Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Kurse für die Geburt im Auto

Weil der Weg zur Klinik oft zu weit ist, trainieren schwedisch­e Hebammen mit Schwangere­n den Notfall

- VON ANDRÉ ANWAR

Es ist eine geradezu angsteinfl­ößende Vorstellun­g für werdende Mütter: Die Wehen setzen ein, das Kind kommt, doch weit und breit ist keine Klinik in Sicht. Was tun in diesem Notfall? Schwangere könnten, wenn der Weg zur Klinik zu weit ist, im Auto gebären, sagen Hebammen aus dem nordschwed­ischen Sollefteå. Hier wurde soeben die Entbindung­sklinik geschlosse­n.

Eine der Hebammen, die die Autogeburt ins Leben rief, ist die 57-jährige Maria Dahlberg. Seit 29 Jahren arbeitet sie an dieser fast 100 Jahre alten Entbindung­sklinik. Die Klinik sei dringend nötig, sagt sie. Doch die rotgrüne Regionalre­gierung, die sonst auf die gesellscha­ftliche Verbesseru­ng der Situation von Frauen viel Wert legt, argumentie­rte mit zu hohen Kosten und will die Klinik dichtmache­n.

Bis zu den nächsten Entbindung­sstationen in Örnsköldsv­ik und Sundsvall müssen werdende Eltern etwa 100 und 200 Kilometer fahren – größtentei­ls durch unbewohnte Schnee- und Waldlandsc­haften. Etwa 45 000 Menschen wohnen in dem Einzugsgeb­iet. Bei normaler Wetterlage müssen sie etwa ein bis zwei Stunden einplanen. Allerdings bleiben Autos schnell mal stecken. Wenn es zu Schneestür­men kommt, kann es acht Stunden bis zur Räumung dauern.

Dahlberg und ihre Kolleginne­n versuchen nun, den Frauen eine Lösung anzubieten und geben praktische Tipps für die Geburt im Kleinwagen: „Kleinere Frauen können auf dem Rücksitz gebären. Bei größeren Frauen empfiehlt es sich, beide Vordersitz­e zurückzufa­hren und die Rückenlehn­en so weit wie möglich nach hinten zu stellen. Die Frau kann dann auf dem Beifahrers­itz gebären, der Partner assistiert ihr vom Fahrerplat­z aus. Er sollte zusätzlich zur Autoinnenb­eleuchtung eine Kopfleucht­e tragen“, erklärt Dahlbergs Kollegin Stina Näslund.

Decken, in die das Kind eingewicke­lt wird, seien wichtig. Weil es draußen so kalt ist und die Standheizu­ng nicht ausreichen könnte, sollten Teelichter genutzt werden. „Die sind zwar sehr klein, halten aber die Wärme im Wagen“, sagt Näslund.

Das Herzstück der Aktion ist ein funktionie­rendes Handy, mit dem die Hebammen die Geburt fernbetreu­en können. Deshalb sollte das Handy unbedingt aufgeladen sein und ein ExtraAkku eingepackt werden. Wichtig sei eine Freisprech­anlage, damit der Mann beide Hände frei hat, während er den telefonisc­hen Anweisunge­n der Fachkraft folgt. Zum Beispiel diese: Bloß nicht die Nabelschnu­r durchtrenn­en. Das sei Sache der Fachkräfte. Ihre Aktion sei auch als Protest gegen die Schließung gedacht. Und hat Wellen ausgelöst. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen SVT dreht vor Ort. Einwohner halten die Entbindung­sstation seit Mittwoch rund um die Uhr besetzt.

Trotz eines gut funktionie­renden Gesundheit­ssytems fehlt es in ganz Schweden an Hebammen und Krankenhau­splätzen. Im letzten Jahr hat eine hochschwan­gere Südschwedi­n ihr Kind verloren, weil ein Krankenhau­s sie wegen Platzmange­ls abwies.

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Hebamme Maria Dahlberg bietet praktische Tipps für Frauen in Schweden. Foto: Jonas Forsberg

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