Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Junge Frauen erobern die Chefsessel
Der AwoKreisverband JenaWeimar betreibt eine beispielgebende Personalpolitik – Eine Zweifachmama ersetzt die Personalleiterin während der Elternzeit
Junge Frauen in Führungspositionen sind noch immer eine sehr seltene Spezies, die große Ausnahme. Ganz besonders, wenn sie Kinder haben oder aus ihrem Kinderwunsch keinen Hehl machen. Viele Arbeitgeber halten sie deshalb per se für unflexibel und unzuverlässig oder fürchten Ausfallzeiten wegen Schwangerschaften oder kranker Kinder – und nehmen lieber Abstand davon, sie mit einer Führungsaufgabe zu betrauen. Selbst wenn die Frauen noch so gut auf eine Stelle passen.
Doch das ist zum Glück nicht überall so. Beim Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Jena-Weimar zum Beispiel haben auch junge Frauen die Chance auf eine Leitungsposition. Vorausgesetzt, sie sind gut ausgebildet, motiviert und engagiert – „und die Chemie stimmt“, wie es Vorstandsvorsitzender Frank Albrecht formuliert.
Auf Doreen Lachmann trifft all das zu: Die 31-jährige Jenaerin hat nach dem Abitur erst Sozialpädagogik und später berufsbegleitend noch Betriebswirtschaft studiert. Seit zwei Jahren ist sie im Awo-Kreisverband Jena-Weimar – einem Verband mit etwa 640 Mitarbeitern in rund 35 Einrichtungen in Jena, Weimar und im Weimarer Land – Personalleiterin. Vorstandschef Frank Albrecht traute ihr diesen Job zu, nachdem sie zunächst zwei Jahre als Referentin des Vorstandes und Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit gearbeitet hatte. Er traute ihr diese Aufgabe nicht nur zu, weil sie dafür die nötigen Qualifikationen mitbrachte, sondern auch „weil sie sehr fleißig und innovativ ist“und nicht zuletzt mit ihrer freundlichen, verbindlichen Art gut zur Awo passe. Doreen Lachmann macht keinen Hehl daraus, dass sie durchaus Respekt vor der Aufgabe als Personalchefin hatte – allein schon deshalb, weil ihr kleines Team aus gestandenen Mitarbeitern über 50 besteht, denen sie, die blutjunge Kollegin, nun gewissermaßen vor die Nase gesetzt wurde. Doch anstatt die Chefin raushängen zu lassen und einsame Entscheidungen zu treffen, die ihr Team womöglich vor den Kopf stoßen, hat sie von Anfang an klargestellt, dass sie auf die Erfahrungen ihrer älteren Kollegen setzt: „Ich habe sie stets einbezogen und ihnen gesagt, dass sie schließlich die Experten und sehr erfahren sind. Klar, entscheiden muss letztlich immer ich. Aber ich entscheide in enger Abstimmung mit meinem Team.“
Zu Doreen Lachmanns Aufgaben gehören unter anderem das Einstellen und Rekrutieren neuer Mitarbeiter, was wegen des Fachkräftemangels vor allem im Bereich der Pflege „nicht einfach“ist. Gehört aber auch die Personalbetreuung – ein weites Feld von Anträgen auf ein Darlehen bis zu Wünschen nach Teilzeit. Und nicht zuletzt ist Doreen Lachmann zuständig für die Personalentwicklung, dafür, Mitarbeiter beispielsweise zu ermutigen, Fortbildungen zu machen und sich auf Führungsaufgaben vorzubereiten.
Sie selbst bereitet sich derzeit ebenfalls auf eine neue Aufgabe vor: auf die Mutterschaft. Die 31-Jährige erwartet Ende Oktober ihr erstes Kind, ein Mädchen, und freut sich riesig auf den Nachwuchs. Doreen Lachmann ist froh, dass sie das dreijährige berufsbegleitende Studium der Betriebswirtschaft, bei dem sie einmal pro Monat freitags und samstags in Dresden sein musste, „schnell noch vorher“absolviert hat. Denn ihr Arbeitgeber hat sie dafür zwar freigestellt, doch das Lernen an sich kostete viel Zeit – und die, da ist sie sich sicher, wird sie mit Kind kaum noch haben. Zwei Jahre will Doreen Lachmann pausieren – und dann, wenn sie im Herbst 2018 an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt, ihre Arbeitszeit von derzeit wöchentlich 40 Stunden reduzieren. Kein Problem – auch nicht für ihren Chef. „Dabei ist gerade die Arbeitszeit der Knackpunkt in Führungspositionen“, weiß Doreen Lachmann. 40 Stunden seien irgendwie ein Muss. Flexibel seien da nur wenige Arbeitgeber, obwohl es ohne Frage
Frank Albrecht, Vorstandsvorsitzender des AwoKreisverbandes JenaWeimar
möglich sei, eine Leitungsfunktion auch mit reduzierter Stundenzahl auszufüllen.
Doreen Lachmann wünscht sich, dass auch ihr Partner problemlos seine Arbeitszeit zugunsten von Kind und Familie reduzieren kann, sobald ihre Elternzeit vorbei ist. „Schließlich verdienen wir beide in etwa gleich viel. Aber in der Industrie ist das offenbar noch die große Ausnahme und anders als zum Beispiel in Behörden nicht sehr gern gesehen.“Doch darüber will sie sich im Moment noch nicht den Kopf zerbrechen, sondern sich erst einmal auf die Geburt ihrer Tochter freuen.
Dass sie das vergleichsweise unbelastet tun kann, liegt nicht nur an der Gewissheit, während der Elternzeit nicht aus dem Job gedrängt zu werden, sondern auch daran, dass sie ihre Arbeit in diesen zwei Jahren in guten Händen weiß: Schließlich wurde für ihre Elternzeitvertretung eine ebenfalls gut ausgebildete junge Frau gefunden, die sie seit Juli und noch bis zum Beginn des Mutterschutzes am 14. September einarbeitet: die Wahl-Erfurterin Susann Ranke. Mit gerade einmal 28 Lenzen ist sie nicht nur sogar noch drei Jahre jünger als Doreen Lachmann, sondern auch schon Mutter von zwei Söhnen.
Susann Ranke stammt aus Ohrdruf im Landkreis Gotha und hat zunächst bei einem Discounter Verkäuferin und anschließend noch Einzelhandelskauffrau gelernt. Nach der Lehre, die sie größtenteils in Frankfurt (Main) absolviert hat, und den ersten Jahren im Beruf wollte sie mit ihrem Mann Sebastian aber lieber in die alte Heimat zurück. Das Paar entschied sich für Erfurt als Wohnort, zumal beide dort auch Arbeit fanden, und zog wieder nach Thüringen. Susann Ranke arbeitete erneut bei einem Discounter, zuletzt als stellvertretende Filialleiterin und erteilte auch Kassenschulungen. „Aber irgendwann dachte ich mir, dass das nicht alles sein kann im Leben“, sagt sie. Weil sie „nur“den Realschulabschluss in der Tasche hatte, drückte sie noch einmal die Schulbank, erwarb die Fachhochschulreife und den Abschluss als staatlich geprüfte Betriebswirtin. Wenige Monate vor den Abschlussprüfungen im Mai 2012 kam ihr erstes Kind, Sohn Leonas, zur Welt, was sie indes nicht daran hinderte, nach der Elternzeit wieder voll im Beruf einzusteigen. Sie arbeitete bei einem Unternehmen für Arbeitnehmerüberlassung als Personaldisponentin, bis sich nach anderthalb Jahren im Job im Dezember 2014 Kind Numero zwei, der kleine Lukas, einstellte. „Nach der Elternzeit habe ich mir dann eine neue Stelle gesucht, weil die Arbeit bei dem Personaldienstleister nicht wirklich meine Welt war“, gibt sie offen zu.
Seit Februar arbeitete sie schließlich als Personalreferentin in Teilzeit im SRH Klinikum Waltershausen-Friedrichroda, bis sich ihr im Juli die Stelle bei der Arbeiterwohlfahrt bot. „Die Arbeit im Krankenhaus hat mir viel Spaß gemacht. Aber Hinund Rückfahrt dauerten jeweils eine Dreiviertelstunde“– zu viel für eine Teilzeitstelle von 20 Stunden die Woche. Bei der Awo habe sie sich sofort wohlgefühlt, „die Awo passt zu mir, weil ich selbst sehr sozial eingestellt bin“. Und die neue Arbeit passt auch deshalb besser, weil sich gleich zu Beginn ihrer Einarbeitungszeit herausstellte, dass Susann Rankes jüngerer Sohn an unheilbarem Typ-1-Diabetes erkrankt ist, fortan das Blutzucker-Messen, Berechnen von Broteinheiten und Insulin-Spritzen den Alltag des kleinen Mannes und der ganzen Familie bestimmen wird. „Da tut mir gut, dass hier bei der Awo der Mensch zählt“, sagt Susann Ranke. „Dieses Gefühl hatte ich vorher nie.“
Susann Ranke hat die Arbeitszeit auf 35 Stunden reduziert, um berufstätig sein und sich dennoch gut um ihre Kinder kümmern zu können. Sie weiß aber auch, dass ihr der Spagat zwischen Familie und Erwerbsleben nur deshalb gelingt, weil sie viel Unterstützung hat – in erster Linie durch ihren Mann, der ihr gerade in der Einarbeitungsphase den Rücken frei hielt, aber auch durch die Verwandtschaft. In ein paar Tagen wird sie mit ihrer Familie noch einmal für eine Woche in den TürkeiUrlaub fliegen, um Kraft zu tanken und sich dann mit Elan daran zu machen, Doreen Lachmann gut zu vertreten und bestenfalls auch eigene Akzente zu setzen. Nicht zuletzt, weil sie darauf hoffen darf, dass nach den zwei Jahren nicht Schluss ist. Der Awo-Vorstandschef habe ihr jedenfalls versichert, dass man „gute Mitarbeiter nicht so einfach gehen“lasse.
Zu oft traditionelle Rollenverteilung
Frank Albrecht will derweil nichts davon hören, dass seine Personalpolitik mutig ist. „Mutig? Nein, mutig ist das nicht“, stellt er klar. „Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass junge Frauen sehr gut mit der Verantwortung zurechtkommen, wenn man sie ihnen überträgt. Das läuft bei uns prima, und deshalb hat bei uns auch jeder die gleiche Chance.“Der Vorstandsvorsitzende vermag schlicht nicht nachzuvollziehen, warum jemand, nur weil er noch keine jahrzehntelange Berufserfahrung aufweisen kann, vielleicht alleinerziehend ist oder Eltern oder Großeltern pflegt, nicht für eine Leitungsposition in Frage kommen soll. „Das geht in meinen Augen gar nicht.“Das Entscheidende seien schließlich die Qualifikation und der Einsatz – und nicht zuletzt ein freundliches, aufgeschlossenes Wesen, auf das er in seinem Kreisverband großen Wert legt.
Doreen Lachmann ist dankbar dafür, dass ihr Chef so und nicht anders tickt – und fragt sich doch immer wieder, warum es Frauen so schwer haben, Führungspositionen zu übernehmen. Das liegt indes nur zum Teil an den Chefs findet sie: „Denn ich beobachte im Freundesund Bekanntenkreis sehr oft, dass Frauen gut ausgebildet und in guten Jobs sind, an ihnen aber oft trotzdem der ganze Haushalt und die Kindererziehung hängen bleiben.“Eine Erfahrung, die viele Frauen machen: Spätestens nach dem ersten Kind finden sich selbst Paare, die sich bis dahin eher gleichberechtigt in die Aufgaben geteilt haben, in einer traditionellen Rollenverteilung wieder.
Auf Erfahrung der Älteren setzen Die Wochenarbeitszeit ist oft der Knackpunkt „Mutig? Nein, mutig ist das nicht. Aber bei uns hat jeder die gleiche Chance. ” Kurz vor der Prüfung das zweite Kind