Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Ein Riesendurcheinander: Hoffnungen und Enttäuschungen im Jahr 1990
Volkskammerwahl, Treuhand, Währungsunion: Vierte „Weissensee“Staffel erzählt nächste Woche, warum der Osten tickt, wie er tickt
Anna, die sehr darauf besteht, Elena zu heißen, sitzt vor dem Haus von Rainer und Maria, die ihre Eltern waren. Das Haus steht leer und verlassen, so sitzt sie da auch. Sie ist acht Jahre alt und die Eltern sind fort, weil sie, wie sich herausstellte, ihre Eltern nicht sind.
Ihre Mutter hieß Julia Hausmann (Hannah Herzsprung) und ist schon lange tot. Ihr Vater heißt Martin Kupfer (Florian Lukas) und ist ihr fremd. Er findet Anna hier, will sie nach Hause bringen und hört, wie sie ihm traurig-trotzig erklärt: „Ich bin hier zu Hause. Bei dir wohne ich nur.“
Das geschieht nach den ersten zehn Minuten von insgesamt viereinhalb Stunden, die auch diese vierte Staffel der ostdeutschen Familiensaga „Weissensee“beansprucht. Diese Szene ist gleichsam die Exposition für das, was dann sechs Folgen lang ausgeführt und variiert wird: das Ende aller Gewissheiten, ausbuchstabiert in einer Enttäuschung nach der anderen. – Und getäuscht hatten wir uns ja oft, in vielem, was wir uns versprochen hatten von der neuen Zeit in der alten DDR. Hier waren wir, anno 1990, noch zu Hause. Aber wir wohnten schon woanders.
Kein Vergleich zum Jahr 1980, in dem die Serie vor acht Jahren einsetzte, kaum noch einer zum revolutionären Herbst 1989, wohin sie uns zuletzt führte. Und doch, etwas bleibt uns mit dem Personal erhalten, dessen Konstellationen die Autoren Annette Hess und Friedemann Fromm einst der Familie Ewing in der Fernsehserie „Dallas“entlehnten, um (ost-)deutsche Geschichte zu erzählen: Das Private wird immer noch politisch, das Politische privat.
Mit dem Land, in dem und für das sie lebte, bekam die Familie Kupfer lauter Risse. Sie bröckelte so langsam vor sich hin. Nun droht sie, wie dieses, endgültig auseinanderzufallen.
Beide verlieren zusehends an Bindungskraft, ein jeder muss sich in dieser wie in jenem neu verorten – oder untergehen. Zu den Enttäuschungen, mit denen diese Staffel nicht geizt, weil es die Zeit, von der sie handelt, auch nicht tat, zählen die Identitäten: Sie werden hier wahlweise, je nach Lage der Dinge, aufgedeckt oder zugedeckt, abgelegt oder ausgetauscht, gefunden oder erfunden.
„Überschätzen Sie die Macht der Demokratie nicht!“
Oder einfach, den neuen Gegebenheiten angepasst, weiterbehauptet: Günther Gaucke ist so einer, ehemaliger Generalleutnant der Stasi, den Hansjürgen Hürrig als feisten und hemdsärmeligen, von Bildung und Zweifeln unbelästigten Widerling spielt. „Du bist einer von uns, ob du das willst oder nicht“, haut er seinem alten Generalmajor Hans Kupfer (Uwe Kockisch) um die Ohren. „Und wenn du das verleugnest, dann bist du wie eine Schildkröte, aber ohne Panzer.“Kupfer aber, den Gaucke als „Wendehans“verachtet, will keinen Panzer, er will das offene Visier: „Ich bin keiner von euch.“
Er sucht Halt bei Schopenhauer und will die Stasi-Akten öffnen, derweil seine Frau Marlene (Ruth Reinecke) Halt bei der Partei sucht, deren Vermögen sie sichern hilft („Die wollen uns enteignen wie ’33.“). Sein Sohn, Stasi-Major Falk (Jörg Hartmann), den Sängerin Dunja Hausmann (Kathrin Sass) in den Rollstuhl schoss, tarnt sich mit Bart als Herr Schmidt – in den sich Physiotherapeutin Petra (Jördis Triebel) verliebt, die wegen „Republikflucht“lange Jahre im Frauengefängnis Hoheneck saß. Sie nennt Stasi-Leute „Schweine, die uns jahrelang verraten haben“, Falk beschwört den Vater: „Das war richtig, was wir getan haben!“und dient sich mit seinem Wissen einem westdeutschen Versicherungskonzern in Goldgräberstimmung an. Dessen Chef ,Hermann von Stein (Bernhard Schütz) rät ihm: „Überschätzen Sie die Macht der Demokratie nicht!“Überhaupt landen alte Kader, und der Strippenzieher Gaucke sowieso, auf den Füßen.
Und die Bürgerrechtler auf der Schnauze. „Ohne uns hätte es gar keine freien Wahlen gegeben“, wütet Vera Kupfer (Anna Loos) noch, mit neuer Frisur. Falks Ex glaubte, fürs Neue Forum in die Volkskammer einziehen und mit der SPD regieren zu können. Es kommt anders. Man wählt alte Blockflöten, hinter denen ein dicker, großer Kanzler steht.
Vera bekommt einen Job bei der Treuhand, wo sie verhindern will, dass sich westdeutsche Goldgräber an ostdeutschem Eigentum „bereichern“. Sie wird natürlich scheitern und auch Schwager Martin nicht helfen können, der verzweifelt versucht, einen Betrieb des VEB Möbelbau für die Marktwirtschaft fit zu machen.
„Der Osten war für den westdeutschen Kapitalismus nie als Produktionsstätte interessant, sondern nur als Absatzort – Millionen neuer Kunden, aber bloß keine unliebsame Konkurrenz.“So hat sich Regisseur Friedemann Fromm zum Thema eingelassen, der die Bücher inzwischen allein, ohne Annette Hess, verfasst.
Das beschreibt eine der großen Enttäuschungen, die zur Demütigung wurden – und an die uns „Weissensee“mittels einer spannend weitererzählten Familiengeschichte voller Intrigen, Lügen und Verwerfungen erinnert. Mit diesen alles in allem eher schmerzlichen Erinnerungen trägt die vierte Staffel dazu bei zu erklären, weshalb der Osten Deutschlands bald drei Jahrzehnte später immer noch so tickt, wie er eben tickt: sehr desillusioniert jedenfalls.
„Die Leute wollen die DMark und ihre Ruhe.“
Illusionen hatten wir uns zum Beispiel über die Wirtschaftskraft und den ökonomischen Wert jenes Landes gemacht, in dem wir lebten. In der Marktwirtschaft aber „gilt der Marktwert und nicht der Substanzwert.“So beschrieb es einmal die letzte Wirtschaftsministerin der SED, Christa Luft, in dem Interviewbuch „War das die Wende, die wir wollten?“. Aber so genau wollte das damals eben niemand wissen.
„Die Leute wollen die D-Mark und ihre Ruhe“, erklärt Nicole (Claudia Mehnert) ihrer Freundin Vera. Die D-Mark kam, Ruhe nicht. Im Gegenteil. „Wenn die D-Mark zu diesem Wechselkurs eingeführt wird, dann sind wir nicht mehr konkurrenzfähig“, platzt es aus Vera heraus, in einer Sitzung bei der Treuhand. „So werden viele Menschen arbeitslos. Das muss man ihnen doch sagen!“
Doch wer hätte schon hören wollen, dass die Währungsunion zum Eins-zu-Eins-Kurs, da der auch Löhne und Gehälter betraf, Betriebe in die Knie zwang: weil sie Produkte für Absatzmärkte zu teuer machte, derweil die Ossis selbst ohnehin nach Westprodukten gierten. Und danach, selbst zum Westen zu werden.
Nicht nur Christa Luft hatte einsehen müssen, „dass die DDR-Bürger mehrheitlich von ihrem Land nichts mehr wissen wollten.“Und was heißt „nicht mehr“? Sie wollten es im Grunde nie. Es war nicht ihr Land. „Die sowjetische Besatzungsmacht hatte uns sozusagen dieses System eingepflanzt“, konstatierte Christa Luft. Insofern war die DDR von Anfang an dem Untergang geweiht gewesen. Das mündet 1990 in „ein Riesendurcheinander“, wie es Martin Kupfer erlebt. Dem stellt sich „Weissensee“mit beachtlicher Stringenz, historisch beraten von Ilko-Sascha Kowalczuk, der zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“forscht. Das Riesendurcheinander schließt junge Neonazis, den blühenden Handel mit gebrauchten Westautos, gefälschte Stasi-Akten und schließlich den Sieg bei der Fußball-WM ein.
Dunja Hausmann übrigens kommt hier noch als schneller Schatten, als Erinnerung und als Stimme auf Schallplatte vor, sie tritt aber nicht mehr auf. Sie ist verschwunden, wie das Land, wie die Heimat. Wie hatte ihre Enkelin Anna alias Elena gefragt: „Wieso sind alle immer weg?“
• Die ARD sendet „Weissensee“, Staffel vier, in drei Doppelfolgen: ., . und . Mai, jeweils . Uhr.