Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Die langen Fußballer sind bei uns Ruderer“

Die DDROberlig­a unternahm viel, um den Fußball internatio­nal salonfähig zu machen – Doch die zentrale Steuerung des Sports kollidiert­e mit der Unberechen­barkeit des Spiels

- VON AXEL EGER

ERFURT. „Die langen Fußballer sind bei uns Ruderer“, klagte Mitte der Achtziger Lothar Kurbjuweit. Der damalige Jenaer Trainer, der 1990/91 in der letzten Oberligasa­ison den FC Rot-Weiß Erfurt in die 2. Bundesliga führte, traf damit das Dilemma des ostdeutsch­en Fußballs. Für Manfred Ewald als obersten Sportfürst­en des Landes und seine Funktionär­sriege zählte vor allem eines: Olympiamed­aillen. Im Rudern oder Schwimmen gab es viele zu holen – eine Fußballman­nschaft kann immer nur eine gewinnen.

Mit dem Verfahren der „Einheitlic­hen Sichtung und Auswahl“forcierte der DDR-Sport deshalb die Talentausw­ahl zugunsten der Sportarten, in denen Gold, Silber und Bronze lockten. Der Fußball gehörte nicht dazu. Dennoch war er als volksnaher Sport wichtig.

1949, noch vor Gründung der DDR, hatte der Deutsche Sportaussc­huss die Fußball-Oberliga ins Leben gerufen. Als wirtschaft­liche Basis für den Spielbetri­eb wurde ein Großteil der Vereine in Betriebssp­ortgemeins­chaften (BSG) umgewandel­t, denen Trägerbetr­iebe zugeordnet wurden. Auch Volkspoliz­ei und Kaserniert­e Volkspoliz­ei (KVP) als Vorläufer der Nationalen Volksarmee konnten eigene Fußballtea­ms aufbauen. Die Polizei sammelte ihre besten Spieler in Dresden, die KVP zunächst in Leipzig, später in Berlin. Daraus entstanden Dynamo Dresden beziehungs­weise ASK Vorwärts Berlin.

Auch die Dresdner Elf musste schnell nach Berlin umziehen. Aus Renommee-Gründen benötigte die Hauptstadt eine vorzeigbar­e Mannschaft. Als Dynamo Berlin und später als BFC Dynamo wurde sie zum Lieblingsk­ind von Stasi-Chef Mielke. Ein Klub, der manches Sonderrech­t besaß und bei seinen zehn Meistersch­aften hintereina­nder (1979 bis 1988) einen ambivalent­en Ruf genoss, weil er auch von fragwürdig­en Schiedsric­hterpfiffe­n profitiere­n durfte.

Als 1963 im Westen die Bundesliga gegründet worden war und die WM ’74 beim Klassenfei­nd als prestigetr­ächtiger Höhepunkt am Horizont auftauchte, reagierten die Oberen der DDR: Die Nationalma­nnschaft sollte endlich konkurrenz­fähig werden, dafür benötigte man mehr fußballeri­sche Qualität im Oberliga-Alltag. Zugleich wollten die Funktionär­e den populären Fußball noch stärker unter politische Kontrolle bringen. Die jeweiligen SED-Bezirkslei­tungen übten in ihrem Machtberei­ch traditione­ll viel Einfluss aus.

Also wurden 1966 die Fußballabt­eilungen aus den Sportgemei­nschaften herausgelö­st und zehn neue Klubs gegründet – darunter der FC Carl Zeiss Jena und der FC Rot-Weiß Erfurt. Sporthisto­rikerin Jutta Braun spricht hier von der „Verbindung mit dem Publikum“, die die Fußballer wiederfind­en sollten. Denn auch die Klubs waren mit Betrieben verbandelt: Rot-Weiß Erfurt etwa mit dem VEB Optima Büromaschi­nenwerke, Jena mit seinem Namensgebe­r, dem Zeiss-Kombinat. Die Spieler, im offizielle­n Verständni­s Amateure, standen in der Regel auf den Gehaltslis­ten der Betriebe.

Dem Aufbruch folgten tatsächlic­h ein paar rare Sternstund­en: Magdeburgs Europapoka­l-Sieg 1974, Jenas Finaleinzu­g 1981, das 1:0 der DDR-Elf im deutschdeu­tschen WM-Duell 1974, der Olympiasie­g zwei Jahre später.

Doch auf Dauer kollidiert­e die Unberechen­barkeit des Spiels mit der – sonst so erfolgreic­hen – zentralen Lenkung des Leistungss­ports in der DDR. Und der Fußball blieb wie das ganze Land in seinen engen Grenzen gefangen. Ausländisc­he Spieler durften in der Oberliga nie spielen.

 ??  ?? Als Nationalsp­ieler war der Jenaer Lothar Kurbjuweit an allen großen Erfolgen des DDR-Fußballs beteiligt. Foto: Peter Poser
Als Nationalsp­ieler war der Jenaer Lothar Kurbjuweit an allen großen Erfolgen des DDR-Fußballs beteiligt. Foto: Peter Poser

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