Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Maria, ihm schmeckt‘s – Nur Sardinen mag er nicht
Tagebuch „Überleben in der Krise“Teil 2: Maria Groß zaubert Leckereien aus Dosenaprikosen und Rote Bete aus dem Wegwerfglas – Das NotfallWohnmobil auf Reisen
Der Rückwärtsgang ist eingelegt, der Geschmack der kulinarischen Köstlichkeiten der Sterneköchin zaubert mir ein Dauerlächeln ins Gesicht.
Wohl überwältigt von der Erfahrung der „Erste-Klasse-Küche“lasse ich das Notfall-Wohnmobil recht unbedacht den steilen Abhang der Bachstelze, das Erfurter Traditionshaus, das Maria Groß heute ihre Kneipe nennt, herunterrollen. Mit einem lautstarken „Achtung“verhindert Kollege Martin das Abrutschen in Nachbars Garten. Es wäre der Notfall in der Katastrophenübung gewesen.
Acht Stunden zuvor: Immer noch hält sich das Tief Bodo über Niederzimmern, doch die Stürme lassen Atempausen zu, aber an Strom und Versorgung des Katastrophenschutzes ist noch lange nicht zu denken.
Die Düsen des Gasherdes bringen mit ihren blauen Flammen das wenig schmackhafte Wasser aus der Plastikflasche zum Kochen. Nur der beschwerliche Fluss durch die gemahlene Röstung aus Costa Rica macht es in der Kombination mit der haltbaren Milch von der bayerischen Alm zu einem jetzt schon ritualem Trinkgenuss.
Gegen halb elf taucht Martins Gestalt in den Schatten des Notfallmobils ein. Er hat sich von der Landeshauptstadt bis hinter die Grenze des Weimarer Landes durchgekämpft. Auf wundersame Weise erwischen wir ein sehr kurzes Zeitfenster, um unseren Weg zur Bachstelze nach Erfurt-Bischleben zu bestreiten. Dort wartet Maria, die ihre Kneipe zur Du-Zone erklärt hat. Sie erkochte sich im Kaisersaal einen Michelin-Stern.
Wir schleppen sämtlichen Vorrat in die Küche, und Maria schnappt sich die ersten Dosen. Sie verbannt die Auswahl der Lebensmittelliste des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft in die 1960erJahre: „Die Liste geht völlig an der Zeit vorbei. Getrocknete Lebensmittel schmecken viel besser als diese Jauche aus dem Glas.“Doch Maria hat den Ernst der Lage verstanden. Sie lässt die Flammen ihres Gasherds lodern und lässt ihrer Kreativität freien Lauf. Ich denke zurück an das Abendessen, das Carla und ich uns tags zuvor kreierten. Kartoffelpüree, Sauerkraut, Spiegelei und Bockwürstchen stellten sich als durchaus essbare Notvariante heraus, aber Marias leidenschaftliche Schwünge in der Küche spielen in einer anderen Liga.
Nachdem Martin das 300. Foto geknipst hat, steigt bei uns die Lust, endlich zu probieren, ins Unermessliche. Die Gerichte sind eine Augenweide, doch was muss ich da sehen: Sardinen mit Gräten und Haut. Dass dieser Moment so früh kommt, macht mich nervös, ich denke an mein Versprechen und es passiert das Undenkbare. Die Sardinen befinden sich in meinem Mund, in meinem Körper regt sich heftiger Protest, meine Haare stehen zu Berge, das Experiment scheint Lichtjahre entfernt, ich verzweifle und muss meine Niederlage eingestehen.
Ich und Sardinen, das ist wie der FC Rot-Weiß Erfurt und Carl Zeiss Jena. Was Maria für Gerichte gezaubert hat, erfahren Sie in der Halbzeitbilanz.
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