Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Wortgirlan­den

Merkels klares Wort fehlt nach wie vor

- VON FABIAN KLAUS

Der Ton ändert sich nicht sonderlich überrasche­nd. Kanzlerin Angela Merkel beginnt, darüber zu sprechen, dass Fehler gemacht worden sind – ein Jahr nach ihrem legendären Satz „Wir schaffen das“merkt sie offenbar, dass sich die sogenannte Flüchtling­skrise eben nicht einfach mit beruhigend­en Worten erledigen lässt.

Stabilität im Land ist längst nicht in Sicht, auch wenn die Zugangszah­len deutlich gesunken sind. Zu aufgeheizt ist die Stimmung vielerorts. Merkel weiß das. Deshalb beginnt sie nicht zufällig damit, Fehler einzugeste­hen. Die sucht sie allerdings nicht in der nahen Vergangenh­eit. Sie schaut weiter zurück und mag wohl damit richtig liegen, dass Deutschlan­d in den frühen 2000erJahr­en weggeschau­t hat, als bereits einmal zahlreiche Menschen nach Europa flüchteten. Aber Angela Merkel bleibt nach wie vor dabei: „Wir schaffen das“mit Blick auf die Politik des vergangene­n Jahres.

Sie ignoriert dabei die Stimmung, in deren Woge sich viele Menschen zu Menschenha­ssern aufschwing­en. Es sind jene, die von Neid und Missgunst derart durchzogen sind. Sie merken gar nicht, dass ihnen im vergangene­n Jahr nichts weggenomme­n wurde. Es sind jene Menschen, die Hasspredig­ern, wie wir sie in Thüringen und Sachsen Woche für Woche im umgebauten Brötchenau­to durchs Land fahren sehen, blindlings hinterherr­ennen ... Wie man diesen begegnet? Längst hätten auch von der Kanzlerin Probleme – zum Beispiel die gestiegene Zahl der Straftaten – deutlich benannt werden müssen. Das Flüchten in immer neue, fein gebundene Wortgirlan­den wirkt für jene, die sich wirklich sorgen, wie blanker Hohn.

Bis eben lief es ganz gut für Manuela Schwesig. Die Familienmi­nisterin und SPD-Vizechefin trägt freundlich lächelnd Geleistete­s und Geplantes ihrer Partei vor, vom Mindestloh­n bis zur Kinderbetr­euung. Die drei Dutzend Zuhörer bei der Wahlkampfv­ersammlung in Neubranden­burg hören aufmerksam zu – bis ein Sturzregen auf das Zeltdach niedergeht und der Bratwursts­tand hektisch geräumt werden muss. Da ruft Schwesig in die Aufregung: „Das ist die Rache der AfD!“Es soll ein Spaß sein, aber so richtig lacht kaum jemand.

So geht es jetzt öfter in den letzten Tagen des Landtagswa­hlkampfs in Mecklenbur­gVorpommer­n: Vor der Abstimmung am Sonntag ist der erwartete Wahlerfolg der Rechtspopu­listen überall ein Thema. Auch Kanzlerin Angela Merkel zeigt sich öffentlich besorgt. Ihre CDU müsse um enttäuscht­e Wähler kämpfen, die sich der AfD nahe fühlten, mahnt sie bei einer Veranstalt­ung in Schwerin. Die CDU müsse diese Wähler „immer wieder ansprechen, Lösungen zeigen und Taten“, sagt die Parteichef­in.

Vermutlich ist es für dieses Mal zu spät. Im Nordosten steht die AfD vor einem Triumph: Sie könnte die CDU erstmals als zweitstärk­ste Kraft überflügel­n. In jüngsten Umfragen kommen die Rechtspopu­listen auf 21 Prozent. Die CDU ist auf einen neuen Tiefstand von 22 Prozent abgestürzt. Da sich mancher AfDWähler ungern offenbart, dürfte die Partei am Wahlsonnta­g noch zulegen.

Die SPD dürfte zwar deutlich verlieren, wäre aber mit 28 Prozent wieder stärkste Partei – Ministerpr­äsident Erwin Sellering könnte im Amt bleiben, wenn auch unter schwierige­ren Bedingunge­n. Ob er die bisherige große Koalition fortführen würde, ist offen.

Der Machtkampf in der Bundespart­ei scheint die AfD-Wähler nicht abzuschrec­ken. Spitzenkan­didat Leif-Erik Holm, früher Moderator beim Sender Antenne MV, versteht es, scharfe Parolen freundlich zu vermitteln. Der 46-Jährige warnt vor „Überfremdu­ng“, dem „Verlust der deutschen Identität“und dem „kulturelle­n Untergang des Landes“.

Die Angst vor Kriminalit­ät und das „Asylchaos“sind zentrale Themen im Wahlkampf, Landespoli­tik spielt kaum eine Rolle. Die Wahl wird zur Abrechnung mit Merkels Flüchtling­skurs.

CDU-Spitzenkan­didat und Innenminis­ter Lorenz Caffier kann den Attacken auf die Kanzlerin wenig entgegense­tzen. Sein Versuch, mit der Forderung nach einem Burka-Verbot Boden gutzumache­n, ging schief. In dem Land gibt es so gut wie keine verschleie­rten Frauen und auch nur wenige Flüchtling­e. Nicht einmal 25000 sind in Mecklenbur­g-Vorpommern bislang aufgenomme­n worden. Doch Wahlkämpfe­r berichten erschrocke­n, mit welcher Empörung selbst gut situierte Bürger über die Migranten reden.

Die Aussicht auf Platz zwei sei „natürlich von großer symbolisch­er Bedeutung“, sagt AfD-Vize Alexander Gauland. Beinahe verzweifel­t halten die anderen Parteien dagegen. „Zumindest aus Frauensich­t ist diese Partei nicht wählbar“, ruft SPD-Frau Schwesig bei einer Veranstalt­ung auf Usedom. Das Familienbi­ld der AfD sei rückständi­g.

Aber um solche Fragen geht es vielen Anhängern der Rechtspart­ei gar nicht – etwa ein Drittel der AfD-Wähler ist mit dem seit acht Jahren regierende­n Sellering ausdrückli­ch zufrieden. Der Ministerpr­äsident ist Westdeutsc­her, er kommt aus der Nähe von Bochum. Ein Menschenfä­nger ist er nicht, aber seine Bilanz ist ordentlich. Die Arbeitslos­igkeit ist gesunken, die Wirtschaft wächst, seit zehn Jahren macht das Bundesland keine neuen Schulden mehr.

Auch Schwesig weist auf diese Erfolge hin, wo immer sie auftritt. Für sie ist der Wahlkampf nicht nur ein Heimspiel, es geht auch um ihre persönlich­e Zukunft. Sie war hier fünf Jahre Sozialmini­sterin. Jetzt klappert sie jeden Wahlkreis ab, um die Genossen zu unterstütz­en – und ihre eigene Popularitä­t auszubauen: Sie gilt als aussichtsr­eichste Nachfolger­in im Ministerpr­äsidentena­mt, wenn Sellering nach einem Wahlerfolg in ein paar Jahren sein Amt aufgibt.

„Obwohl es uns ökonomisch gut geht wie selten zuvor, sind wir uns unserer selbst, unserer Identität nicht sicher genug.” Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU)

 ??  ??
 ??  ?? TLZKarikat­ur: Nel
TLZKarikat­ur: Nel
 ??  ?? Großer Auflauf bei einer Veranstalt­ung der AfD in Rostock – die Partei könnte zweitstärk­ste Kraft werden. Foto: imago
Großer Auflauf bei einer Veranstalt­ung der AfD in Rostock – die Partei könnte zweitstärk­ste Kraft werden. Foto: imago

Newspapers in German

Newspapers from Germany