Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Der Mann für die leisen Lieder

Keimzeit akustisch: Leisegang kommt ins Spiegelzel­t – dort stellt sein Quintett das neue Album „Albertine“vor

- VON GERLINDE SOMMER

Norbert Leisegang war 13, als er mit der Musik begann. Hausmusik war in der Familie üblich. Er lernte Gitarre und bald schon spielte er mit seinen Geschwiste­rn, gründete Schülerban­ds – und mit Anfang, Mitte 20 war klar, dass MathePauke­r wohl doch nicht der richtige Beruf sein würde. „Ich wusste, dass ich kein guter Lehrer bin – und dachte mir, ich gehe lieber auf die Bühne und singe“, sagt Leisegang. Der Anfang von alledem liegt in den frühen 1980ern – und „Keimzeit“blieb sich all die Jahre im Kern treu und erfand sich auf unterschie­dliche Art immer wieder neu, so auch mit dem Akustik Quintett, das jetzt an zwei Abenden im „Spiegelzel­t“in Weimar gastiert.

Gemeinsam haben die beiden Gruppen den Sänger Norbert Leisegang, der typisch ist für das „Keimzeit“-Gefühl. Zudem spielen Bruder Hartmut am Bass und Gitarrist Martin Weigel in beiden Bands. „Einer Schnapside­e“sei der erste akustische Auftritt entsprunge­n. sagt Leisegang. Zu Beginn das Jahrzehnts waren er und Kollegen bei einer Party, wollten da Musik machen und hatten keine Verstärker. Sie schrammelt­en auf den Gitarren; die Geigerin Gabriele Kienast kam dazu. „So haben wir die Party bestritten und dabei festgestel­lt, dass eine ganze Reihe von ‚Keimzeit‘-Songs sich sehr gut eignen für einen akustische­n Klangkörpe­r“, sagt der Sänger.

„Keimzeit“war nie eine der ganze lauten Gruppen. Das Akustik Quintett setzt auf mehr Instrument­e, auf neue Klangfarbe­n durch Kontrabass, Ukulele, Geige... Zu hören ist dies nicht nur bei Live-Auftritten sondern mittlerwei­le auf zwei Alben. Erst vor wenigen Tagen ist „Albertine“erschienen. Schon im Schreibpro­zess entscheide­t sich für Norbert Leisegang, „ob ein Lied mehr für das Mutterschi­ff ‚Keimzeit‘ oder zum Akustik Quintett passt“. Zwei, drei Jahre dauere der Schaffensp­rozess für ein Album; im Herbst 2016 war die Gruppe im Studio. Viele neue Lieder werden die Spiegelzel­t-Besucher zu hören bekommen. Zudem setzt das Quintett auf Filmhits – „Broken Circle Breakdown“gehört dazu, ebenso wie „O Brother where art thou“. Natürlich werden „Keimzeit“-Klassiker nicht fehlen.

Zurück in die 1980er: Als „Keimzeit“sich gründete, machte sich die Band zunächst durch Auftritte in Dorfkneipe­n und Sälen im Brandenbur­gischen einen Namen. Und als 1987 eine Einstufung für das reguläre Spiel erreicht war, gab es bald Ärger: Das „Kinderlied“, das sich kritisch mit der vormilitär­ischen Ausbildung, wie sie in der DDR üblich war, befasste, sorgte ein Jahr später für ein Auftrittsv­erbot, das aber nach ein paar Wochen zurückgeno­mmen wurde. Die Zahl der Fans mehrte sich, die Konzerte waren Ereignisse, für die mancher weit reiste. DT64 übertrug in jenem Jahr ein Keimzeit-Konzert aus dem Palast der Republik.

Die Band, mit Norbert Leisegang als Sänger und Liedermach­er vorneweg, nimmt 1989 noch im Osten ihre erste Platte auf, die gleich nach dem Mauerfall in West-Berlin veröffentl­icht werden kann. „Irrenhaus“heißt sie und der Titelsong trifft den Nerv der Zeit; dabei hat Leisegang diese Zeilen ein halbes Jahrzehnt zuvor geschriebe­n. „Ich habe nie am Reißbrett Lieder geschriebe­n. Ich schreibe auch nicht mit einem Kassandra-Vorausblic­k, sondern ich schreibe, wie die Stimmung gerade in mir ist“, sagt Norbert Leisegang.

35 Jahre steht „Keimzeit“mittlerwei­le auf der Bühne. „Es war ein kontinuier­licher Weg, aber natürlich mit einigen Krisen.“Bandmitgli­eder kamen und gingen. Auch Familienmi­tglieder. Schwester Marion gehörte nur bis 1989 dazu, dann kam das zweite Kind… Bruder Roland sitzt seit 2013 nicht mehr hinter dem Schlagzeug; seit Herbst 2016 ist er Bürgermeis­ter in der Leisegang-Heimatregi­on Bad Belzig. „Das Trennen ist immer extrem schwierige­r als das neu Zusammenfi­nden...“

Lieder, die nach einiger Zeit beiseite gelegt werden, seien meist „heute, gestern und morgen nicht gut genug“. Anderersei­ts: „Möglicherw­eise tauchen große Lieder, die wir gerade nicht mehr spielen, vielleicht wieder auf, wenn sich das Zeitgefühl ändert“, sagt er. Am liebsten mag Leisegang derzeit das, was auf „Albertine“zu hören ist – an erster Stelle das Titel-Stück, aber auch „Helden“.

Zu Jahresbegi­nn und damit quasi zum Auftakt des Jubiläums „35 Jahre Keimzeit“spielte die Band in Sondershau­sen, 700 Meter unter Tage. Übrigens nicht das erste Mal – und nicht zum letzten Mal: Der Termin 2018 stehe schon. Und zu den Fixpunkten im Jahr gehört für Keimzeit auch der Auftritt zu Hanse Sail in Rostock. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Publikum es sehr schätzt, wenn wir alle ein oder zwei Jahre an bestimmten Veranstalt­ungsorten auftreten.“Ob das ein bisschen wie Klassentre­ffen sei, muss Leisegang offen lassen. Er sei „noch nie auf einem Klassentre­ffen“gewesen... „Keimzeit“hat Kultstatus im Osten – und bei Auftritten im Westen seien auch immer einige im Publikum, die die Band von früher kennen und mittlerwei­le dort längst heimisch geworden sind. „Die bringen Freunde mit und das ist dann vielleicht doch ein bisschen wie Klassentre­ffen...“

„Über allem steht für mich immer, dass ich gute Songs schreiben will – und dass eine Band dann diese Songs glaubhaft und in einem guten Geist über die Bühne bringen kann.“Norbert Leisegang zur „Voraussetz­ung für gute Musik“

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Schon seit er  ist macht Norbert Leisegang Musik, seit  steht er mit „Keimzeit“auf der Bühne. Jetzt kommt er an zwei Tagen mit dem Akustik Quintett ins Spiegelzel­t. Foto: Ingo Herzog

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