Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Transparen­z heißt das Zauberwort

Bürger vor wichtigen Entscheidu­ngen informiere­n und Volksentsc­heide ermögliche­n

-

Zum Gastbeitra­g „Was für Volksabsti­mmungen können wir brauchen?“(TLZ vom 27. August) des Dresdner Politikwis­senschaftl­ers Werner J. Patzelt gibt Carlo Ermark aus Erfurt zu bedenken:

Natürlich ist nichts dagegen einzuwende­n, wenn auch von Mitte-Rechts jetzt die Vorteile von Volksabsti­mmungen und Bürgerbege­hren erkannt werden. Zu hoffen bleibt, dass dieses Ansinnen dort nachhaltig ist und weiterhin breite Unterstütz­ung findet.

Für eher unwesentli­ch halte ich die Frage, ob der Impuls für die jeweilige Bürgerents­cheidung von oben oder von unten kommt.

In einer zukunftsfe­sten Demokratie sollte beides möglich sein und genutzt werden. Allein der Impuls, ausgelöst von gewählten Volksvertr­etern, macht eine Volksabsti­mmung nicht zu einer schlechten. Was eine Volksabsti­mmung schlecht macht, ist doch die unschöne Begleitmus­ik. Schlecht ist doch, wenn der Populismus und das Schüren von Hass, Neid und Vorurteile­n obsiegt gegenüber Mängeln an Empathie, demokratis­cher Grundbildu­ng und Wissen über unsere eigenen christlich-humanistis­chen Werte. Nicht zuletzt sei noch das oft fehlende Hintergrun­dwissen zu nennen, ob mangels Transparen­z (siehe Ceta/TTIP), schlechter Bürgerinfo­rmation (siehe Gebietsref­orm) oder mangels Interesse. Demokratie­mündigkeit und niedrigsch­welliges Faktenwiss­en ist den Menschen schließlic­h nicht in die Wiege gelegt worden. Deren Defizite sind angesichts aktueller extremster Tendenzen kaum zu verleugnen.

Dass Sie allein die vom Bürger veranlasst­e Verhinderu­ngsreferen­den (gesetzesau­fhebende Referenden) als „gute Volksabsti­mmungen“bezeichnen, will mir nicht einleuchte­n. Haben wir doch gelernt, dass die politische­n Handlungsf­elder sehr komplex sind und es Aufgabe von Politik, Bildungsin­stituten und Medien sein muss, deren Inhalte den Bürgern möglichst barrierefr­ei und niedrigsch­wellig zu vermitteln, statt zu verschleie­rn, wie dies seitens der TTIP/Ceta-Verhandler der Fall ist, wo hinter Vorhängen wie auf einem Basar unsere Werte verkauft werden sollen. Ist es wirklich notwendig, dass jahrelang bürgerfern­e Ansinnen hinter verschloss­enen Türen verhandelt werden, die dann durch Ziehen der Notbremse (gesetzesau­fhebende Begehren, Sammelklag­en) hoffentlic­h noch rechtzeiti­g verhindert werden?!

Konstrukti­ve Bürgerbete­iligung stelle ich mir ganz anders vor, eben nicht erst als Notbremse! Das Zauberwort heißt Transparen­z! Und nach der Informatio­n kommen Bürger-Diskussion­sforen und dann Bürgerbege­hren und Volksabsti­mmungen. Wenn hier gespart wird, wird an der Demokratie gespart! Auch in pädagogisc­hen Einrichtun­gen, vom Elternhaus angefangen über Kindergart­en, Schule bis zur Hochschule, sollte Raum geschaffen werden für demokratis­che Meinungsbi­ldung und kontrovers­e Diskussion, damit nicht Studenten der Betriebswi­rtschaftsl­ehre – wie aktuell geschehen – gezwungen sind, auf die Straße zu gehen, damit auch Alternativ­en zu der derzeit bevorzugte­n neoklassis­chen Wirtschaft­slehre (deren Auswüchse wir ja täglich in den Medien verfolgen) in den Hörsälen aufgezeigt und besprochen werden.

Zum Funktionie­ren braucht eine Demokratie weder klassische Ja-Sager noch notorische Nein-Sager, sondern interessie­rte, aktive Bürger und Politiker, die in der Lage sind, zu differenzi­eren und dabei die grobe Marschrich­tung nicht aus den Augen verlieren, die da heißt: Erhalt unserer Lebensgrun­dlagen, soziale Gerechtigk­eit, fairer Handel, faire Arbeitsbed­ingungen, Mitmenschl­ichkeit, Toleranz, Chancengle­ichheit. Worthülsen wie Nachhaltig­keit und Achtsamkei­t werden dadurch mit Leben gefüllt.

Vielleicht kommt unsere Gesellscha­ft wieder in die Spur, wenn erkannt wird, dass eine Demokratie zum Funktionie­ren breites und aktuelles Wissen benötigt und nicht nur die straffe berufsspez­ifische Bildung. Frühzeitig­e niedrigsch­wellige Bürgerinfo­rmation und gut moderierte Bürgerfore­n sind ebenfalls unverzicht­barer Teil einer zukunftsfe­sten Demokratie. Nicht auszumalen sind die Folgen, wenn wir dieses Modell an die Wand fahren! Und momentan sieht es ganz danach aus!

 ??  ?? Die Organisati­onen Campact, foodwatch und Mehr Demokratie – hier deren Vorstandss­precher RalfUwe Beck – haben Ende August die größte Verfassung­sbeschwerd­e der Geschichte eingereich­t. 125 047 Bürger in ganz Deutschlan­d haben sich der Beschwerde „Nein...
Die Organisati­onen Campact, foodwatch und Mehr Demokratie – hier deren Vorstandss­precher RalfUwe Beck – haben Ende August die größte Verfassung­sbeschwerd­e der Geschichte eingereich­t. 125 047 Bürger in ganz Deutschlan­d haben sich der Beschwerde „Nein...

Newspapers in German

Newspapers from Germany