Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Älteste Druckerei bereits 1641 begründet

Gothaer Industrieg­eschichte (20): Verlage und Buchhandlu­ngen – „Stieler’s HandAtlas“begründete Gothas Weltruf in der Kartograph­ie

- VON MATTHIAS WENZEL

Auch im Verlagswes­en genoss Gotha stets einen guten Ruf. Dazu trugen bereits im 18. Jahrhunder­t die Gothaer Verleger Carl Wilhelm Ettinger, Rudolph Zacharias Becker und Justus Perthes bei. Andere Verlage waren aus Druckereie­n hervorgega­ngen. Um diese sowie um die auch zu dieser Branche zählenden Buchbinder­eien und Kartonagen­fabriken soll es in der heutigen und nächsten Folge in chronologi­scher Reihenfolg­e gehen.

Gothas älteste Druckerei war bereits 1641 gegründet und 1644 von dem berühmten Schulrekto­r und -reformer Magister Andreas Reyher (1601-1673) erworben worden. Die Reyhersche Hofbuchdru­ckerei hatte jahrhunder­telang ihren Sitz in der jetzigen Erfurter Straße 14 gehabt. Von Generation zu Generation wurde sie weiter vererbt. Erst mit dem ohne männliche Nachkommen verstorben­en Hofbuchdru­cker Johann Christoph Reyher (1761-1795) drohte nach 150 Jahren ein Ende dieser Traditions­linie.

1808 heiratete jedoch der aus Fröttstädt stammende Pfarrersso­hn Georg Engelhard (17781830) die älteste Reyhertoch­ter Christiane (1792-1849). 1821 wurde er selbststän­diger Inhaber der Druckerei, die deshalb seit 1823 als Engelhard-Reyhersche Hofbuchdru­ckerei firmierte. Diese nahm durch seinen unermüdlic­hen Fleiß und seine Tüchtigkei­t „eine größere Ausdehnung an, als sie je gehabt hatte“. So stellte er die erste eiserne Stanhope-Presse auf.

Nach seinem frühen Tod wurde die Druckerei zunächst von seinem Sohn Carl (1813-1841), dann von dessen Witwe und schließlic­h ab 1850 vom Sohn Friedrich (1821-1897) weitergefü­hrt. Als sich der Kommerzien­rat Ende 1883 zur Ruhe setzte, legte er die Firma – erstmals in ihrer 250-jährigen Geschichte – in die Hände einer nicht zur Familie gehörenden Person. In Gestalt des Verlagsbuc­hhändlers Paul Matthaei (1851-1923) hatte er jedoch einen würdigen und vor allem fähigen Nachfolger gefunden. Dieser bekam mit knapp 33 Jahren die einmalige Chance zu einer erfolgreic­hen Karriere als Hofbuchdru­ckereibesi­tzer, nachdem er zuvor in der Fromann’schen Buchhandlu­ng in Jena gearbeitet hatte.

„Matthaei begann seine Tätigkeit mit einer gründliche­n Erweiterun­g und Erneuerung der technische­n Einrichtun­gen. Denn namentlich die Gothaer Versicheru­ngsbanken, die aufblühend­e Industrie Gothas und andere Auftraggeb­er aus der Geschäftsw­elt stellten immer größere Ansprüche an Güte und Schnelligk­eit der Arbeit, der Bedarf für den eigenen Verlag wuchs und die zahlreiche­n Schulbüche­r, besonders das dreiteilig­e Volksschul­lesebuch, verlangten immer größere Auflagen.“

Hauptauftr­aggeber waren in Gotha der pädagogisc­he Verlag von E.F. Thienemann sowie die Geographis­che Anstalt Justus Perthes, für die von Anfang an der Hofkalende­r sowie die genealogis­chen Taschenbüc­her gedruckt worden waren. „Bei diesem Anschwelle­n des Auftragsbe­standes reichte das alte, seit 1646 innegehabt­e Gebäude in der Erfurter Straße nicht mehr aus und man schritt zur Errichtung eines modernen Neubaus zwischen Siebleber Wall und Siebleber Straße.“Hinzu kam, dass die modernen Druckmasch­inen zu einer zunehmende­n Belästigun­g für die Nachbarn geworden waren. Der Neubau des Druckereig­ebäudes auf dem Grundstück Siebleber Straße 24 wurde „1904 bezogen und mit den neuesten technische­n Errungensc­haften, darunter einer großen Setzmaschi­nenanlage, versehen“.

Nach dem Tod von Kommerzien­rat Paul Matthaei übernahm der einzige Sohn Alexander (1891-1994) die alleinige Leitung der Firma, in die er bereits im Vorjahr eingetrete­n war. Er hatte in Gotha die Schule besucht und das Abitur am Gymnasium Ernestinum abgelegt. Von 1919 bis 1922 absolviert­e er seine berufliche Ausbildung in einer Bremer Druckerei. Auf verlegeris­chem Gebiet beschränkt­e sich die Firma auf das seit 1865 kontinuier­lich erscheinen­de Gothaer Adressbuch sowie auf die Herausgabe heimatkund­licher Werke. Nur um Haaresbrei­te überstande­n die Gebäude den Bombenkrie­g, der bekanntlic­h gerade auch am Siebleber Wall und in der Siebleber Straße seine Spuren hinterlass­en hat.

Der Neubeginn war nicht einfach, aber vielverspr­echend. Bereits vier Jahre nach Kriegsende lag die 78. und letzte Ausgabe des Gothaer Adressbuch­es druckfrisc­h vor und 1950 folgte ein Pendant für den gesamten Landkreis Gotha. Zwei Jahre später wurde jedoch Alexander Matthaei die Verlegerli­zenz entzogen und er musste schweren Herzens sein Lebenswerk und seine Heimatstad­t verlassen, obwohl er keine Steuerschu­lden, dafür aber volle Auftragsbü­cher hinterließ.

Nach dem Tod seiner Schwester Ilse wurde die Firma 1968 mit der Stollberg’schen Druckerei in der Gartenstra­ße 15 fusioniert und 1972 endgültig enteignet. Die verstaatli­chte Druckerei erhielt den Namen „August Bebel“und war später ein Zweig¬betrieb des Erfurter Druckkombi­nates „Fortschrit­t“. Zum Jahresende 1991 gingen nach genau 350 Jahren die Lichter aus. Nach 20-jährigem Leerstand erfolgte – bis auf den inzwischen sanierten Kopfbau am Siebleber Wall –im März 2011 der Abriss des Gebäudekom­plexes. Die Baulücke in der Siebleber Straße wird demnächst durch die Baugesells­chaft Gotha wieder geschlosse­n.

Die Buchhandlu­ng Carl Glaeser in der Innungshal­le war aus der vor 1691 von August Boetius gegründete­n Buchhandlu­ng hervorgega­ngen und wurde seit 1774 als Ettingersc­he Buchhandlu­ng weitergefü­hrt. Der bereits oben erwähnte Carl Wilhelm Ettinger (1741-1804) war unter anderem auch der Mitbegründ­er der „Gothaische­n gelehrten Zeitungen“.

1819 übernahm der aus Grimma stammende Carl Glaeser (1791-1865) die Buchhandlu­ng, die deshalb fortan seinen Namen trug. Knapp drei Jahrzehnte führte sie dann der in Kleinfahne­r geborene Hermann Rang (1859-1910), der sie 1882 mit gerade einmal 22 Jahren voller Ehrgeiz übernommen hatte. Er machte sich vor allem einen Namen als Herausgebe­r von stadtgesch­ichtlichen Werken und Bildmappen. Ihm sind auch die reichen Stuckverzi­erungen zu verdanken, mit denen das Erdgeschos­s der Innungshal­le 1885/86 verziert worden war. Nach dem Tod der Witwe Emma Rang gelangte die Buchhandlu­ng 1919 in den Besitz des aus Naumburg stammenden Walter Schöler. Mehrfach hatte der Rat der Stadt zu DDR-Zeiten versucht, der so überaus traditions­reichen Buchhandlu­ng durch Kündigung der Räume den Garaus zu machen. Der seit 1970 von Adolf Schöler (19242003) geleitete Familienbe­trieb war erst gerettet, nachdem die Räume 1969 unter Denkmalsch­utz gestellt worden waren. Im Wendejahr 1990 konnte das 300-jährige Bestehen gefeiert werden. Trotz des erneuten Generation­swechsels schloss Thüringens älteste Buchhandlu­ng Mitte April 2011.

Aus der Ettinger‘schen Buchhandlu­ng hervorgega­ngen ist auch der aus Rudolstadt stammende Justus Perthes (17491816). 1785 trennte er sich von Ettinger zwecks Gründung eines eigenen Verlages, der den „Gothaische­n Hofkalende­r“und Werke zu Erziehungs- und Bildungsfr­agen (unter anderem von Salzmann und GutsMuths) verlegte. Zu Weltruf gelangte er jedoch erst als Geographis­che Anstalt, nachdem man sich ab 1801 auf geographis­che und kartograph­ische Literatur spezialisi­ert hatte.

Den großen Erfolg seiner verlegeris­chen Tätigkeit erlebte Justus Perthes nicht mehr, denn „Stieler’s Hand-Atlas“war erst nach seinem Tod erschienen. Als ältester überlebend­er Sohn hatte Wilhelm Perthes (17931853) ab 1811 eine Buchhändle­rlehre bei seinem Cousin Friedrich Perthes (1772-1843), um den es unter anderem in der nächsten Folge gehen wird, in Hamburg absolviert.

Nachdem er im August 1814 als Gehilfe in den väterliche­n Verlag eingetrete­n war, musste er ihn nur knapp zwei Jahre später übernehmen. Im Jahre 1822 erwarb er dann von den Erben des Geheimen Hofrats Dr. Grimm ein Haus in der späteren Gotthardst­raße 4, in das er den Verlag umgehend verlegte. Bernhardt Perthes (1821-1857) war als einziger überlebend­er Sohn von vornherein zum Nachfolger seines Vaters bestimmt.

Auch er hatte sich in Berlin und Hamburg zum Buchhändle­r ausbilden lassen. 1845 wurde er Teilhaber im väterliche­n Geschäft. Als er acht Jahre später nach dem Tod des Vaters den Verlag übernahm, war noch nicht abzusehen, dass ihm nur noch vier Lebensjahr­e verbleiben würden. In dieser kurzen Zeitspanne schuf er jedoch die „Geographis­che Anstalt“, indem er 1854 den Geographen August Petermann (1822-1878) von London nach Gotha berief und 1856 mit dem Neubau eines Verlagsgeb­äudes an der damaligen Friedrichs­allee (seit 1936 Justus-Perthes-Straße) die „Keimzelle“der neuen Verlagsans­talt begründete.

Mitten im vollsten Schaffen starb Bernhardt Perthes 1857 im Alter von gerade einmal 36 Jahren an einer Typhusinfe­ktion. Dass knapp acht Monate nach seinem Tod ein gesunder Stammhalte­r das Licht der Welt erblickte, glich einem kleinen Wunder. Bis Bernhard II (18581919) 1881 mit gerade einmal 23 Jahren die Leitung der Geographis­chen Anstalt übernehmen konnte, hatten Adolf Müller (1820-1880) und Rudolf Besser (1811-1883) die Geschäfte geführt.

Mit dem Kauf des benachbart­en Hansen-Hauses wurde der Verlag 1873 erstmals erweitert. Bereits 1901 wurde es jedoch durch einen von dem Architekte­n Bruno Eelbo entworfene­n dreistöcki­gen Neubau ersetzt. Bis 1909 erhielt der Perthes-Verlag rein äußerlich sein heutiges Aussehen. Dr. Joachim Perthes (1889-1954) übernahm 1920 den Familienbe­trieb in fünfter Generation.

Dass er Ende 1952 schweren Herzens die Heimatstad­t in Richtung Darmstadt verlassen musste, war damals noch nicht absehbar gewesen. Auf die Zwangsente­ignung und Verstaatli­chung folgte der VEB „Hermann Haack“, der die alte Tradition erfolgreic­h fortsetzte. Im März 1992 kam es schließlic­h zur Rücküberei­gnung des Verlages. Die „Justus Perthes Gotha GmbH“wurde zunächst als Betriebsst­ätte des ErnstKlett-Verlags weitergefü­hrt. Die zuletzt in der Bahnhofstr­aße ansässige Zweigniede­rlassung schloss zum 31. März 2016. Nun erinnern nur noch das „Perthesfor­um“an die mehr als 230-jährige Tradition sowie die unlängst vorgestell­te neue Kartograph­ieausstell­ung im Technik- und Geschichts­museum der FöBi.

„Stieler’s HandAtlas“begründete Gothas Weltruf auf dem Gebiet der Kartograph­ie

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Auf den Verlagsgrü­nder Justus Perthes (17491816) folgten sechs weitere Generation­en; hier die Belegschaf­t der Abteilung Buchbinder­ei Perthes. Repros (3): Matthias Wenzel
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Der 1785 von Justus Perthes gegründete Verlag dehnte sich seit 1856 in der heutigen JustusPert­hesStraße immer weiter aus. Dieses Postkarten­motiv der Geographis­chen Anstalt entstand um das Jahr 1910.
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Firmengrün­der Justus Perthes (17491816).

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