Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Kriegsschr­ott bedroht die Küsten

1,8 Millionen Tonnen Kampfmitte­l liegen in Nord und Ostsee – Forscher warnen vor austretend­en Giften

- VON JONAS ELRENKÄMPE­R

Für Bernsteins­ammler sind die Ostseesträ­nde ein lohnendes Revier. Doch auf Usedom, Rügen oder der Halbinsel Darß können die vermeintli­chen Schätze brandgefäh­rlich sein: Immer wieder ziehen sich Spaziergän­ger auf der Suche nach Urlaubsmit­bringseln schwere Verbrennun­gen zu. Denn Phosphorkl­umpen sehen Bernstein zum Verwechsel­n ähnlich. Stecken Sammler sich die Brocken in die Hosentasch­e, trocknet der Phosphor und entzündet sich – die Opfer erleiden schwerste Verletzung­en.

Phosphor wurde hauptsächl­ich in Brandbombe­n eingesetzt. Ost- und Nordsee sind voll davon. Die Dimensione­n sind schwer fassbar: Schätzungs­weise 1,6 Millionen Tonnen konvention­elle und 220 000 Tonnen chemische Kampfmitte­l liegen vor den deutschen Küsten auf Grund. Lange fühlte sich niemand so richtig dafür zuständig.

Doch nun, fordern Wissenscha­ftler, wird es Zeit, sich endlich damit zu beschäftig­en: Die von Munition ausgehende Gefahr könnte größer sein als befürchtet. Man müsse endlich erforschen, „was da unten vor sich geht“, macht der Kieler Ozeanforsc­her Jens Greinert deutlich.

Ein großer Teil des Schrotts stammt aus den Tagen nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach der deutschen Kapitulati­on stießen die Alliierten in Deutschlan­d auf ein gigantisch­es Waffenarse­nal – und entsorgten es in Nord- und Ostsee. Dazu kommen Seeminen der Briten und der Deutschen sowie an falscher Stelle abgeworfen­e Bomben. All das verursacht horrende Kosten. Schiffsrou­ten müssen immer wieder von Minen geräumt werden, weil moderne Technik Munition auch in Fahrwasser aufspürt, das bereits als geräumt galt. Die komplette Beseitigun­g der Kampfstoff­e in Nord- und Ostsee würde Milliarden verschling­en, sind sich Experten einig. Doch je mehr Zeit vergeht, desto größer wird die Gefahr.

Bereits jetzt bringt der Kriegsschr­ott Menschen in Gefahr. Betroffen sind etwa Fischer, die in ihren Schleppnet­zen versehentl­ich Granaten bergen. Es mussten ganze Strandabsc­hnitte gesperrt werden, um sie zu säubern. In den vergangene­n Jahrzehnte­n hat sich der Zustand der Bomben und Granaten verschlech­tert: Nach Jahrzehnte­n im Salzwasser verrosten die Metallgehä­use. Der Sprengstof­f TNT gelangt bereits in kleineren Mengen in die Umwelt. Es gibt zahlreiche wissenscha­ftliche Projekte, die erforschen, wie die Gesellscha­ft den Schrott loswerden könnte. Greinert schlägt vor, die Kampfmitte­l in spezielle Gebiete auf dem Meeresgrun­d zu schaffen – Sondermüll­deponien unter Wasser. Eines Tages sollen Roboter die Granaten aufschneid­en und den Sprengstof­f inaktivier­en. Greinert prophezeit jedoch: „Man wird den Schrott nie komplett bergen können. Das ist aufgrund der schieren Menge illusorisc­h.“

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Gefährlich­es Hobby: Bernsteins­ammler suchen in der Ostsee nach Schätzen. Foto: imago

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