Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Aspirin – gefährlich für Senioren?
Millionen schlucken die Tabletten, um Herzinfarkten vorzubeugen. MagenBlutungen sind eine mögliche Nebenwirkung
Meist soll Aspirin gegen Kopfschmerzen helfen. Aber rund 1,75 Millionen Deutsche schlucken den unter anderem in Aspirin enthaltenen Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) täglich in niedriger Dosierung – zur Vorbeugung gegen Herzinfarkt und Schlaganfall. Die Therapie gilt als bewährt.
Für über 75-Jährige birgt sie aber bisher als weniger gefährlich eingeschätzte Risiken, wie neue Ergebnisse der Oxford Vascular Study der britischen Oxford University zeigen, die jetzt im Fachblatt „The Lancet“veröffentlicht wurden. Die Wissenschaftler empfehlen nun, älteren Patienten automatisch ein weiteres Medikament zu verschreiben. Deutsche Experten sind skeptisch.
In Europa und den USA nehmen zwischen 40 und 66 Prozent der Senioren im Alter von 75 oder älter täglich 100 Milligramm ASS ein. Empfohlen wird die Einnahme laut der deutschen Gesellschaft für Kardiologie Menschen, die bereits einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten haben oder bei denen das Risiko dafür in den nächsten zehn Jahren bei über 20 Prozent liegt. Dass die tägliche Einnahme auf Dauer zu Blutungen vor allem im MagenDarm-Trakt führen kann, ist schon lange bekannt.
Ab 85 Jahren stirbt einer von 100 Patienten
„ASS ist eine saure Substanz, die sich bei regelmäßiger Einnahme in der Magenwand anreichern kann“, erklärt der Pharmakologe Prof. Thomas Eschenhagen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der auch im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung sitzt. Der Stoff blockiere in der Magenwand die Bildung bestimmter Hormone, der Prostaglandine, die für die ausreichende Durchblutung sorgen. „Außerdem kann der Magen die wichtige Schleimschicht nicht mehr ausreichend bilden, um sich gegen die eigene Magensäure zu schützen. So kann es zu ‚Verätzungen‘, Verletzungen der Oberfläche und im schlimmsten Fall zu Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren kommen, die bluten. Zu allem Überfluss werden Blutungen durch ASS auch noch verstärkt, weil der Stoff die Blutplättchen daran hindert zu verklumpen“, so der Mediziner. Bei jüngeren Patienten sei das Risiko einer solchen Blutung durch die tägliche Einnahme von ASS etwa verdoppelt und damit in den meisten Fällen immer noch sehr niedrig.
Dass sich dieses Verhältnis in höherem Alter jedoch ändert, zeigt nun die Auswertung der britischen Ärzte für die Oxford Vascular Study. Zwischen 2002 und 2012 beobachteten sie 3166 Patienten, die in dieser Zeit wegen Herzinfarkt oder Schlaganfall im Universitätsklinikum Oxford behandelt wurden. Ab 75 stieg demnach das Risiko, eine Blutung zu erleiden, die zu schweren Behinderungen oder sogar zum Tod führt, dramatisch an. Im Alter von 75 bis 79 starb einer von 200 Patienten, ab 85 bereits einer von 100 an den Folgen der Blutungen. „Medikamente dürfen nicht schaden, wenn das Blutungsrisiko irgendwann höher ist als das verminderte Herzinfarktrisiko, ist die Gabe nicht mehr sinnvoll“, sagt Eschenhagen.
Statt die Medikation mit ASS auszusetzen, empfehlen die Autoren aus Oxford für die älteren Patienten die zusätzliche Verschreibung von sogenannten Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) als Magenschutz.
Bislang sei das nicht gängig, da die Risiken von Aspirin für Ältere möglicherweise unterschätzt und Nebenwirkungen von PPI als schwerwiegender eingeschätzt worden seien, heißt es in der „The Lancet“-Verö ffentlichung.
Auch in Deutschland stehen PPIs in der Kritik. Zu häufig würden die Mittel schon bei Beschwerden wie unkompliziertem Sodbrennen verschrieben, erklärte die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie zu Beginn des Jahres. Dabei können auch die Magenschützer schwere Nebenwirkungen haben. Besonders für Ältere sind gefährliche Darminfektionen sowie Osteoporose nur zwei davon. Trotzdem nehmen rund elf Millionen Deutsche die Mittel täglich, wie aus dem Arzneiverordnungsreport 2016 hervorgeht. Eine Zahl, die dafür sprechen könnte, dass deutsche Ärzte ihren Herzinfarktpatienten ohnehin schon vorsorglich PPIs verschreiben, obwohl dies bislang in keiner Richtlinie steht, vermutet Eschenhagen.
„Grundsätzlich würde ich das nicht empfehlen“, so der Experte, „die neuen Ergebnisse aus Oxford zeigen aber, dass die Gabe für ältere, besonders gefährdete Patienten doch Sinn machen könnte.“Bevor so eine Empfehlung aber in die Behandlungsrichtlinie aufgenommen werden könne, müssten zunächst weitere Untersuchungen den Effekt belegen. „Es wäre wichtig, diese Frage für Deutschland zu untersuchen“, ist der Pharmakologe überzeugt.