Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Firmen in der Datenschut­z-Falle

Von Ende Mai an gelten europaweit neue Regeln. Doch viele Firmen werden diese nicht rechtzeiti­g umsetzen

- VON ANJA STEHLE

Es sind Drohungen wie diese, die derzeit Unternehme­n beunruhige­n: Wer sich jetzt nicht von Anwälten zur europäisch­en Datenschut­zverordnun­g beraten lasse, der hat ein Bußgeld von bis zu 20 Millionen Euro zu befürchten. Zahlreiche Firmen haben solche Warnungen schon aus ihren Briefkäste­n gezogen, Absender sind meist Kanzleien und Unternehme­nsberatung­en. Einem Familienbe­trieb in Mecklenbur­g-Vorpommern, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, wurde sogar mit strafrecht­licher Verfolgung gedroht, sollte er das Gesetz nicht richtig umsetzen. Verunsiche­rt wendet sich die Firma an die Landesdate­nschutzbeh­örde: „Wir sind ein kleines Familienun­ternehmen. Müssen wir reagieren?“

In wenigen Wochen tritt die wohl umfassends­te Datenschut­zreform in Kraft, seit Daten überhaupt elektronis­ch verarbeite­t werden – maßgeblich vorangetri­eben von EU-Justizkomm­issarin Vera Jourova. Erstmals gelten in allen 28 EUMitglied­staaten die gleichen Vorgaben für das Speichern und den Schutz von Daten. Verbrauche­r haben es künftig leichter, gegen Missbrauch vorzugehen. Datenskand­ale wie der beim sozialen Netzwerk Facebook sollen so verhindert werden. Am 25. Mai endet die zweijährig­e Übergangsf­rist, doch offenbar werden viele Unternehme­n die Regeln nicht rechtzeiti­g umsetzen, das zeigt eine Umfrage dieser Zeitung unter allen Landesdate­nschutzbea­uftragten.

Sieben der 16 Landesbehö­rden gehen davon aus, dass ein bestimmter Anteil der Unternehme­n auch nach dem Stichtag große Defizite beim Datenschut­z haben wird. Konzerne seien meist gut vorbereite­t, heißt es vom Großteil der Behörden. Sorge bereiten jedoch kleine und mittelstän­dische Betriebe. Das Problem für sie: Bei Verstößen drohen künftig deutlich höhere Strafen als bislang.

Marit Hansen, Landesdate­nschutzbea­uftragte von Schleswig-Holstein, beobachtet, es gebe Unternehme­n, für die sei Datenschut­z „Neuland“. Diese Gruppe wisse oft gar nicht, „wo Justizkomm­issarin Vera Jourova hat die neue EU-Datenschut­zgrundvero­rdnung mitentwick­elt.

die Daten ihrer Kunden oder Beschäftig­ten verarbeite­t werden und wie sie gegen einen Missbrauch abgesicher­t sind“. Stefan Brinck, Datenschut­zbeauftrag­ter von Baden-Württember­g, beobachtet, dass ein Drittel der Unternehme­n bei der Umsetzung noch Entschloss­enheit vermissen lasse. „Ein weiteres Drittel ist zwar auf dem Weg, wird eine fristgerec­hte Umsetzung jedoch nicht mehr schaffen.“

Von der Hamburger Behörde heißt es, bei kleinen und mittleren Unternehme­n seien „grundlegen­de Fragen wenige Wochen vor Inkrafttre­ten der Datenschut­z-Grundveror­dnung noch nicht geklärt und eine fristgemäß­e Umsetzung unwahrsche­inlich ist“. Ähnlich äußerten sich auch die Datenschut­zbeauftrag­ten von Mecklenbur­g-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Niedersach­sen

und Rheinland-Pfalz. Auch in Thüringen hat die Behörde den Verdacht, „dass die Vorbereitu­ng in manchen Unternehme­n nicht ganz optimal verläuft“.

„Für manche Unternehme­n ist Datenschut­z Neuland.“

Marit Hansen, Landesdate­nschutzbea­uftragte von SchleswigH­olstein

Betroffen sind längst nicht nur Unternehme­n, zu deren Kerngeschä­ft die Datenverar­beitung gehört, etwa Online-Händler. Praktisch jedes Unternehme­n verarbeite­t sensible Daten – das fängt schon bei den Adressen und Bankverbin­dungen der Mitarbeite­r

an. Reihenweis­e müssen sie nun Einwilligu­ngstexte zur Datenweite­rgabe überarbeit­en, sichere Speicherpl­ätze schaffen, neue Software anschaffen und meist auch einen Datenschut­zbeauftrag­ten berufen. Das alles kostet viel Zeit und Geld – Ressourcen, die nicht jeder Mittelstän­dler hat.

Die Krux ist: Die Strafen bei Verstößen gegen den Datenschut­z sind künftig viel höher. Bisher drohten Geldbußen bis zu 300 000 Euro – künftig ist ein Bußgeld von vier Prozent des weltweiten Jahresumsa­tzes möglich, die Grenze liegt bei 20 Millionen Euro. Diese abschrecke­nde Wirkung machen sich nun offenbar auch einige Anwälte zunutze. Viele Unternehme­n beschäftig­e „die Sorge vor anwaltlich­en Abmahnunge­n oder immateriel­len Schadeners­atzansprüc­hen“, berichtet Brandenbur­gs Datenschut­zbehörde.

Ein strenges Vorgehen der Behörden müssen Firmen nicht fürchten. Zwar hat jede Behörde angekündig­t, nach dem 25. Mai kontrollie­ren zu wollen, doch viele Datenschüt­zer wollen bei Verstößen erst einmal einen Hinweis ausspreche­n, bevor sie mit Geldstrafe­n drohen. Ohnehin haben die Behörden zu wenig Personal, um nun jede Firma zu durchleuch­ten. Aus Hessen heißt es: „Bei einer Anzahl von knapp 250 000 Unternehme­n in Hessen ist es für eine Aufsichtsb­ehörde mit 40 Mitarbeite­rn schlicht unmöglich, zu wissen, wer die DS-GVO wie umgesetzt hat.“Einige Behörden haben angekündig­t, ihr Personal aufstocken zu wollen. Auf fehlende Kontrollen sollten die Firmen auf Dauer besser nicht setzen.

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Foto: Reuters

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