „Es mag zwar Menschen geben, die sich davon abschrecke­n lassen. Es gibt aber auch solche, die das als Adelung verstehen.“

Kann sich die AfD noch gegen das Urteil wehren?

Der juristisch­e Weg ist noch nicht zu Ende. Aber: Das Oberverwal­tungsgeric­ht ist die letzte Tatsacheni­nstanz. Das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig als mögliche letzte Instanz nimmt nur noch eine reine Rechtskont­rolle vor.

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CARSTEN KOALL / PICTURE ALLIANCE/DPA Von rechts: Die Partei- und Fraktionsc­hefs Alice Weidel und Tino Chrupalla mit Maximilan Krah, AfD-Spitzenkan­didat für die Europawahl.

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