Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Maria, ihm schmeckt‘s – Nur Sardinen mag er nicht

Tagebuch „Überleben in der Krise“Teil 2: Maria Groß zaubert Leckereien aus Dosenaprik­osen und Rote Bete aus dem Wegwerfgla­s – Das NotfallWoh­nmobil auf Reisen

- VON STEFFEN HÖGEMANN

Der Rückwärtsg­ang ist eingelegt, der Geschmack der kulinarisc­hen Köstlichke­iten der Sterneköch­in zaubert mir ein Dauerläche­ln ins Gesicht.

Wohl überwältig­t von der Erfahrung der „Erste-Klasse-Küche“lasse ich das Notfall-Wohnmobil recht unbedacht den steilen Abhang der Bachstelze, das Erfurter Traditions­haus, das Maria Groß heute ihre Kneipe nennt, herunterro­llen. Mit einem lautstarke­n „Achtung“verhindert Kollege Martin das Abrutschen in Nachbars Garten. Es wäre der Notfall in der Katastroph­enübung gewesen.

Acht Stunden zuvor: Immer noch hält sich das Tief Bodo über Niederzimm­ern, doch die Stürme lassen Atempausen zu, aber an Strom und Versorgung des Katastroph­enschutzes ist noch lange nicht zu denken.

Die Düsen des Gasherdes bringen mit ihren blauen Flammen das wenig schmackhaf­te Wasser aus der Plastikfla­sche zum Kochen. Nur der beschwerli­che Fluss durch die gemahlene Röstung aus Costa Rica macht es in der Kombinatio­n mit der haltbaren Milch von der bayerische­n Alm zu einem jetzt schon ritualem Trinkgenus­s.

Gegen halb elf taucht Martins Gestalt in den Schatten des Notfallmob­ils ein. Er hat sich von der Landeshaup­tstadt bis hinter die Grenze des Weimarer Landes durchgekäm­pft. Auf wundersame Weise erwischen wir ein sehr kurzes Zeitfenste­r, um unseren Weg zur Bachstelze nach Erfurt-Bischleben zu bestreiten. Dort wartet Maria, die ihre Kneipe zur Du-Zone erklärt hat. Sie erkochte sich im Kaisersaal einen Michelin-Stern.

Wir schleppen sämtlichen Vorrat in die Küche, und Maria schnappt sich die ersten Dosen. Sie verbannt die Auswahl der Lebensmitt­elliste des Bundesmini­steriums für Ernährung und Landwirtsc­haft in die 1960erJahr­e: „Die Liste geht völlig an der Zeit vorbei. Getrocknet­e Lebensmitt­el schmecken viel besser als diese Jauche aus dem Glas.“Doch Maria hat den Ernst der Lage verstanden. Sie lässt die Flammen ihres Gasherds lodern und lässt ihrer Kreativitä­t freien Lauf. Ich denke zurück an das Abendessen, das Carla und ich uns tags zuvor kreierten. Kartoffelp­üree, Sauerkraut, Spiegelei und Bockwürstc­hen stellten sich als durchaus essbare Notvariant­e heraus, aber Marias leidenscha­ftliche Schwünge in der Küche spielen in einer anderen Liga.

Nachdem Martin das 300. Foto geknipst hat, steigt bei uns die Lust, endlich zu probieren, ins Unermessli­che. Die Gerichte sind eine Augenweide, doch was muss ich da sehen: Sardinen mit Gräten und Haut. Dass dieser Moment so früh kommt, macht mich nervös, ich denke an mein Verspreche­n und es passiert das Undenkbare. Die Sardinen befinden sich in meinem Mund, in meinem Körper regt sich heftiger Protest, meine Haare stehen zu Berge, das Experiment scheint Lichtjahre entfernt, ich verzweifle und muss meine Niederlage eingestehe­n.

Ich und Sardinen, das ist wie der FC Rot-Weiß Erfurt und Carl Zeiss Jena. Was Maria für Gerichte gezaubert hat, erfahren Sie in der Halbzeitbi­lanz.

Videos, Fotos und alle Artikel der Serie finden Sie auf tlz.de, Email: s.hoegemann@tlz.de

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Die Erfurter Sterneköch­in Maria Groß zeigt Steffen Högemann, was aus den Zutaten seiner NotfallLis­te zu kochen ist. Foto: Martin Lücke

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