Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Eingewanderte Tierarten bereiten Sorgen
Sie bedrohen in Thüringen einheimische Rassen
In Thüringen leben mindestens elf gebietsfremde Tierarten, die sich so stark vermehrt haben und zum Teil so aggressiv sind, dass sie heimische Arten ernsthaft bedrohen.
Es sind die drei Säugetierarten Waschbär, Mink und Marderhund; die Fischarten Graskarpfen und Regenbogenforelle; die vier Krebsarten Kamberkrebs, Signalkrebs, Roter amerikanischer Sumpfkrebs und Marmorkrebs; die drei Weichtierarten Spanische Wegschnecke, die Wandermuschel und Chinesische Teichmuschel.
Die Liste ist möglicherweise nicht einmal komplett. Die Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie (TLUG) erarbeitet aktuell eine Studie zu Naturschutzproblemen mit tierischen Invasoren. Bis zum Jahresende solle das Werk vorliegen, sagt Frank Fritzlar, Referatsleiter für Zoologischen Artenschutz.
Eventuell findet die Nutria, als Bisamratte bekannt, noch Eingang in die Liste. Deutschlandweit gilt das Tier, das einem Biber ähnelt, als Problemfall. In Thüringen jedoch sind Nutrias offenbar wieder auf dem Rückzug. Hauptgrund könnte ein anderes Problemtier sein: der Mink, ein Wassermarder, der vor knapp hundert Jahren für die Pelzzucht aus Amerika nach Deutschland eingeführt wurde.
„Das verstärkte Auftreten des Minks hat offenbar Auswirkungen auf die Nutria-Bestände in Thüringen“, sagt Manfred Görner, Leiter der Arbeitsgruppe Artenschutz. Minks plündern die Nester und fressen Jungtiere.
Das Mink-Problem ist typisch für invasive Tierarten und geht nach Ansicht von Zoologen auf die Befreiung von Zuchttieren 1966 aus einer Pelzfarm in Zirtow nahe der Müritz zurück.
Der Mais steht grün, die Saale kann man riechen, so nah. Der Waschbär in der Falle am Feldrain linst zweimal noch durchs Eisengitter und zieht sich dann ins Dunkel zurück. Holm Zeutschel legt sein Kleinkaliber an, der Lauf zielt schräg in die Kiste, „ein guter Tag“, sagt er. „Einer weniger. Kopfschuss.“
2016 wird ein prima Waschbär-Jahr für Zeutschel. „Bisher habe ich pro Jahr 20 bis 30 Waschbären erlegt“, sagt der Jäger aus Großheringen an der Saale. „In diesem Jahr habe ich schon 25 geschossen. Der Waschbär ist clever, aber er hat keine Angst vor Menschen. Deshalb ist es leichter, ihn zu fangen als alles andere.“10 100 Waschbären haben Thüringens Jäger in der vorigen Saison erlegt, etwa ein Zehntel aller Bären im Freistaat. Es werden trotzdem immer mehr, auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt, in Niedersachsen, Hessen und Bayern. Der Freistaat ist umzingelt.
An Saale und Unstrut beginnt in diesen Tagen die Weinlese, zugleich der Kampf der Winzer. „2014 hatten wir große Probleme“, sagt Andreas Clauß vom Thüringer Weingut Bad Sulza. Den Vorgeschmack erhielt er 2011. Für den Eiswein ließ er bis November drei Reihen stehen. Am Abend war noch alles gut, am Morgen „alles restlos weg“. „Waschbären räumen so sauber auf, da bleibt nicht eine Beere hängen.“Vor drei, vier Jahren ging es dann richtig zur Sache.
Am härtesten traf es wohl Wilfried Pfennig, Winzer aus Nebra mit Weinberg in Weischütz an der Unstrut. „Ich habe eine super Lage, auf Kalkstein“, sagt Pfennig. „2012 haben wir nur 323 Kilogramm geerntet. Mehr als sechs Tonnen hat sich der Waschbär geholt.“
Fünf Wochen, bis Ende Oktober, schlich das Tier mit der Maske jede Nacht in Pfennigs Weinberg. Erst war Müller-Thurgau dran, dann folgten Silvaner, Traminer, Portugieser. Was reif war, pflückte der Bär. So läuft das in Weischütz, in Bad Sulza, in Großheringen, fast überall an Saale und Unstrut. Fallen stehen in den Weinbergen, bestückt mit Gummibärchen oder mit Nutella-Brot. Da wird jeder Waschbär schwach.
Einige tappen in die Lebendfalle – und werden erschossen. Andere werden von Artgenossen befreit. „Die Tiere entwickeln enorme Kräfte, wenn sie gefangen sind“, weiß der Großheringer Winzer André Zahn. „Die haben schon Fallen zerlegt, nicht komplett, aber die Automatik, sodass sie wieder ins Freie kamen. Die draußen haben den drinnen befreit.“
Eines Morgens Anfang April begab Helmut Schwarz sich ins Freie. Er bewohnt den Baiershof in Stadtlengsfeld im Wartburgkreis, und dazu gehört ein Teich, in dem in jedem Frühjahr etwa 1000 Kröten laichen. Am 1. April sah Helmut Schwarz das erste Mal Kröten ohne Köpfe, ohne Schenkel, alle aus dem Teich gefingert.
„Die fressen nur das Beste“, sagt er. „Zum Teil haben die Kröten noch gelebt.“Am 2. April war es so, am 3. und 4. und auch am 5. April. Wasserratten, dachte Schwarz, aber dann gingen fünf Waschbären in die Falle.
„Der Normalbürger sagt immer, ihr könnt doch diesem niedlichen Tierchen nichts tun“, parodiert Bad Sulzas Bürgermeister Johannes Hertwig den Satz, den er schon singen kann. „Aber dieses niedliche Tierchen ist ein Mörder“, sagt Hertwig, selbst Jäger. „Ein großer Mörder, der unsere Flora und Fauna hier nutzt, um seinen Lebensraum immer weiter auszubreiten.“
Nicht nur unter Normalbürgern findet der Waschbär Freunde. Er sei der „Liebling von Tierfreunden“, gibt Harald von Fehr aus Gotha bekannt, Kooperationsleiter der Tierschutz-Union Deutschlands. Der Waschbär sei ein „liebenswertes Wesen, was niemandem etwas Böses tut und in der Natur in keinster Weise Schaden anrichtet“.
Auch die Tierrechtsorganisation Peta verteidigt das aus Nordamerika stammende Tier. „Dass Waschbären einen Schaden in der heimischen Tierwelt anrichten, ist nicht der Fall“, sagt Peter Höffken aus der PetaZentrale in Stuttgart. „Die Jäger heften dem Waschbären ein schlechtes Image an. Das machen Jäger gern bei Tieren, auf die sie gern schießen.“
Für den Naturschutzbund Nabu kann die „Bejagung von Waschbären höchstens im Einzelfall etwas bringen“. Denn mehr Todesfälle gleiche er durch mehr Geburten aus. Zudem gebe es in Deutschland bereits so viele Waschbären, dass leer gejagte Areale schnell neu besetzt würden. Sinnvoll könne allenfalls sein: Waschbären genau an den Stellen zu jagen, zu fangen oder zu verschrecken, wo sie andere Arten akut bedrohen.
Dass Waschbären auf Bejagung mit mehr Geburten reagierten, werde stets behauptet, sei aber keinesfalls wissenschaftlich bewiesen, hält Martin Görner aus Jena dagegen, Leiter der Arbeitsgruppe Artenschutz.
In diesem Jahr hat Görner deshalb ein Projekt gestartet, das die Populationsstruktur und Ernährung von Waschbären untersucht. Wenn in drei Jahren – nach etwa 100 untersuchten toten Tieren – Resultate vorliegen, habe man endlich Antworten auf die Fragen: Was fressen Waschbären wirklich? Wie kann man effektiv in ihre Bestandsentwicklung eingreifen? In welchem Monat kann man auf die Reproduktion am effektivsten Einfluss nehmen? Dann könne man gezielt und wissenschaftlich fundiert handeln, hofft Görner.
Mit üblicher Jagd ist dem Tier kaum beizukommen. „Die Bejagung ist nicht einfach, der Waschbär ist nachaktiv“, sagt Jäger Johannes Thiel aus Bad Sulza. Und in der Dunkelheit herrscht Jagdverbot.
Mit Hunden funktioniert es auch nicht. In Mecklenburg haben Waschbären Jagdhunde bereits umklammert und gemeinsam ersäuft. „An einen gesunden Waschbären kann man keinen Hund ranlassen“, sagt Thiel. „Das macht kein Jäger. In 80 Prozent der Fälle würde der Waschbär die Hunde schlagen.“
Von den letzten Rebhühnern in seinem Revier hat Thiel sich innerlich schon verabschiedet. „Die haben wir über den Sozialismus gerettet und sogar über die noch intensivere Landwirtschaft. Aber jetzt werden sie wohl verloren gehen.“Die Bodenbrüter haben keine Chance.
Und schnell ist der Waschbär. „Wie ein Hund“, sagt Jäger Zeutschel, das Gewehr übergeschultert. „Neulich sind drei Stück über die Wiese gekullert. Ich habe keinen gekriegt.“
Holm Zeutschel hat die Falle am Feldrain geleert. „Andere Tiere“, sagt er, „sondern ein Sekret ab, wenn sie Angst haben. Dann geht ewig kein Artgenossen mehr in die Falle. Aber wenn der Waschbär einmal drin war, geht immer wieder einer rein.“Der ist halt neugierig. „Das ist das einzig Gute an ihm.“
Jagdhunde umklammert und gemeinsam ersäuft