Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Nicolás Pasquet wird 60
Ein Gespräch mit Professor Nicolás Pasquet, der seit 24 Jahren an der FranzLisztHochschule lehrt
Seinen 60. Geburtstag begeht heute Professor Nicolás Pasquet, der an der Franz-Liszt-Hochschule maßgeblichen Anteil an den Erfolgen der „Weimarer Dirigentenschmiede“trägt. Bereitwillig stand er uns Rede und Antwort über die Geheimnisse seines Berufs. Einige ehemalige Schüler erinnern sich an ihre Ausbildung bei ihm. (wohi)
Seit 24 Jahren bekleidet Nicolás Pasquet eine Dirigier-Professur an der FranzLiszt-Hochschule und gilt somit als einer der Hauptverantwortlichen für die Erfolge der „Dirigentenschmiede von Weimar“. Auf den Tag genau vor 60 Jahren in Montevideo (Uruguay) geboren, hat Pasquet selbst in Stuttgart und Nürnberg studiert, bevor er Positionen als Chefdirigent bei den Orchestern in Pécs (Ungarn), Neubrandenburg und Coburg übernahm. Heute gastiert er noch als freischaffender Konzertdirigent und erweitert gelegentlich seine breite Diskographie. Wir sprachen mit ihm.
Würden Sie Ihren Platz an der Hochschule eintauschen gegen eine Position bei einem großen Orchester, zum Beispiel in Berlin?
Diese Entscheidung, in die zweite Reihe zu treten und fortan die Erfolge meiner Studenten auch ein stückweit als die meinigen zu verbuchen, habe ich vor 25 Jahren getroffen. Das fiel mir damals nicht leicht, aber die Familie war sehr glücklich darüber. Deshalb könnten mich solche Angebote heute nicht mehr reizen.
Ist das wirklich die zweite Reihe?
Natürlich. Auf den großen Bühnen der Welt stehe ich zwar im Geiste hinter meinen Studenten, wenn sie sich vor dem Publikum verbeugen, aber sie sind es, die den Applaus und die Blumen entgegennehmen. Und das ist auch richtig so.
Was hat sich in diesem Vierteljahrhundert auf den Karrierewegen für Dirigenten geändert?
Ein wichtiger Unterschied ist, dass die Ausbildung viel besser geworden ist, so dass die Nachwuchs-Dirigenten, die auf den Markt drängen, immer jünger und immer besser geworden sind. Ebenso sind die Ansprüche der Orchester immer differenzierter und die Faktoren, die eine Laufbahn bestimmen, noch subtiler geworden. Heute arbeitet man sich entweder in der klassischen „Ochsentour“am Theater vom Korrepetitor zum Kapellmeister und zum GMD hoch, oder man gewinnt große Wettbewerbe, erzielt eine hohe mediale Präsenz und kommt bei einer namhaften Künstleragentur unter. Ohne Agenten stünde man heute als Konzertdirigent auf verlorenem Posten.
Viele Dirigenten werden gehypt?
Das ist leider so. Bei allen großen Wettbewerben sitzt eine Schar von Agenten im Publikum, Nicolás Pasquet, Dirigent und Lehrer aus Leidenschaft.
um danach bei den Preisträgern Schlange zu stehen. Das gereicht nicht immer zum Wohle der Kandidaten, weil einige von ihnen innerhalb kürzester Zeit überfordert und „verbrannt“werden. Das Geschäft
kennt kein Mitleid, denn Agenten wissen: Nächstes Jahr gibt es wieder neue Preisträger.
Das heißt: Man wird genötigt, Mahlers Fünfte zu dirigieren, obwohl man sich lieber noch nicht damit beschäftigen würde?
So ist es. Es gibt allerdings auch verantwortungsvolle Agenturen, die eine Karriere behutsam aufbauen, weil sie auf lange Sicht und dann möglichst lange mit einem Künstler Geld verdienen wollen.
Wie bereiten Sie Ihre Studenten auf diese Klippen vor?
Man kann ihnen nur, so gut es geht, zur Seite stehen. Wir „machen“ ja keine Dirigenten. Bestenfalls können wir Lehrer ein gutes Händchen dafür haben, Talente zu entdecken und an uns zu binden. Was dann folgt, ist eine vier- bis achtjährige Ausbildung mit einer stark individuell ausgerichteten Mentorenschaft jedes Einzelnen. Natürlich gehören sehr viel Technik, Stilistik und analytische Bildung dazu und sehr viel Orchesterpsychologie. Das sind Werkzeuge unseres Berufs. Das Wichtigste ist, das heilige Feuer, das in uns lodert, am Brennen zu halten.
Wie kriegt man überhaupt einen Studienplatz?
Durch eine 20-minütige Aufnahmeprüfung im Hauptfach plus den instrumentalen, vokalen und theoretischen Fächern. Alle müssen bestanden werden. In diesen 20 Minuten entscheiden wir Lehrer, ob ein Kandidat zum Dirigierfach berufen ist oder nicht; das ist das Schwerste – eine Lebensentscheidung.
Die Kandidaten verstehen bereits viel von Musik. Welche Eigenschaften benötigen sie außerdem?
Sie müssen eine Persönlichkeit haben, die uns fasziniert. Wenn das der Fall ist und die technisch-musikalische Vorbildung – an ihrem Hauptinstrument, am Klavier, in Musiktheorie – sehr gut ist, stellen wir sie in einer zweiten Runde vor ein Orchester, um herauszufinden, ob sie in einer solchen Situation überhaupt überleben würden. Haben sie die Fähigkeit, sich mitzuteilen? Können sie andere Menschen in ihren Bann ziehen? Ein Alphatier muss man schon sein, wenn man Dirigent werden will, und das muss mit einer Menge Demut gepaart sein: zu wissen, man ist nur Diener an der Musik.
Früher gab es Dirigenten, die eine harte Ansprache bei Proben führten. Würden solche Toscaninis heutzutage scheitern?
Vermutlich. Die Orchestermusiker möchten auf Augenhöhe respektiert werden – nicht zuletzt, weil auch ihre Ausbildung inzwischen auf sehr hohem Niveau stattfindet. Allerdings möchten sie auch einen vorne stehen haben, der sagt, wo es langgeht. Dennoch macht der Ton die Musik, sie wollen einen Dirigenten für sein Können schätzen lernen und nicht für sein Aufbrausen. Dann entsteht gegenseitiger Respekt.
Wie kommt es, dass die Dirigentenausbildung in Weimar solche Erfolge zeitigt?
Wir sind nicht die einzigen. Zurzeit habe ich ein Freisemester und pilgere von Helsinki nach Zürich und von Wien nach Bloomington, um die dortige Dirigierausbildung anzuschauen und neue Ideen zu gewinnen. Vielleicht ist diese Neugierde, die ich mit meinen Kollegen teile, auch ein Teil des Erfolgs. Entscheidend ist aber die Praxis: dass uns die Jenaer Philharmonie und die Thüringen Philharmonie Gotha mit Probendiensten zur Seite stehen, dass wir vier Partnerorchester in Tschechien und ein eigenes Probenorchester aus Studierenden an der Hochschule haben und dass auch die Staatskapelle Weimar uns einmal pro Semester einen Probentag schenkt.
Der übrige Unterricht besteht darin, einen Pianisten zu dirigieren?
Entweder das, oder es wird stumm gearbeitet. Das heißt: Der Studierende steht vorn und dirigiert mir zum Beispiel Beethovens „Eroica“vor. Wenn ich alles erkenne, jedes Detail und jede Phrasierung, dann ist ein wesentliches Ziel erreicht. Ein Dirigent muss sein Bild von einem Stück in seinem Kopf schon fertig haben und es so in seinen Bewegungen ausdrücken können, dass das Orchester ihn versteht und es in Musik umsetzen kann.
Was korrigieren Sie dann im Unterricht?
Wir sprechen über Interpretation, über Phrasierung, über Technik, über Menschenführung.
Das Bewegungsrepertoire einiger Konzertdirigenten ist weitaus exaltierter als bei Kapellmeistern ...
Im Orchestergraben ist einfach viel mehr organisatorische Arbeit erforderlich, da ist kapellmeisterliches Handwerk gefragt, um Bühne und Graben zusammenzuhalten. Während man im Sinfonischen nicht diese Verantwortung hat und eine absolute Musik dirigiert, die man dem Publikum ohne Worte nahebringen muss.
Da ist auch ShowEffekt mit dabei?
Wenn man das will. – Ich finde, man muss gut aussehen in dem, was man macht; aber wenn nicht die Musik im Mittelpunkt steht, sondern der Dirigent, dann macht er etwas falsch. Die Menschen merken sehr schnell, was an Exaltation ehrlich entsteht und was aufgesetzt ist.
Als Hochschullehrer brauchen Sie viel Geduld und Toleranz. Es kann nicht Ziel sein, dass alle so werden wie Sie?
Um Gottes Willen! Nichts wäre schlimmer als das. Mein Motto, das ich immer meinen Studenten sage, heißt: Mach‘ was du willst; aber mache es gut!