Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Für die deutsche Mannschaft beginnt das Abenteuer in Russland

Mission Titelverte­idigung: Die Nationalel­f bezieht in Moskau ihr WMQuartier. Noch belastet Unruhe den Weltmeiste­r

- VON DANIEL BERG UND JÖRN MEYN

Der Landeanflu­g auf Moskau hatte fast schon begonnen. Gerade erst war die Lautsprech­erdurchsag­e des Kapitäns von Flug LH2018 verklungen, dass sich dichte Wolken über der Stadt befänden, dass kleinere Turbulenze­n also denkbar wären und der eine oder andere Umweg durch das Getümmel des Himmels geflogen werden müsse. Just in dieser Zeit erhob sich Joachim Löw aus seinem Sitz ganz vorne rechts und begab sich nach vorn ins Cockpit. Fast sah es so aus, als wolle er mal nach dem Rechten schauen. Vielleicht kann man ja helfen. Wenn es je einen Bundestrai­ner gegeben hat, dem zuzutrauen gewesen wäre, Flugzeuge zu landen, vermutlich auch zu bauen und zu heben, dann doch Löw.

Doch Löws Zutun war dann im Luftverkeh­r nicht nötig. Der Airbus 321 landete kurz vor vier auf dem Flughafen Wnukowo. Nationalma­nnschaftsd­irektor Oliver Bierhoff entstieg dem Flieger zuerst, Löw und die Spieler angeführt von Sami Khedira, Thomas Müller folgten. Ein Mannschaft­sbus beförderte die Delegation des Weltmeiste­rs nach Watutinki, einem recht unbelebten Ort im südwestlic­hen Nirgendwo von Moskau. Das Mannschaft­squartier dort dient sonst Parteifreu­nden des Präsidente­n als Rückzugsor­t. In der Nachbarsch­aft hat die zentrale Funkaufklä­rung des russischen Militärgeh­eimdienste­s ihren Sitz. Spione nebenan. Liebe Grüße aus Moskau. Doch den Auftrag soll das nicht stören können. Der Auftrag heißt: Titelverte­idigung bei der WM

Schwer genug. Fast unmöglich. Wieso? Ein Blick in die Vergangenh­eit genügt: Drei der letzten vier Titelverte­idiger schieden in der Vorrunde aus: Frankreich 2002, Italien 2010, Spanien 2014. Brasilien erreichte 2006 zumindest noch das Viertelfin­ale, ehe der Traum platzte. Überhaupt schafften es bislang nur Italien (1938) und Brasilien (1962), den Triumph zu wiederhole­n.

Deutschlan­d versuchte sich bisher dreimal an der doppelt vergoldete­n Mission – und scheiterte stets vorzeitig. 1958 kehrte die Mannschaft mit einem – immerhin – in der Heimat bejubelten Platz vier aus Schweden zurück. 1978 gipfelte in der Schmach von Cordoba (2:3 gegen Österreich in der Zwischenru­nde), 1994 kam der Bulgare Yordan Letchkov angeflogen und besiegelte per Kopf das WM-Aus im Viertelfin­ale. Lange her. Allein schon daran zu erkennen, dass ein Spieler des Hamburger SV ein bedeutsame­s Tor schoss. Aber das ist eine ganz andere Sache.

„Steht da Deutschlan­d auch drauf?“, fragte Toni Kroos vor ein paar Tagen, als ihm eine Umfrage vorgelegt wurde über die Mannschaft­en, die dem Weltmeiste­r am gefährlich­sten werden könnten. „Nein, nein, es geht um die Konkurrent­en“, lautete die Antwort des Fragebogen­überbringe­rs. Der Stratege Kroos hatte das schon richtig verstanden, er lächelte dann über seinen feinen Witz, den er aber im Kern für durchaus wahr hält: Eigentlich bringt die deutsche Elf an Erfahrung, Qualität, Talent und Ausgewogen­heit alles mit, was es braucht. Aber eigene Nachlässig­keiten sind es, die nicht nur der Star von Real Madrid am meisten fürchtet. „Wenn wir die Details nicht ernst nehmen, sind wir eben auch nur eine durchschni­ttliche Mannschaft“, erklärte Joachim Löw im Interview mit dem Kicker: „Wenn wir aber auch die Details gut machen, können wir etwas Besonderes sein.“Etwas Besonderes auf einer besonderen Reise.

Denn auch sie – beginnend im Trainingsl­ager – erfordert bislang kleinere und größere Anstrengun­gen, um Turbulenze­n zu vermeiden. Ganz geklappt hat das nicht. In einer der vordersten Reihen des Flugzeuges kam neben Marco Reus der Spieler Ilkay Gündogan zu sitzen. Jener Mann also, der mitverantw­ortlich dafür ist, dass nicht nur sportliche Zweifel die Mannschaft nach Russland begleiten.

Drei Titelverte­idiger schieden früh aus

ErdoganWir­bel hat sich noch nicht gelegt

Sein Treffen mit dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan, dem auch Mesut Özil beiwohnte, löste vor vier Wochen beträchtli­chen Wirbel aus, der sich noch immer nicht gelegt hat. Immerhin versucht Bierhoff nicht mehr per Diktat, das Thema zu beenden. „Ich will doch keine Maulkörbe verteilen und auf Befehl ein Thema beenden.“Es müsse drüber geredet werden, natürlich.

Nur einer der beiden Betroffene­n, Özil, dürfte weiter schweigen, bis Gras über die Sache wächst. Selbst wenn es bis zur nächsten WM dauert. Bierhoff: „Ich gehe davon aus, dass er das durchzieht.“

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Am Dienstagna­chmittag landete die deutsche Mannschaft in Wnukowo (links). Müller, Süle und Hummels werden mit Flagge begrüßt (oben, von links). RB-Leipzig-Stürmer Werner (unten links, vorne) und Verteidige­r Ginter wirken etwas erschöpfte­r als...
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