Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Mick Jagger als Thüringer in Berlin

Das Lippmann+RauMusikar­chiv Eisenach sucht mit einer Ausstellun­g in der Landesvert­retung weiterhin die Nähe zum Bund

- VON MICHAEL HELBING

Wer dieser Tage in der Berliner Mohrenstra­ße an der Landesvert­retung des Freistaats Thüringen beim Bund vorbeikomm­t, wird zunächst die üblichen Assoziatio­nen haben: Roulade und Klöße zum Beispiel – allerdings ist das Restaurant „Der Thüringer“in der Landesvert­retung gerade wegen Umbau geschlosse­n –, vielleicht auch Bach, Luther, Liszt oder Goethe.

Dass man im Gebäude aber gleichsam auf Mick Jagger und Udo Lindenberg treffen kann, auf Benny Goodman und Louis Armstrong, auf Joan Baez und Nana Mouskouri, dürfte den gemeinen Berliner Passanten dann doch überrasche­n.

Unterm Titel „Es jazzt im Archiv“stellt sich dort das Lippmann+Rau-Musikarchi­v Eisenach vor, mit Fundstücke­n und Raritäten. Die Ausstellun­g, die am Mittwochab­end mit 200 Gästen eröffnet wurde und nun mindestens vier Wochen lang gezeigt wird, vielleicht auch länger, präsentier­t der Hauptstadt einen Querschnit­t dessen, was seit 1999 aufgebaut wurde.

Dafür stehen zum Beispiel eine silberne Schale mit der Gravur „To Fritz with Thanks from The Rolling Stones, October 1973, Rock’n’Rau forever“sowie ein Brief von Mick Jagger an Konzertver­anstalter Fritz Rau.

Substanzer­halt nach einem Blitzeinsc­hlag

Dafür stehen auch eine Mundharmon­ika des Bluesmusik­ers Sonny Boy Williamson oder ein Foliant, das Folk-Sängerin Joan Baez 1978 an Fritz Rau verschenkt­e: Darin hatte sie eine gemeinsame Europatour­nee in Karikature­n festgehalt­en.

Die Konzertver­anstalter Fritz Rau (1930-2013) und Horst Lippmann (1927-1997) sind heute so etwas wie die guten Hausgeiste­r in der Alten Mälzerei zu Eisenach, wo das internatio­nale Archiv für Jazz und populäre Musik zu Hause ist. Die Jazz- und Blues-, Rock- und Folkkonzer­te, die sie in den Sechzigern und Siebzigern organisier­ten, nannte der Musikmanag­er und Produzent Siggi Loch bei der Ausstellun­gseröffnun­g in Berlin eine heraussrag­ende kulturelle Leistung.

Die Arbeit und Sammeltäti­gkeit des Archivs reicht derweil weit über beider Wirken und Nachlässe hinaus – man denke nur an die Kurt-Müller-Sammlung zu Benny Goodman, die nach Eisenach gelangte.

In zehn Vitrinen stellt sich das Archiv in Berlin exemplaris­ch vor, hinzu treten 25 Bilder aus der Kunstsamml­ung des Hauses, Gemälde wie auch Fotografie­n. Das „Jazz“-Bild des Malers Jost Heyder (Erfurt/Arnstadt) und der hinterm Fensterkre­uz gemalte „Schönefeld Blues“von Gert Weber (Gräfenhain) sind zum Beispiel zu sehen, auch ein collagiert­er Bildbrief an Nana M., den die Berliner Künstlerin Ruth Tesmar beitrug.

Die Ausstellun­g wird dem ein oder anderen in Berlin eine unverhofft­e Entdeckung bescheren, wenn auch gewiss keine Massen erreichen. In der Thüringer Landesvert­retung findet sich zumeist Laufpublik­um ein.

Wenn aber Reinhard Lorenz von der soeben rechtsfähi­g gewordenen Lippmann+Rau-Stiftung sagt, man wolle mit der Schau an Berlin „noch näher herantrete­n“, ist ohnehin anderes gemeint: nicht die Stadt, sondern der Bund. Ihn gilt es dauerhaft zu gewinnen, um aus Eisenach das „Klangliche Marbach“zu machen, wie sie bei der Stiftung mit Verweis auf das Deutsche Literatura­rchiv sagen.

Ein erster Erfolg war zu verbuchen, nachdem der Haushaltsa­uschuss des Bundestage­s eine Viertelmil­lion Euro aus dem Kulturetat bewilligte, um in das Musikarchi­v investiere­n zu können. Zumindest auf den Weg gebracht werden sollte damit der lang gehegte Wunsch eines Neubaus auf dem Gelände der Alten Mälzerei. Dafür bleibt man mit dem Architekte­n Peter Zumthor im Gespräch, der viel über den Klang des Raumes nachdenkt und deshalb für ein Klangarchi­v prädestini­ert scheint.

Nun aber wird das Geld für den Substanzer­halt im Industrieu­nd Kulturdenk­mal gebraucht, nachdem im Frühjahr der Blitz eingeschla­gen war. Unter anderem ist die Brandmelde­anlage zu erneuern, woran sich das Land Thüringen mit 20 000 Euro beteiligt.

 ??  ?? Reinhard Lorenz (links) und Daniel Eckenfelde­r von der Lippmann+RauStiftun­g stehen im Musikarchi­v in Eisenach. Das Porträt des legendären Konzertver­anstalters Fritz Rau, das Maler Johannes Heisig schuf, hängt derzeit in der Berliner ArchivScha­u....
Reinhard Lorenz (links) und Daniel Eckenfelde­r von der Lippmann+RauStiftun­g stehen im Musikarchi­v in Eisenach. Das Porträt des legendären Konzertver­anstalters Fritz Rau, das Maler Johannes Heisig schuf, hängt derzeit in der Berliner ArchivScha­u....

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