Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„Keiner lernt des Geldes wegen ein Instrument“
TLZ präsentiert beim UnternehmerinnenSalon Professorin Ursula Dehler: Echte Begabung setzt sich durch – 100 junge Leute spielen um eine einzige freie Stelle im Orchester
Ursula Dehler stammt aus Weimar, hat hier von Kindesbeinen an musiziert, die Spezialschule für Musik besucht und später an der Hochschule für Musik studiert und hat dort schon lange eine Honorarprofessur inne. Sie ist seit 1981 Mitglied der Staatskapelle, arbeitet als Konzertmeisterin, gründete das Dehler-Quartett und leitet als Primaria zudem das Thüringer Kammerorchester. Gastspielreisen gehören ebenso zu ihrem Leben wie Babykonzerte im DNT. Beim Unternehmerinnen-Salon am kommenden Dienstag, 19. Juni, wird sie im Weimarer Hotel Amalienhof über Beruf und Berufung sprechen. Der Abend wird – so viel sei verraten – musikalisch umrahmt.
Wie und wann wurde Ihnen klar, dass Sie nicht nur mit, sondern auch von der Musik leben wollten?
Dieser Berufsweg war mir klar seit meiner Aufnahme ins Weimarer Musikgymnasium im Alter von 13 Jahren – damals hieß die Einrichtung „Spezialschule für Musik” – durch den Vergleich mit anderen begabten Kindern und der damit verbundenen Erweckung eines gesunden Ehrgeizes. Es fiel mir leicht, ich hatte das „absolute Gehör“, spielte drei Instrumente und war Mitglied der „Ameisenkinder“, des Chores des Goethe-Gymnasiums.
Wäre auch etwas anderes in Betracht gekommen?
Es gab für mich noch die Wahl Sportschule, denn ich liebte Gerätturnen, aber ich wuchs zu schnell und war dadurch nicht geeignet.
Brotlose Kunst, heißt es. Was sagen Sie Ihren Studierenden beziehungsweise anderen jungen Menschen, die bei Ihnen Rat suchen, zu den Chancen gerade im Musikbereich?
Von meinen Schülern und Studenten lernt keiner des Geldes wegen ein Instrument, sondern sie tun es aus innerem Antrieb, manchmal angeregt durch die Eltern. Einige wenige hören auch wieder auf – aber echte Begabung setzt sich immer durch. Und wenn man fleißig ist, gute Nerven hat und auch ein wenig Glück, dann kann man schon gutes Geld mit der klassischen Musik verdienen... Allerdings gibt es heute viel mehr Konkurrenz aus aller Herren Länder und an allen deutschen Musikhochschulen. Und in den Orchestern spielen Musiker aller Nationalitäten. Für Probespiele melden sich im Durchschnitt 50 bis 100 junge Leute an, die um eine einzige freie Stelle spielen. Um diese Hürden wissen meine Belvederer Schüler.
Man lernt nie aus: Inwiefern gilt das auch für Sie? Und wie stellt sich lebenslanges Lernen in Ihrem Berufsfeld dar?
„Wer rastet, der rostet” gilt auch bei uns. Man muss die instrumentale Fitness, ähnlich wie im Sport, durch tägliches Üben erneuern. Die Fragen und Probleme meiner Studenten halten mein Bewusstsein wach, ständig neue Lösungswege zu finden. Im Orchester lernen alle voneinander, alt und jung. Wir lernen auch von Komponisten, Dirigenten,
Sängern, Solisten, und diese von uns. Alles ist eine Wechselbeziehung!
Bei vielen jungen Menschen
ist zunächst der Wille da, ein Instrument zu lernen. Dann wird anderes wichtiger. Was ist nötig, damit Kinder und Jugendliche nicht so schnell auf
geben?
Es ist ja mit vielen Dingen – ob Hobby oder auch Haustier – so: Erst will man sie unbedingt, und dann flaut die Begeisterung ab. Eltern oder Lehrer können jedoch helfen, das tägliche Üben als etwas „Normales“, wie Zähneputzen, zu betrachten. Man wird, wenn man das Aufgeben schon als Kind leicht gemacht bekommt, später auch öfter oder schneller aufgeben. . .
Wie war es bei Ihnen in Kindertagen?
Meine Mutter hat mir, als ich nicht mehr geigen wollte, sondern lieber mit meinen Freundinnen spielen, das Geigeüben honoriert. Die 1. Stunde mit 20 Pfennig, die 2. mit einer Mark. Natürlich übte ich immer für 1,20! Das kann man kritisch sehen, aber es hat große Wirkung gehabt, weil wir als Kinder nicht verwöhnt wurden.
TVFormate wie „Deutschland sucht den Superstar“versprechen jungen Menschen mit mehr oder weniger Können maximale Bekanntheit für einen kurzen Zeitraum. Sollen junge Menschen mit Talent solche Bühnen suchen, um auf sich aufmerksam zu machen – oder sagen Sie: Dabei kann man nichts lernen. . .
Diese Formate im Fernsehen sind für mich absoluter Schwachsinn, auch wenn in Einzelfällen Kinder dadurch bekannt geworden sein mögen. . . Stabile, altersgemäße Unterweisung durch erfahrenen Pädagogen, zu denen die Kinder eine Vertrauensbeziehung aufbauen, scheint mir sinnvoller für eine gesunde Entwicklung.
Ganz oft fällt in Schulen all das aus, was unter musischen Fächern zusammengefasst wird. Halten Sie es für schädlich, wenn Kindern auf diesem Weg Kunst und Musik vorenthalten wird?
Die Unterbewertung musischer Fächer an Schulen ist für mich ein Verbrechen. Leider erscheint die „Quittung” nicht sofort, aber beispielsweise die Sensibilität und das „einander zuhören oder hinschauen lernen” gehen auf Kosten der ökonomisch geprägten Lebensideale völlig unter.
Kinder aus bildungsfernen Schichten lernen eher kein Instrument und sind meist nicht im Chor. Was sollte getan werden, um diesen Kindern neue Wege zu öffnen?
Singen kann jeder umsonst erlernen, und es macht Spaß. Wir Musiker der Staatskapelle gehen in Schulen, veranstalten Babykonzerte und bieten musikalische Erlebnisse für Kinder und Jugendliche fast jeden Alters im DNT an. Auch wenn ein Kind nicht sonderlich begabt ist, kann es das Handwerk eines Instruments bis zu einem respektablen Niveau erlernen. Dafür gibt es beispielsweise die Übungsschule an der Hochschule für Musik „Franz Liszt”. Studenten lernen das Unterrichten während des Studiums – kontrolliert durch einen Mentor –, und Kinder müssen fast nichts dafür bezahlen.
• Professorin Ursula Dehler, Dienstag, . Juni, . Uhr, im Hotel Amalienhof Weimar, Eintritt frei – diese Veranstaltung ist eine Kooperation von VdU Thüringen, Toskanaworld, TLZ und VCH-Hotel Amalienhof