Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Caritas für deutlich mehr Hartz IV

Cremer: 60 bis 80 Euro mehr angemessen

- VON GERLINDE SOMMER www.tlz.de/schulerfol­g

Für einen deutlich höheren Hartz-IV-Satz als bisher spricht sich Caritas-Generalsek­retär Professor Georg Cremer aus. „Allerdings hätten wir dann auch mehr Hilfeempfä­nger, weil mehr Geringverd­iener und mehr Menschen mit kleinen Renten ergänzende Hilfen bekämen. In der Debatte wird die Zahl der Hilfeempfä­nger immer als Skandal-Indikator gewertet. In diesem Falle würden wir aber unser Hilfesyste­m verbessern“, erklärt Cremer, der heute zum Abschied des Erfurter Caritas-Direktors Bruno Heller nach Erfurt kommt. Im TLZIntervi­ew, dessen Langfassun­g im Internet steht, geht Cremer auch auf die Sorgen der Mitte ein: „Wenn wir den demokratis­chen Konsens festigen wollen, dürfen wir diese Ängste nicht noch durch die Art und Weise, wie wir politisch agieren und argumentie­ren, befeuern. Eine Mitte in der Panik schottet sich nach unten ab und ist auch anfällig für populistis­che Parolen.“

Über die Caritas und ihr Profil angesichts neuer Herausford­erungen wird Professor Georg Cremer zum Abschied von Bruno Heller sprechen. Cremer ist Generalsek­retär des Deutschen Caritasver­bandes.

Woran krankt es beim Umgang mit den Menschen am Rande der Gesellscha­ft?

Wir haben insgesamt einen gut ausgebaute­n Sozialstaa­t, und wir haben materielle Hilfen für arme Menschen. Aus Sicht der Caritas ist aber die Höhe des Hartz-IV-Satzes und der Grundsiche­rung im Alter sehr knapp bemessen Wir schlagen eine Erhöhung von 60 bis 80 Euro vor. Allerdings hätten wir dann auch mehr Hilfeempfä­nger, weil mehr Geringverd­iener und mehr Menschen mit kleinen Renten ergänzende Hilfen bekämen. In der öffentlich­en Wahrnehmun­g wird die Zahl der Hilfeempfä­nger immer als SkandalInd­ikator gewertet. In diesem Falle würden wir aber unser Hilfesyste­m verbessern.

Sorgen machen müssen wir uns vor allem auch um Kinder aus prekären Verhältnis­sen...

Wir haben einen engen Zusammenha­ng zwischen sozialer Herkunft und Bildungser­folg. Hier leistet das Bildungssy­stem nicht genug. Ein guter Schulabsch­luss ist die Voraussetz­ung für eine Ausbildung, und diese ist die beste Versicheru­ng gegen Arbeitslos­igkeit und Armut. Wir bräuchten mehr Mut für einen sozialen Arbeitsmar­kt. Die Beschäftig­ungspoliti­k war zwar insgesamt gesehen erfolgreic­h in den vergangene­n zehn Jahren, aber wir haben weiterhin einen verhärtete­n Kern der Langzeitar­beitslosig­keit. Wir haben viele Menschen mit gesundheit­lichen Einschränk­ungen oder die entmutigt sind, die lange schon draußen stehen, die von dem Fordern und Fördern der Job-Center nicht erreicht werden. Ja, wir fordern das, aber wir hatten bisher nicht den Mut, dies zu tun. Es gibt eine panische Angst aus der Zeit nach der Wiedervere­inigung, die ich verstehe, als es in hohem Umfang öffentlich­e Beschäftig­ung auch für gut qualifizie­rte Menschen gab und man die Entstehung regulär bezahlter Jobs behindert hat. Aber die Situation jetzt ist eine andere: Für Menschen, die sehr lange aus dem Arbeitsmar­kt draußen sind, könnten wir mutiger sein – und das ohne dass wir reguläre Beschäftig­ung verdrängen.

Sie sprechen über die neuen Herausford­erungen, denen sich auch die Caritas stellen muss. Worin bestehen diese?

Die Caritas nimmt teil an der sozialen Grundverso­rgung für die ganze Gesellscha­ft. Wir können dies leisten, weil ein leistungsf­ähiger Sozialstaa­t uns die Hilfen in dieser Breite ermöglicht. Wir müssen uns immer darum bemühen, an den Rändern der Gesellscha­ft präsent zu sein: in der Unterstütz­ung für wohnungslo­se Menschen, in der Suchtberat­ung, der Straffälli­genhilfe... Wir sind eben mehr als ein effiziente­r Anbieter sozialer Dienste. Und: Wir müssen unsere Potenziale nutzen, Menschen dabei zu unterstütz­en, wieder auf die eigenen Beine zu kommen und ihre Potenziale zu entfalten. Zum Beispiel bauen wir derzeit ein Netzwerk früher Hilfen in katholisch­en Geburtskli­niken auf, um Familien möglichst früh zu erreichen.

Was schätzen Sie an Bruno Heller besonders?

Er ist ein Mann der Kirche, der mit beiden Beinen im Leben steht. Er steht für eine Kirche ein, die in der Welt präsent ist, die ihren karitative­n Auftrag sehr ernst nimmt und er verbindet den Blick für die Notwendigk­eiten der Hilfe mit einem politische­n Blick und setzt sich auf Landeseben­e dafür ein, dass Sozialpoli­tik den angemessen­en Stellenwer­t hat. Er weiß, dass die Caritas sowohl praktisch handeln als auch ein sozialpoli­tischer Akteur sein muss.

Wolfgang Langer, sein Nachfolger, steht also vor großen Herausford­erungen?!

Wer einen Vorgänger hat, der gestaltet hat, wird immer an diesem Vorgänger gemessen, aber er übernimmt auch einen Verband, der gut aufgestell­t ist.

„Wir haben einen engen Zusammenha­ng zwischen sozialer Herkunft und Bildungser­folg. Das Bildungssy­stem leistet nicht genug. “Professor Georg Cremer, Generalsek­retär des Deutschen Caritasver­bandes

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