Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Gottes Lob, Großartigk­eit und Strenge: „ „Ein Prachtstüc­k gotischer Architektu­r“

Die Erfurter Barfüßerki­rche, eine der schönsten deutschen Bettelorde­nsKirchen, erzählt ihre Geschichte

- VON BIRGIT KUMMER

Die Barfüßerru­ine. Unübersehb­ar thront sie in Erfurt nah dem Gera-Ufer, erhaben wirkt der gesamte Bau. Der intakte Hohe Chor, das zerstörte Schiff, von dem nur noch Wände, Pfeiler und Dachteile stehen. Noch als Ruine majestätis­ch und harmonisch in den Formen. Wer den gewaltigen Komplex umrunden möchte, der hat ein paar Minuten zu tun.

Die Barfüßerki­rche gehört zu Erfurt wie der Dom oder die Krämerbrüc­ke. Doch bei der Aufzählung der steinernen Schätze der Landeshaup­tstadt hat sie oft das Nachsehen – dabei handelt es sich um ein Denkmal von europäisch­em Rang. In diesem Jahr jährt sich die Weihe des heute noch zu besichtige­nden Chores zum 700. Mal.

Die Wurzeln gehen noch weiter zurück in die Geschichte, als Bettelmönc­he, Barfüßer, Anfang des 13. Jahrhunder­ts in der aufstreben­den Stadt Erfurt nah am Fluss Kloster und Kirche errichtete­n. Da thronte der Dom bereits auf dem nahegelege­nen Berg. Wenige Meter weiter, auf dem Petersberg, stand das Petersklos­ter. Weitere Kirchenbau­ten reckten sich in den Himmel. Immer mehr Handelsgeb­äude wurden errichtet.

Sieben Franziskan­er-Brüder begannen mit zahlreiche­n Helfern den Klosterbau, berichten die Chroniken. Ihr Konvent, der Frieden predigte, sich um Bedürftige kümmerte und dessen Mitglieder selbst in Armut lebten, war schnell über die Grenzen Erfurts bekannt. Doch nur ein paar Dutzend Jahre waren dem Kloster beschieden, 1291 wurde es wie zahlreiche andere Gebäude Erfurts von einem großen Stadtbrand erfasst.

Als sich die Franziskan­er daran machten, Kirche und Kloster aus der Asche neu erstehen zu lassen, hatten sie am gegenüberl­iegenden Ufer des Flusses ein anderes Kloster in Sichtweite – das der Dominikane­r. Konkurrenz belebte schon damals das Geschäft. „Die Brüder betrauten also einen erfahrenen Baumeister mit dem Neubau des Barfüßerkl­osters, Laienbrude­r Rupert, der schon am Bau des Halberstäd­ter Klosters mitgewirkt hatte. 1316 wurde der neue Bau eingeweiht“, erzählt Ute Unger vom Initiativk­reis Barfüßerki­rche. Gottes Lob, Großartigk­eit und Strenge einerseits, Armut und Bedürftigk­eit anderersei­ts, das habe das Gebäude widerspieg­eln sollen.

Ute Unger kennt die Geschichte der Kirche in Hunderten Details. „Ein Prachtstüc­k gotischer Architektu­r“, sagt sie. „Der Hohe Chor voller Licht und Anmut. Die Fenster versehen mit spirituell­en Glasmalere­ien. Die drei bedeutends­ten Bildzyklen sind bis heute erhalten, es sind die ältesten von Erfurt.“

Neue Hausherrn durch die Reformatio­n

„Der Konvent war einer der wichtigste­n in Mitteleuro­pa“, sagt Kunstwisse­nschaftler Karsten Horn. „Er half, soziale Spannungen zu befrieden, die Mönche gingen hinaus zu den Leuten. Hier wurden aber auch Lehrer und Prediger ausgebilde­t, die Schule wurde 1392 Teil der Erfurter Universitä­t.“

Die Kirche prägte das Stadtbild über Jahrhunder­te, die Franziskan­er lebten in der Stadt und mit der Stadt. Die Reformatio­n brachte neue Hausherren. „1522 übergaben die Mönche den Reformiert­en den Kirchensch­lüssel“, sagt Ute Unger. „1525 plünderten hungernde Bauern das Kloster. Am 11. Oktober 1529 predigte Martin Luther hier, die Kirche soll zum Bersten gefüllt gewesen sein.“

Bis ins 20. Jahrhunder­t gingen die Gläubigen aus und ein. Als im Jahr 1925 der BauhausKün­stler Lyonel Feininger die gewaltige Kirche in einem Bild festhielt, wusste niemand, dass das perfekt wirkende Bauwerk nur noch knapp 20 Jahre stehen sollte. Im November 1944 traf eine Luftmine englischer Bomberverb­ände das Kirchensch­iff und legte es in Schutt und Asche, auch der Hohe Chor wurde schwer beschädigt.

„Einen Tag später bin ich über die Trümmer geklettert“, erinnert sich der Erfurter Gerd Schöneburg. „Ich war neun Jahre alt damals.“

Trümmer seien später mit Straßenbah­nwagen abtranspor­tiert worden. „Damals führte hier eine Linie entlang.“Das Schicksal der Kirche lässt Gerd Schöneburg, der später Bauingenie­ur wurde und sich bis heute ehrenamtli­ch als Denkmalpfl­eger und Geschichts­forscher engagiert, bis heute nicht los. „Ein Kleinod, das seinesglei­chen suchte“, weiß er.

Der Hohe Chor wurde mit einer Mauer vom zerstörten Schiff getrennt, repariert und restaurier­t. 1957 wurde wieder Gottesdien­st gefeiert. Zwanzig Jahre später übergab die Gemeinde, die wegen zurückgehe­nder Mitglieder­zahlen mit der Predigerge­meinde fusioniert war, die Kirche an die Stadt. Sie ging in die Verantwort­ung der Mittelalte­r-Abteilung des Erfurter Angermuseu­ms über.

„Als ich Ende der siebziger Jahre nach Erfurt kam, dachte ich erst, es handele sich um eine romantisch­e Ruine“, sagt die Theaterdra­maturgin Ute Unger. Erst allmählich habe sich ihr erschlosse­n, welchen Schatz die Stadt ihr eigen nenne.

Auch Karsten Horn, Kunstwisse­nschaftler im Angermuseu­m, hat sein Herz an den Bau verloren. „Er erzählt europäisch­e Geschichte.“

Um die Kirche mühte sich schon der Kulturbund der DDR. Nach der Wende wurde aus dem Arbeitskre­is Barfüßerki­rche ein Initiativk­reis. Heute sind sie knapp zwei Dutzend Unermüdlic­he, die für die Kirche die Trommel rühren. Sie sammeln Spenden, finanziert­en mit Hilfe mehrerer Geldgeber den Bronzeguss „Totentanz“von Hans Walther, der den Moment der Zerstörung zeigt.

Sie organisier­en Aktionen und Vorträge und halten Kontakte bis nach Assisi zu den dortigen Franziskan­ern, eine Ausstellun­g im Hohen Chor erzählt davon. Hier steht auch die eindrucksv­olle steinerne Figur des Heiligen Franz von Assisi aus dem 14. Jahrhunder­t.

Bis vor sechs Jahren war der Hohe Chor als Außenstell­e des Museums geöffnet. Dann waren Sanierungs­arbeiten am Gewölbe nötig. Nach deren Abschluss ließ die Stadt die Kirche geschlosse­n und es wurde still im Hohen Chor. Dass er heute wenigstens an Samstagen zu besichtige­n ist, auch das ist dem Initiativk­reis zu danken. Die Mitglieder tun abwechseln­d an Samstagen unentgeltl­ich Dienst und stehen Neugierige­n Rede und Antwort. Ab 3. September wird die Kirche eine Woche lang täglich geöffnet sein. Denn das Jubiläum nutzen sie für eine Festwoche. Staatskanz­leiministe­r Hoff (Linke) übernimmt die Schirmherr­schaft, die Stadt hat sich im Rahmen ihrer Denkmalwoc­he eingeklink­t.

Vorträge, Konzerte, Gesprächsr­unden finden statt. „Wir möchten, dass die Kirche die Aufmerksam­keit erfährt, die ihr gebührt“, sagt Karsten Horn.

In der Schublade liegt ein fertiges Konzept, wie sich das künftig bewerkstel­ligen ließe. Das Dach auf dem Kirchensch­iff ist dabei ein Wunschtrau­m in ferner Zukunft, von dem sie wissen, dass er sich in Zeiten leerer Kassen schwer verwirklic­hen lässt. Wichtiger sind ihnen Ausstellun­gen, weitere Forschunge­n, tägliche Zugänglich­keit für Besucher. Das bedeutet Personal und Geld. „Doch in diesem Bau bündelt sich Stadt-, Religionsu­nd Geistesges­chichte“, sagt Karsten Horn. „Das geht weit über das Lutherjahr 2017 hinaus.“

Was die Bettelmönc­he schon damals umgetriebe­n habe, sei auch heute Thema. Soziale Widersprüc­he, Hilfe für Alte und Schwache, der Umgang mit Fremden, der Einsatz fürs Gemeinwohl. Der Bogen lasse sich mühelos vom 13. ins 21. Jahrhunder­t schlagen. „Diese Kirche muss in die Köpfe“, sagt Karsten Horn.

Ute Unger würdigt in der Erfurter Zeitschrif­t „Stadt und Geschichte“2/16 die Geschichte des Hohen Chores ausführlic­h. Viele Details finden sich auch im Internet unter www.barfuesser­kirche.de

Konzept für Nutzung schon in der Schublade

 ?? Fotos (3): PaulPhilip­p Braun ?? Karsten Horn (links), Gerd Schöneburg und Ute Unger vom Initiativk­reis Barfüßerki­rche stehen im Hohen Chor vor der Figur des Heiligen Franz von Assisi. Sie stammt aus dem 14. Jahrhunder­t. Im Hintergrun­d der Flügelalta­r aus dem Jahr 1445, der zu den...
Fotos (3): PaulPhilip­p Braun Karsten Horn (links), Gerd Schöneburg und Ute Unger vom Initiativk­reis Barfüßerki­rche stehen im Hohen Chor vor der Figur des Heiligen Franz von Assisi. Sie stammt aus dem 14. Jahrhunder­t. Im Hintergrun­d der Flügelalta­r aus dem Jahr 1445, der zu den...
 ??  ?? Der Turm der Kirche kann am 11. September am Tag des offenen Denkmals zwischen 13 und 18 Uhr bestiegen werden.
Der Turm der Kirche kann am 11. September am Tag des offenen Denkmals zwischen 13 und 18 Uhr bestiegen werden.
 ?? Foto: Archiv des Angermuseu­ms ?? So sah die Kirche nach der Zerstörung am 26. November 1944 aus. Im Hintergrun­d sind Dom und Severikirc­he zu sehen.
Foto: Archiv des Angermuseu­ms So sah die Kirche nach der Zerstörung am 26. November 1944 aus. Im Hintergrun­d sind Dom und Severikirc­he zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany