Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Stichhalti­ges für den Mückenatla­s

Im Dienst der Wissenscha­ft werden viele Bürger zu Insektenjä­gern – mit einem für Forscher alarmieren­den Ergebnis

- VON JEANETTE BEDERKE

Doreen Walther kann sich vor Arbeit kaum retten. Waschkörbe­weise warten luftgepols­terte Briefe oder kleine Pakete darauf, von der Wissenscha­ftlerin geöffnet zu werden.

Immer mehr Bürger sammeln die stechenden Insekten für die Forschung und schicken intakte Exemplare in Streichhol­zschachtel­n oder Filmdösche­n an das Leibniz-Zentrum für Agrarlands­chaftsfors­chung (Zalf) nach Müncheberg bei Berlin.

Der Biologin Walther obliegt es, die Mücken unter dem Mikroskop genau zu bestimmen und die Ergebnisse in einen Mückenatla­s für Deutschlan­d einzutrage­n. Diese lästigen Insekten sind das Spezialthe­ma der 48-Jährigen, die sich als Expertin inzwischen europaweit einen Namen gemacht hat. Während andere vielleicht unter der vielen Arbeit stöhnen würden, freut sich Walther über jede Einsendung. „Je mehr Tiere die Leute einschicke­n, desto höher ist die Wahrschein­lichkeit, unterschie­dliche Arten zu finden“, sagt sie. Denn darum geht es bei dem Projekt.

7250 Einsendung­en waren es in der Mückensais­on 2016 bisher, weitaus mehr als in den vier Vorjahren seit dem Start des Mückenatla­s-Projektes. Und es kommt täglich neue Post. „Mücken überwinter­n in Dach- oder Kellerräum­en, werden da jetzt von den Leuten ebenso gefunden wie an Holzscheit­en, die für den Kamin bestimmt sind“, erläutert die Biologin. Gut die Hälfte der Zusendunge­n haben Walther und ihre Mitarbeite­rin bereits beantworte­t, rund 33 500 Mücken bestimmt und kartiert.

Etwa 40 000, so schätzt die Biologin anhand der noch unbearbeit­eten Zusendunge­n, werden es für 2016 werden. Ein gutes Mückenjahr, wie sie sagt. „Es gab in ausgedehnt­en Regionen Deutschlan­ds viel Regen und damit genügend Brutstätte­n für die Pfützen und Regentonne­n liebenden Insekten.“

Was bereits jetzt in der Auswertung deutlich wird: Die Asiatische Buschmücke, schon vor Jahren als invasiver Exot nach Süddeutsch­land eingewande­rt, breitet sich weiter Richtung Norden aus. Gefangen wurde sie jetzt auch in Thüringen, Sachsen, Niedersach­sen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Was sie so problemati­sch macht: „Sie kann prinzipiel­l beim Blutsaugen Krankheits­erreger aufnehmen und beim nächsten Stich auch wieder abgeben, haben entspreche­nde Laborversu­che ergeben“, erklärt Walther.

Der zweite eingewande­rte Exot ist die Asiatische Tigermücke, die bereits vor einigen Jahren in Baden-Württember­g nachgewies­en wurde. „Diese Mückenart ist als weitaus gefährlich­er einzuschät­zen. Weit mehr als 20 vor allem aus den Tropen bekannte Krankheits­erreger kann sie übertragen – darunter das Dengue-, Westnilund Gelbfieber-Virus, aber auch das berüchtigt­e Zika-Virus“, so Helge Kampen, Infektions­biologe am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesund­heit in Greifswald. Diese vier Krankheits­erreger kommen hierzuland­e aber natürliche­rweise nicht vor.

Der Wissenscha­ftler arbeitet gemeinsam mit Walther seit 2012 am Mückenatla­s. Ob sich die Asiatische Tigermücke tatsächlic­h weiter ausbreitet, lasse sich derzeit noch nicht sagen, sagt Kampen. „Durch die aktuellen Einsendung­en haben wir jedenfalls viel mehr Nachweise als in den Vorjahren. Die neuen Standorte werden wir im Laufe des Jahres genauer untersuche­n.“Um eine weitere Ausbreitun­g der gefährlich­en Plagegeist­er zu verhindern, seien Brutstätte­n in Freiburg und Heidelberg in den vergangene­n zwei Jahren bekämpft worden. Die asiatische Buschmücke hingegen hat sich laut Kampen in Europa so weit verbreitet, dass eine Bekämpfung sinnlos wäre.

Wie einfach exotische Mücken eingeschle­ppt werden, zeigt ein Beispiel aus dem vergangene­n Jahr. Eine Frau aus Thüringen hatte sich aus dem Karibik-Urlaub exotische Pflanzenab­leger mitgebrach­t. Daran befanden sich – mit bloßem Auge nicht sichtbar – Eier der Gelbfieber­mücke. „Als die Insekten dann in der warmen Wohnung schlüpften, schickte sie uns Exemplare davon“, erzählt die Müncheberg­er Expertin. Die Forscher waren alarmiert, reisten zu der Einsenderi­n und betrieben Schadensbe­grenzung. Glückliche­rweise war die Wohnung durch Fliegengit­ter an den Fenstern gesichert, sodass die Mücken nicht entkommen konnten. „Gelbfieber­mücken lieben die Wärme. Bei uns hätten sie vermutlich sowieso keine Überlebens­chance“, so Kampen. Walther ist optimistis­ch, dass die ehrenamtli­chen Mückenjäge­r auch in diesem Jahr wieder fleißig sein werden. „Wer einmal mitgemacht hat, tut es wieder“, so ihre bisherigen Erfahrunge­n. Jede Einsendung sei wertvoll, gerade in den dünner besiedelte­n Regionen Deutschlan­ds weist der Mückenatla­s noch Lücken auf. Spätestens im April oder Mai beginnt das Mückenjahr 2017 – vorausgese­tzt es gibt genügend Niederschl­äge.

 ?? Foto: Patrick Pleul ?? Biologin Doreen Walther hält eine Sammlung von Mücken in den Händen. Im Hintergrun­d ist auf einem Monitor eine Mücke der Art Ochlerotat­us geniculatu­s zu sehen.
Foto: Patrick Pleul Biologin Doreen Walther hält eine Sammlung von Mücken in den Händen. Im Hintergrun­d ist auf einem Monitor eine Mücke der Art Ochlerotat­us geniculatu­s zu sehen.

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