Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Mick Jagger als Thüringer in Berlin
Das Lippmann+RauMusikarchiv Eisenach sucht mit einer Ausstellung in der Landesvertretung weiterhin die Nähe zum Bund
Wer dieser Tage in der Berliner Mohrenstraße an der Landesvertretung des Freistaats Thüringen beim Bund vorbeikommt, wird zunächst die üblichen Assoziationen haben: Roulade und Klöße zum Beispiel – allerdings ist das Restaurant „Der Thüringer“in der Landesvertretung gerade wegen Umbau geschlossen –, vielleicht auch Bach, Luther, Liszt oder Goethe.
Dass man im Gebäude aber gleichsam auf Mick Jagger und Udo Lindenberg treffen kann, auf Benny Goodman und Louis Armstrong, auf Joan Baez und Nana Mouskouri, dürfte den gemeinen Berliner Passanten dann doch überraschen.
Unterm Titel „Es jazzt im Archiv“stellt sich dort das Lippmann+Rau-Musikarchiv Eisenach vor, mit Fundstücken und Raritäten. Die Ausstellung, die am Mittwochabend mit 200 Gästen eröffnet wurde und nun mindestens vier Wochen lang gezeigt wird, vielleicht auch länger, präsentiert der Hauptstadt einen Querschnitt dessen, was seit 1999 aufgebaut wurde.
Dafür stehen zum Beispiel eine silberne Schale mit der Gravur „To Fritz with Thanks from The Rolling Stones, October 1973, Rock’n’Rau forever“sowie ein Brief von Mick Jagger an Konzertveranstalter Fritz Rau.
Substanzerhalt nach einem Blitzeinschlag
Dafür stehen auch eine Mundharmonika des Bluesmusikers Sonny Boy Williamson oder ein Foliant, das Folk-Sängerin Joan Baez 1978 an Fritz Rau verschenkte: Darin hatte sie eine gemeinsame Europatournee in Karikaturen festgehalten.
Die Konzertveranstalter Fritz Rau (1930-2013) und Horst Lippmann (1927-1997) sind heute so etwas wie die guten Hausgeister in der Alten Mälzerei zu Eisenach, wo das internationale Archiv für Jazz und populäre Musik zu Hause ist. Die Jazz- und Blues-, Rock- und Folkkonzerte, die sie in den Sechzigern und Siebzigern organisierten, nannte der Musikmanager und Produzent Siggi Loch bei der Ausstellungseröffnung in Berlin eine heraussragende kulturelle Leistung.
Die Arbeit und Sammeltätigkeit des Archivs reicht derweil weit über beider Wirken und Nachlässe hinaus – man denke nur an die Kurt-Müller-Sammlung zu Benny Goodman, die nach Eisenach gelangte.
In zehn Vitrinen stellt sich das Archiv in Berlin exemplarisch vor, hinzu treten 25 Bilder aus der Kunstsammlung des Hauses, Gemälde wie auch Fotografien. Das „Jazz“-Bild des Malers Jost Heyder (Erfurt/Arnstadt) und der hinterm Fensterkreuz gemalte „Schönefeld Blues“von Gert Weber (Gräfenhain) sind zum Beispiel zu sehen, auch ein collagierter Bildbrief an Nana M., den die Berliner Künstlerin Ruth Tesmar beitrug.
Die Ausstellung wird dem ein oder anderen in Berlin eine unverhoffte Entdeckung bescheren, wenn auch gewiss keine Massen erreichen. In der Thüringer Landesvertretung findet sich zumeist Laufpublikum ein.
Wenn aber Reinhard Lorenz von der soeben rechtsfähig gewordenen Lippmann+Rau-Stiftung sagt, man wolle mit der Schau an Berlin „noch näher herantreten“, ist ohnehin anderes gemeint: nicht die Stadt, sondern der Bund. Ihn gilt es dauerhaft zu gewinnen, um aus Eisenach das „Klangliche Marbach“zu machen, wie sie bei der Stiftung mit Verweis auf das Deutsche Literaturarchiv sagen.
Ein erster Erfolg war zu verbuchen, nachdem der Haushaltsauschuss des Bundestages eine Viertelmillion Euro aus dem Kulturetat bewilligte, um in das Musikarchiv investieren zu können. Zumindest auf den Weg gebracht werden sollte damit der lang gehegte Wunsch eines Neubaus auf dem Gelände der Alten Mälzerei. Dafür bleibt man mit dem Architekten Peter Zumthor im Gespräch, der viel über den Klang des Raumes nachdenkt und deshalb für ein Klangarchiv prädestiniert scheint.
Nun aber wird das Geld für den Substanzerhalt im Industrieund Kulturdenkmal gebraucht, nachdem im Frühjahr der Blitz eingeschlagen war. Unter anderem ist die Brandmeldeanlage zu erneuern, woran sich das Land Thüringen mit 20 000 Euro beteiligt.