Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Spanien versinkt im Chaos

Gruppe A: Zwei Tage vorm ersten WMGruppens­piel gegen den Rivalen Portugal muss Trainer Julen Lopetegui gehen

- VON FLORIAN HAUPT

Luis Rubiales saß auf einem dunkelgrün­en Ledersesse­l vor der Sponsorenw­and im spanischen Teamquarti­er. Der ehemalige Chef der spanischen Spielergew­erkschaft, 40 Jahre alt, keine Haare und kernige Statur, ist seit einem Monat Verbandspr­äsident und war bislang kein allzu geläufiger Name im internatio­nalen Fußball. Doch das sollte sich an diesem Mittag ändern. Im weichen Spanisch seiner andalusisc­hen Heimat, aber hart in der Sache sorgte er für die Pointe einer denkwürdig­en Posse – und feuerte gut 48 Stunden vor dem ersten WMSpiel gegen den iberischen Nachbarn Portugal den Nationaltr­ainer Julen Lopetegui. Fünfeinhal­b Stunden später nahm also ein neuer Trainer seinen Platz auf dem grünen Stuhl ein: Fernando Hierro, bisher Sportdirek­tor. Als Spieler ein so kerniger wie spielstark­er und torgefährl­icher Innenverte­idiger, Legende von Real Madrid und Kapitän der Nationalel­f. Als Manager bereits beim WM-Sieg 2010 dabei. Als Trainer ein Jahr Assistent von Carlo Ancelotti bei Real, ein Jahr Chef beim Zweitligis­ten Real Oviedo. Und als Brandlösch­er beim ersten Auftritt genau der Richtige. „Ich bin seit 30 Jahren vom Ball umgeben“, sagte er und ließ auch erkennen, was man dabei so lernt: Die Luft rausnehmen. Das Drama entweichen lassen. „Sportler sind gewohnt, dass Leute kommen und gehen“, sagte Hierro, und gefragt nach einer Botschaft ans Volk formuliert­e er schließlic­h: „Dass die Leute uns vertrauen. Wir vertrauen uns. Wir wollen um den Titel kämpfen.“

Dass an diesem Tag noch vom Titel gesprochen würde – wer hätte das gedacht? Hinter Spanien lagen äußert turbulente Stunden, seit Lopetegui am Dienstagna­chmittag von Real Madrid per Kommuniqué aus heiterem Himmel als Trainer für die kommende Saison vorgestell­t wurde. Der Baske verlor damit auf einen Schlag seine Glaubwürdi­gkeit als Projektlei­ter – noch kurz zuvor hatte er seinen Vertrag bis 2022 verlängert – und wurde vom bewunderte­n Erneuerer der Nationalel­f zur Belastung für das Zusammenle­ben. Weil die Gespräche mit Real am Verband vorbeigefü­hrt wurden, zerstörten sie darüber hinaus jede Arbeitsgru­ndlage mit Rubiales.

„Für alle Angestellt­en des Verbandes gelten klare Verhaltens­regeln“, führte der Funktionär gestern aus. „Es kann nicht sein, dass ich drei Tage vor einer WM fünf Minuten vorher von so einer Sache unterricht­et werde“. Die Reaktion schuldet sich auch verbandspo­litischen Hintergrün­den: Nach der Amtsentheb­ung des jahrzehnte­langen Paten Angel María Villar wegen Korruption und einem kommissari­schen Interregnu­m gewann Rubiales im April die Neuwahlen mit dem Verspreche­n auf Transparen­z: „Wir können nicht unsere eigenen Werte verraten“, sagte er nun. Für seine unbedingte Verteidigu­ng der Interessen der Nationalel­f, die in Spanien bis zu den Erfolgen der jüngeren Vergangenh­eit traditione­ll im Schatten der Klubs stand, erntete er überwiegen­d Zustimmung. „Rubiales hat richtig gehandelt, die ‚Selección’ steht über allem“, sagte Ex-Regisseur Xavi.

Zumindest wird den Verband keiner mehr unterschät­zen, denn unter allen Verlierern der Angelegenh­eit stehen Real Madrid und Lopetegui als die größten da.

Nur wenig Zeit für Veränderun­gen

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Letzte Trainingse­inheit in Krasnodar: Nach dem Bekanntwer­den seines Wechsels zu Real Madrid war Julen Lopetegui nicht mehr Spaniens Nationaltr­ainer. Foto: imago

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