Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Fahnen-Klau bei politischer Demo
Gerichtsbericht: Raub odernurDiebstahl?
Raub ergibt sich aus Diebstahl und Nötigung und wird als Verbrechen hart bestraft – ein Jahr Gefängnis mindestens sieht der Gesetzgeber vor. Dem Erfurter Angeklagten wirft die Staatsanwaltschaft vor, an einem Junitag in Gotha eine Fahne geraubt zu haben. Er soll sie einer jungen Frau entwunden und sich angeeignet haben.
Für ihn, ein Mitglied einer linken Demonstration an jenem Tag in Gotha-West, stellt sich die Sache anders dar. Während die Demo vorbereitet wurde, seien ihm andere junge Leute mit einer schwarz-weiß-roten Fahne aufgefallen. Da habe er die Polizei gebeten, diese des Platzes zu verweisen, mehrmals und vergeblich. Schließlich habe er die Fahne einem Mädchen weggenommen. Für ihn stehe diese Fahne für Verbrechen der Nazis. Das sei sein Antrieb gewesen. Ein zweiter Beweggrund war für ihn Deeskalation. Diese Fahne, auf einem linken Protestmarsch, hätte für Zündstoff gesorgt. Er habe niemals vorgehabt, sie zu behalten. Eine Übergabe an die Polizei oder die Rückgabe an die Eigentümer wären Optionen gewesen. Doch dazu sei es nicht mehr gekommen.
Das heute 17-jährige Mädchen bestätigt, dass der Beklagte ihr die Fahne entrissen habe. Die Gruppe sei auf dem Weg zur Demo der NPD gewesen. Die Fahne sei eingerollt gewesen, was aber nicht gehalten habe. Aus diesem Grund hat die junge Frau versucht, sie erneut zu verpacken. Als sie damit fertig war, nahm sie ihr der Beklagte weg. Ihre Geschichte bestätigen im Zeugenstand die anderen Gruppenmitglieder. Unter den Zeugen ist auch ein Polizist, der an Ort und Stelle Dienst hatte. Er hielt den Fahnenraub zunächst für einen Spaß. Erst später, so der Polizist, bekam er mit, dass es sich um bitteren Ernst gehandelt habe. Er riet dem Mädchen, unbedingt Anzeige zu erstatten.
Verteidigung fordert Freispruch
Raub in einem minderschweren Fall, konstatierte die Staatsanwältin. Bei der Fahne handelt es sich laut Strafgesetzbuch um eine geringwertige Sache. Damit war für sie der Antrag auf eine Gefängnisstrafe vom Tisch. Vielmehr sprach sie sich für eine Geldstrafe aus, 180 Tagessätze zu je 30 Euro. Selbst dies erschien ihr in diesem Falle noch zu viel: Die Staatsanwältin forderte für den Angeklagten eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. Klappt das ohne Probleme, entfällt auch die Geldstrafe.
Dieser Antrag freut den Verteidiger, der allerdings – was den Raub betrifft – für seinen Mandanten Freispruch einfordert. Sein Argument: Der Beklagte habe zwar die Fahne an sich genommen, jedoch ohne jegliche Aneignungsabsicht. Aus seiner Sicht ist damit die Anklage wegen Raubes erledigt, allerdings bleibt Nötigung. Die, so der Anwalt, könne mit einer Geldstrafe geahndet werden.
Dieser Argumentation folgt das Schöffengericht unter Vorsitz von Richterin Ulrike Borowiak-Solka. Sie verurteilt den Angeklagten wegen einer Nötigung zu 50 Tagessätzen zu je zehn Euro.