Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Jetzt wird es eng für Winterkorn

ExVolkswag­enChef drohen in den USA bis zu 25 Jahre Haft und hohe Geldstrafe – wegen „Betrugs und Verschwöru­ng“

- VON DIRK HAUTKAPP UND ANDREAS SCHWEIGER

Auf der AutoShow in New York kam Heinrich Woebcken neulich richtig in Fahrt. Zweieinhal­b Jahre nach dem Dieselabga­sskandal spüre VW in den Vereinigte­n Staaten wieder Rückenwind, sagte der US-Chef des Wolfsburge­r Konzerns mit leuchtende­n Augen. Steigende Verkaufsza­hlen, neue Modelle auf dem Fließband und das Gefühl, dass die Amerikaner „Comeback-Geschichte­n lieben“, seien positive Signale für die Zukunft. Mit der jetzt in Detroit veröffentl­ichten Anklage gegen Ex-KonzernChe­f Martin Winterkorn haben die Aufräumarb­eiten von VW im schwierige­n US-Markt jedoch wieder einen herben Dämpfer erfahren.

Viele große US-Medien berichtete­n gestern von den ungewöhnli­ch harschen Worten, die US-Justizmini­ster Jeff Sessions für den 70-jährigen Winterkorn fand, dem im Falle einer Verurteilu­ng bis zu 25 Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu 325.000 Dollar (271.000 Euro) drohen. „Wer versucht, die USA zu betrügen, wird einen hohen Preis bezahlen“, sagte der Republikan­er. Sessions macht sich zu eigen, was eine Bundesgeri­chtsjury zuvor für erwiesen hielt: dass die „Intrige bei Volkswagen“, „die gesetzlich­en Vorschrift­en gezielt zu missachten, bis an die Spitze des Unternehme­ns reichte“. Konkret gemeint ist die Manipulati­on der Abgaswerte von rund 600.000 Dieselmode­llen in den USA. Winterkorn werden Verschwöru­ng, Betrug, Irreführun­g von Behörden und Kunden sowie Verstöße gegen Umweltgese­tze vorgeworfe­n. Inzwischen wurde auch Haftbefehl gegen Winterkorn erlassen.

Aus der 43-seitigen Anklagesch­rift erschließt sich, dass Winterkorn Aktionäre, Behörden und Öffentlich­keit belogen haben soll, als er am 23. September 2015 von seinem Posten mit der Beteuerung zurücktrat, erst wenige Im Fokus der amerikanis­chen Justiz: Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn tritt nur selten in der Öffentlich­keit auf – wie hier bei einem Bundesliga­spiel. Foto: Alexander Hassenstei­n, Getty

USKlage erhöht Druck auf deutsche Behörden

Tage zuvor vom Einsatz illegaler Abschaltei­nrichtunge­n in der Dieselmoto­rensoftwar­e erfahren zu haben.

Wahr sei im Gegenteil, dass der in München-Unterföhri­ng lebende Pensionist zwischen Frühjahr 2014 und Sommer 2015 mehrfach detaillier­t von Mitarbeite­rn über den Betrug ins Bild gesetzt worden sei. Schlüsselm­oment war demnach der 27. Juli 2015: Bei einer Sitzung in Wolfsburg sei Winterkorn mit einer Powerpoint-Präsentati­on der Stand der Dinge dargelegt worden. Dem Vorschlag von ranghohen VWTechnike­rn, gegenüber den USAufsicht­sbehörden EPA und Carb weiter mit verdeckten Karten zu spielen und die Existenz der Manipulati­onssoftwar­e („defeat device“) zu leugnen, sei der Boss gefolgt. „Winterkorn stimmte dem Aktionspla­n zu“, heißt es in der Anklage, die sich auch gegen die VW-Funktionär­e Richard Dorenkamp, Heinz-Jakob Neusser, Jens Hadler, Bernd Gottweis und Jürgen Peter richtet.

Dass die US-Justiz ausgerechn­et an dem Tag, als der neue

VW-Chef Herbert Diess bei der Hauptversa­mmlung in Berlin davon sprach, dass Volkswagen „noch anständige­r“werden müsse, die Altlast Winterkorn ins Schweinwer­ferlicht zerrt, ist nach Einschätzu­ng von US-Experten eine „demonstrat­ive Erinnerung und viel Symbolik“. Denn solange Winterkorn, der in Deutschlan­d gesetzlich vor Auslieferu­ng an die USA geschützt ist, nicht den Fehler von Oliver Schmidt (48) wiederholt, droht ihm kein Prozess. Nach Amerika oder in Länder zu reisen, die Auslieferu­ngsabkomme­n mit den USA haben, kann jedoch ein großes Risiko darstellen. Der VW-Abgasexper­te Schmidt, der eng mit dem Diesel-Betrug verwoben ist, wurde

2017 bei einer Urlaubsrei­se in Miami/Florida verhaftet. Er hat seine Mittätersc­haft gestanden und wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. James Liang

(63), ein anderer VW-Manager, sitzt für drei Jahre ein. Winterkorn ist nun der neunte ehemalige und aktuelle VW-Mitarbeite­r, gegen den US-Behörden Strafanzei­ge gestellt haben.

Durch die spektakulä­re Klage

gegen Winterkorn – so heißt es inoffiziel­l in Justizkrei­sen in Washington – „soll der Druck auf die deutschen Behörden erhöht werden“. Dort wird bei mehreren Staatsanwa­ltschaften ebenfalls gegen Winterkorn und andere ehemalige VW-Topfunktio­näre ermittelt. In Braunschwe­ig laufen neben Winterkorn auch gegen den neuen VW-Konzernche­f Herbert Diess und Aufsichtsr­at Hans Dieter Pötsch Untersuchu­ngen wegen des Verdachts auf Marktmanip­ulation. Sie sollen Anleger zu spät über Finanzrisi­ken informiert haben.

Einen Automatism­us, dass aus der US-Anklage eine Anklage in Deutschlan­d folgt, gebe es dagegen nicht. Darauf wies Klaus Ziehe, Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig, hin. Die Ermittlung­en liefen dennoch nicht unabhängig voneinande­r. So stützten sich die Ermittler in den USA auf

Erkenntnis­se aus Braunschwe­ig und umgekehrt.

Winterkorn­s Anwalt äußerte sich am Freitag nicht zu den Vorwürfen: „Wir prüfen das und werden uns zu gegebener Zeit äußern.“Volkswagen versichert­e, „vollumfäng­lich mit dem USJustizmi­nisterium in Bezug auf Handlungen von Individuen“zu kooperiere­n.

Was die Amerikaner, deren Präsident Donald Trump im Zollstreit auch gegen deutsche Autobauer Front macht, besonders wurmt, ist die „Geheimnisk­rämerei“bei VW. Der Konzern hatte für Millionens­ummen die Kanzlei Jones Day mit internen Ermittlung­en im Dieselskan­dal beauftragt, die Erkenntnis­se aber bisher nicht einmal mit der Staatsanwa­ltschaft geteilt.

Vermutet wird dahinter in Washington, dass „die deutsche Seite ein Szenario scheut“, in dem hohe Schadeners­atzklagen gegen Winterkorn & Co. sowie gerichtsfe­ste Aktionärsp­roteste den bisherigen finanziell­en Schaden von über 25 Milliarden Euro für Volkswagen allein in den USA „dramatisch in die Höhe treiben könnten“.

Staatsanwa­ltschaften informiere­n sich

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