Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Mit dem Finger in rotrotgrüne Wunden
Holger Poppenhäger hatte verstanden.
„Es ist ein ganz wesentlicher Baustein, dass mal Bürger zu Wort gekommen sind, die weder Funktionäre sind noch Amtsträger noch Bürgermeister“, sagte er. Und weil der Innenminister nicht nur Jurist ist, sondern auch ein besonders höflicher Mensch, dachte er sich den Rest.
Säße jemand vom Kaliber eines Wolfgang Fiedler auf dem Schleudersitz in der Steigerstraße, hätte der aller Voraussicht nach Tacheles geredet und seine Antwort wäre so ausgefallen: „Endlich sind mir nicht wie sonst immer die üblichen Bedenkenträger und Schlechtredner auf den Keks gegangen. Endlich haben sich mal ein paar Thüringer mit gesundem Menschenverstand Gedanken gemacht.“
Klar – es ging mal wieder um die Gebietsreform. Und im Speziellen um ein 44 Seiten langes Bürgergutachten, in dem 72 zufällig ausgewählte Thüringer ihre Vorstellungen zu Papier gebracht haben. Darin steht beispielsweise, dass viele es besser gefunden hätten, wenn RotRotGrün nicht als Erstes die Axt an die Gebietsstrukturen gelegt, sondern lieber zunächst die Landesverwaltung auf Vordermann gebracht hätte.
Okay, das mit der „Axt“steht natürlich nicht in der Expertise, aber man wird ja noch anschaulich formulieren dürfen.
„Wir nehmen das ernst, was die Bürger aufgeschrieben haben“, versprach Poppenhäger. Und man darf demnach gespannt sein, ob kurze Wege zu den Behörden ebenso berücksichtigt werden wie die Bitte, im ländlichen Raum nicht gänzlich das Licht auszumachen.
Ja, Sie ahnen es, dass mit dem „Licht“haben die Bürgergutach ter anders formuliert. Aber sicherlich genauso gemeint...
Poppenhäger derweil schien ob der engagierten Volksexperten nicht wirklich besorgt.
Weil Fiedler aber nicht Minister ist (und es mittlerweile auch kaum mehr werden wird), aber der größten Oppositionskraft angehört, hatte er einen, nun ja, differenzierteren Blick auf die Angelegenheit.
Der ausgewiesene CDULautsprecher für Inneres und Kommunales wusste angesichts der präsentierten Erkenntnisse sogleich, was die Stunde geschlagen hatte: „Die Forderungen der Bürger legen den Finger in einige der Wunden, die die rotrotgrüne Gebietsreform bereits gerissen hat“, grantelte der Abgeordnete.
Wenn man über dieses Sprachbild nachdenkt, kriegt man glatt Phantomschmerzen.
Zu Recht seien die Menschen besorgt um die angemessene Vertretung der Ortschaften, den Erhalt der Voraussetzungen für Vereinsarbeit und Ehrenamt sowie die Sicherung der Versorgungsstrukturen auf dem Land. Der linke Kommunale Frank
Kuschel spottete daraufhin: „Ich kann nicht sagen, was die CDUFraktion genommen hat...“. Und wir dachten gleich, wir wissen es: Hanf gegen die Phantomschmerzen.
Aber Kuschel sagte was ganz anderes, nämlich: „...gelesen hat...“und er wusste genau, „dass Bürgergutachten kann es nicht gewesen sein.“
Sie merken es, die Gebietsreform hat bei uns ihre Spuren hinterlassen. Dabei ist sie ja alternativlos. Oder doch nur alternativ(post)faktisch..?
TLZLandeskorrespondent Elmar Otto erreichen Sie unter (0361) 555 05 38 oder per EMail unter e.otto@tlz.de