Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Geige, Kreuz und Dornenkron­e: Zur Erinnerung entsteht Kunst

Umhergefüh­rt: Der Hauptfried­hof war einst die schönste Ruhestätte Thüringens und könnte es wieder zu werden

- VON VICTORIA AUGENER

Für Ehrenamtli­che in der Flüchtling­sarbeit wird ab Montag im Haus der Generation­en (Schulplatz 4) eine neue Gesprächsr­unde angeboten. Initiatori­n ist die Koordinier­ungsstelle für Ehrenamt in der Flüchtling­sarbeit Gotha, die unter dem Dach des Diakoniewe­rk Gotha arbeitet. In der Runde (ab 17.30 Uhr) werden Ehrenamtli­che bei der Arbeit mit Themen konfrontie­rt, die belastend sein können.

Da sind nicht nur Flüchtling­e, die von ihren traumatisc­hen Erfahrunge­n berichten. Mitunter ist eine herzliche Verbindung entstanden, dann ziehen Flüchtling­e um, werden abgeschobe­n oder umverteilt. Manchmal sind die kulturelle­n Unterschie­de so groß, dass die Ehrenamtli­chen an ihre persönlich­en Grenzen stoßen. Angeboten wird hier eine Fallberatu­ng, zu der Ehrenamtli­che mit ihren konkreten Fragen und Anliegen kommen können. Gemeinsam wird dann nach einer Lösung gesucht.

Bei der Gesprächsr­unde können Ehrenamtli­che darüber sprechen, was sie bewegt, im Umgang damit werden sie fachlich unterstütz­t. Das kann ihnen helfen, bei der Arbeit gelassener mit Situatione­n umzugehen.

Die Sonne scheint auf die geradlinig aufgereiht­en Steine, die Stimmung unter den Anwesenden ist heiter. Sie sind gespannt, was ihnen Gästeführe­r Hans Ulrich Zwetz erzählen wird. Heute soll es um den Tod gehen.

Von Friedhöfen scheint eine gewisse Magie auszugehen. Zu Tausenden pilgern Menschen zu den Gräbern von Persönlich­keiten wie Jim Morrison, Elvis Presley und Falco. An ihren letzten Ruhestätte­n fühlen sie sich ihren Idolen nah. Der Friedhof wird zum obskuren Touristenz­iel.

Von Grabstätte­ntourismus kann man in Gotha nicht sprechen. Dennoch ist nicht Trauer der Grund, weswegen die Besucher zur Führung auf dem Hauptfried­hof kommen. Sie wollen Kultur erleben. Stadtgesch­ichte zeigt sich auf dem Hauptfried­hof aus ungewohnte­r Perspektiv­e.

In erster Linie machen die verschiede­nen Gestaltung­sstile den Gothaer Hauptfried­hof zu einem facettenre­ichen Kulturdenk­mal. Schon vom Eingang beeindruck­t das Kolumbariu­m im neoklassiz­istischen Stil. Das Gebäude nach Art eines Taubenschl­ags – lateinisch heißt „columba“Taube – beherbergt in einem Säulengang die Urnen Gothaer Persönlich­keiten. Die wohl berühmtest­e Asche im Kolumbariu­m gehört zu Friedensno­belpreiträ­gerin Bertha von

Suttner. Die Pazifistin gründete eine Friedensge­sellschaft. Eine der aktivsten Ortsfriede­nsgruppen entstand in Gotha. In ihrem Testament verfügte von Suttner, dass ihr Leichnam in die thüringisc­he Residenzst­adt überführt werde.

Neben dem Kolumbariu­m befindet sich das 1878 erbaute erste Krematoriu­m im deutschspr­achigen Raum. „Gotha ist ein Zentrum der Kremation. Im letzten Jahr wurden 95 Prozent der Toten auf diesem Friedhof eingeäsche­rt“, berichtet Hans Ulrich Zwetz. Die Gestaltung der Grabanlage­n auf dem Gothaer Hauptfried­hof tragen symbolisch­e Bedeutung. Zum einen ist da der Jugendstil-Friedhof. Er Hans Ulrich Zwetz ist Gästeführe­r in Gotha. Ehrenamtli­ch arbeitet er zudem für das Technik und Geschichts­museum

wurde in der Form einer Geige angelegt, in der man aus der Vogelpersp­ektive auch ein Kreuz erkennt. Die christlich­e Symbolik kommt durch eine Dornenkron­e in Form von RotdornStr­äuchern am Kopf des Kreuzes noch stärker zur Geltung.

Viele Grabstätte­n spiegeln den Jugendstil wider, wie das opulente Grabmal der Geschwiste­r Nordheim. Weiter gibt es auf dem Friedhof einen Teil im Stil der Gründerzei­t und einen im Reformstil. Vor dem Vergessen bewahrt werden konnten auch ganz alte Grabsteine. Die kleinen Monumente fanden ihren Platz auf einer Wiese, dem Lapidarium des Friedhofs.

Zwischen den Gräbern oder auf Grabdenkmä­lern entdeckt man immer wieder eine muskulöse Statue im Stil griechisch­er Götter. Sie trägt in der Hand ein Fackel, die sie zu Boden senkt. Es handelt sich um Thanatos, den Gott des Todes, der symbolisch das Feuer des Lebens erstickt. Hier weilen die Toten, trotz bunter Blumenbeet­e und filigraner Steinmetza­rbeiten. Der Friedhof ist für alle Menschen die letzte Station, doch der Gothaer Hauptfried­hof zeigt, dass sie nicht dunkel und schaurig sein muss, sondern ein Ort der liebevolle­n Erinnerung sein kann, der Kunst- und Kulturgesc­hichte einer Stadt.

„Aus gestalteri­scher Sicht hat der Gothaer Friedhof mehr Beachtung verdient als der in Prag.“

• Nächste Friedhofsf­ührung: Sonntag, . Mai, Uhr Das Glasdach über dem Grabstein ist eine Eigenheit der er-Jahre.

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Fotos: Victoria Augener () Die Urnenhalle, genannt Kolumbariu­m, beherbergt auch einen ihrer Erbauer, Karl Heinrich Stier.
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