Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Manchmal erinnerte mich vieles an die FDJ“
Der dienstälteste Landrat Deutschlands scheidet im 35. Dienstjahr aus. Er war oft dicht davor, seine Partei zu verlassen
Ist es schon angekommen, dass Sie bald im 35. Dienstjahr ausscheiden?
Ich bin gar nicht in der Lage, einen vernünftigen Satz dazu sagen. Ich weiß es im Faktischen, sehe das aber nicht emotional. Das Faktische prägte mein ganzes Berufsleben.
35 Jahre Landrat. Das böte Stoff für Memoiren. Haben Sie das vor?
Bisher ist mir so etwas nicht in den Sinn gekommen. Mir tun die armen Menschen leid, die solche Bücher auch noch lesen sollen. Das mal als Spaß. Sicherlich werde ich aber irgendwann mal ein paar Punkte auch niederschreiben, um mich zu fragen, welche Wenden ich in all den Jahren erlebt habe. Zumal ich alle meine Kalender seit 1990 noch habe und wenn ich durchblättere, dann fällt mir zu den meisten Terminen etwas ein.
Was bedeutet Wende in dem Zusammenhang für Sie?
Es ist nicht nur die Wende von draußen in den Rat des Kreises oder dann vom Rat des Kreises in die Bundesrepublik Deutschland. Sondern es gibt viele Wenden. Die Gebietsreform, die Kreisfusion. Aber dazu gehören auch Stimmungsfragen und Fragen danach, wie man eine Zeit abbildet. Die Zeit nach 1990 ist ja bisher nicht weiter systematisiert.
Welche Rolle spielte die CDU dabei, bei der man manchmal das Gefühl hat, Sie würden mit ihr fremdeln?
Zu DDR-Zeiten war sie für mich ein Schutzraum in Richtung Dominanz des politisch-ideologischen Staates. Für mich ist sie aber auch immer ein Raum von Gleichgesinnten gewesen, ein Heimatverein. Dieser Begriff wurde zunehmend in der CDU der Nachwendezeit abgelehnt. 1993 konnte ich noch ungeschützt auf einem Parteitag sagen, die CDU sei eben ein christlicher Gesellschaftsverein. Das passte. Christlich, nicht frömmlich oder mystisch. Christlich, aber im Sinne des Bemühens um andere.
Und heute ist das anders?
Der Heimatverein ist die CDU auch heute noch. Ich kam aber oftmals in schwieriges Fahrwasser mit dieser CDU bis hin zu der Androhung, dass ich austreten werde. Mir wurde über den damaligen CDU-Verein „Werteunion“, den ich vor einigen Jahren noch gar nicht erfasst hatte, mal der Austritt aus der Partei nahegelegt. Da habe ich schon geschaut, wie sich die Partei dazu positionieren wird.
Waren Sie zufrieden?
Na ja, das ging dann so. Zeitweise fühlte ich mich sehr von der CDU bedrängt, und je mehr ich mich bedrängt sah, umso mehr fremdelte ich natürlich auch mit ihr.
Weil sie unter Angela Merkel immer weiter nach links rutschte?
Ja, das würde ich sagen. Da ist mir die CDU zu ideologisch gewesen. Manchmal erinnerte mich vieles an die FDJ. Vor allem hat mich bedrückt, dass die CDU auf mich Besitzansprüche ausgeübt hat. Ich bin aber nicht die CDU. Ich bin Werner Henning und ein Mitglied der CDU.
Was war Ihre größte Bedrängungserfahrung mit der CDU?
Dass sie mich im Kreistag, als es um die Frage des Krankenhaus-Neubaus ging, überstimmt hat. Das war ein harter Schlag.
Weil Sie keine Fehler machen?
Nein, nicht weil ich mich dadurch verletzt gesehen hätte. Auf mein inhaltliches Vorbringen habe ich bis heute keine Antwort erhalten.
Warum kam es da nicht zum Bruch?
Es war der Bruch. Aber ich habe ihn dergestalt überwunden, und darüber bin ich froh, dass ich mir meinen Gesellschaftsverein, meine CDU in meinem Dorf, erhalten habe. Wenn ich damit gebrochen hätte, dann hätte ich meine Leute, zu denen ich dazu gehöre, verraten. Das habe ich nicht gewollt.
Wie dicht waren Sie vor dem Austritt?
Beim Krankenhaus-Thema ganz dicht. Vorher immer mal wieder.
Die CDU hat Sie stets getragen.
Dessen bin ich mir sehr bewusst. Deshalb wäre es auch zu kurz, diese Situation nur als einen Moment der Undankbarkeit darzustellen. Ich bin als Werner Henning ohne Gegenkandidaten in den Job gegangen, weil niemand diesen Job hat haben wollen. So war es 1989. Ich hatte dann ein großes Glück, dass ich mit meiner Denke, die mich in dieses Amt gebracht hat, weiterhin überleben konnte. Andere, die mit mir begonnen haben, sind aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr dabei. Sonst wäre ich nicht der Längstgediente. Das heißt doch für mich im Umkehrschluss, dass ich mit meiner Denke, aber auch mit meiner Gesundheit und auch mit meinem Menschenbild überlebt
habe. Dafür empfinde ich eine tiefe Dankbarkeit. Das macht mich frei nach außen, um zu sagen, der liebe Gott hat es mit mir gut gemeint und mich bisher gut begleitet, dass ich hoffentlich an dem letzten Tag hier in großer Gelassenheit dieses Amt verlassen kann. Es ist doch eine Art grundsätzliches Gottvertrauen, was ich aber vor zehn Jahren noch nicht so benannt hätte.
Warum?
Da hätte ich noch mehr Ladehemmung gehabt, den Begriff Gott im Sinne von so einem Vertrauen, dass alles gut gehen wird, in die Schicksalhaftigkeit des Lebens so mitzuformulieren.
Wo steht denn das Eichsfeld im Thüringer Kontext?
Das Eichsfeld ist mit keinem anderen Kreis in Thüringen vergleichbar. Das hat etwas zu tun mit dem Gesellschaftsmodell, welches das einer Großgemeinde mit ihren Instrumentarien ist.
Warum wollten Sie eigentlich nicht Innenminister werden, als Christine Lieberknecht Sie gefragt hat?
Ich habe das als Kompliment empfunden, aber es wäre ein vollkommen anderes Leben gewesen. Ich wäre dann zum Angestellten von einem politischen System geworden, von einem politischen Verständnis von Gesellschaft und von
Funktionieren von Wirtschaft, das nach meiner festen Überzeugung nicht funktioniert. Ich hätte meine Gestaltungsräume aufgegeben. Innenminister wäre für mich eine kolossale Einschränkung geworden. Das wollte ich nicht sein.
Es war die richtige Entscheidung? Ja.
Warum wären die geplanten Gebietsreformen für das Eichsfeld gefährlich gewesen?
Mit meiner Denke hätte ich auch einen Landkreis Nordthüringen ähnlich gestalten können. Man hat mir oft unterstellt, dass ich so sehr ein Eichsfeld-Patriot im Sinne der Geografie sei. Ich bin rundum Eichsfelder. Ich habe immer versucht, das Kleine zu beschützen, um es nicht im Großen zu gefährden. Aber ich denke nicht, dass das alles einmalig ist. Diese Art, wie ich versucht habe, Eichsfeld zu gestalten, ginge andernorts auch. Aber die Herausforderungen wären komplexer gewesen in einer größeren Struktur, wo die Welt meist in Rot, Grün, Schwarz aufgeteilt ist. Diese Aufteilung hat mich nie interessiert. Ich bin eben in eine schwarz deklarierende Welt hineingestellt. Das habe ich mir nicht ausgesucht.
Kommen Sie noch einmal zurück politische Bühne?
Auf der politischen Bühne bin ich in meinem Sinne nie gewesen. In meinem Sinne ist das, was ich gemacht habe, im Nachgang in einen politischen Kontext gestellt worden.
Das ist kein definitives „Nein“.
Ich trachte nicht nach einem Amt, das kann ich ganz gelassen sagen. Obwohl ich weiß, dass Leben offen ist. Ich habe auch jetzt etwas zu tun. Ich habe Familie, vier Enkel und da bin ich dann der Chauffeur und bringe sie zum Musikunterricht.
Die Zukunft wird die Zeit zeigen.
Wir sind in einem gewaltigen Umbruch, davon bin ich überzeugt. Und was die Zeit noch so bringt, das wissen wir nicht. Ich wusste immer, dass ich meine Denke, die von Lessing kommt, nur ins Werk setzen kann, wenn ich damit auch meine Brötchen verdiene. Oder um es mit Bertolt Brecht zu sagen: ‚Erst kommt das Fressen und dann die Moral‘. Das war mir immer klar.