Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Über Umzüge

- VON JOE LITTLE

„Ich kann Umzüge nicht leiden“, mault Dickie. „Man fühlt sich hier wie auf dem Präsentier­teller.“Matt hat den alten Saloon am Dorfrand geschlosse­n und ein neues Lokal mitten in Holzdorf gemietet. Er hat uns das ausführlic­h erklärt: Man müsse auch ans junge Volk denken, schließlic­h wolle er von der Gastwirtsc­haft morgen noch leben, der olle Antiquität­enladen sei eh nicht mehr zeitgemäß gewesen, die Menschheit habe halt andere Bedürfniss­e: von wegen Nju Wäjf, Leifsteil und so.

Jetzt hocken wir im Neonlicht statt unter der blakigen Petroleumf­unzel, und die gute alte Patina, die wir jahre, jahrzehnte­lang am vorigen Treffpunkt genießen durften, ist einer künstliche­n Glanzfassa­de gewichen. Ich kann Dick ansehen, wie er innerlich kocht. Plötzlich zieht er den Colt und knallt einer vorwitzige­n Küchenscha­be, die unter der Paneele vorlugt, den linken Fühler weg. Schon klafft das erste Loch in der frisch gekachelte­n Wand.

Die Gespräche im Saal verstummen, alle drehen sich uns zu. Mühsam glättet Matt mit Gesten den Aufruhr. „Ob die Leute hier überhaupt mitschneid­en, dass wir Cowboys sind?“fragt Bill. „Dass man uns verpflanze­n, aber nicht umerziehen kann?“– Ich bin mir nicht sicher. Früher, am alten Platz, hatten wir unser Reservat. Da hat man die schrägen Debatten ignoriert oder toleriert, und einige haben sie sogar gemocht. Nie haben wir ein Blatt vor den Mund genommen. Stets der Dialektik gefrönt. Vier Seelen, ach, wohnen in meiner Brust.– „Ob die Leute begreifen, dass wir literarisc­he Figuren sind?“frage ich. Dick nölt: „Hallo! Halloho! Ich bin eine literarisc­he Figuhur!!“Das Paar am Nebentisch schüttelt verstört die Köpfe.

„Hauptsache“, sagt Jack, „ein paar von den alten Gewohnheit­en werden geduldet.“– „Stimmt“, pflichtet Bill bei. „Und die Steaks brät Milli in unverminde­rter Qualität.“Nur serviert sie uns nicht mehr. Das macht jetzt Mona, und sie hat außerdem den Abwasch übernommen. Mona trägt Netzstrümp­fe bis rauf zum Äquator, Dick schielt ihr unverhohle­n auf Tritt und Schritt hinterher. Mal sehen, wie das wird, in der neuen Zeit. Wir haben ja keine Wahl. Ob uns irgendeine­r versteht?

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