Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Unions-Krise spitzt sich zu
Die CSU droht Merkel mit einem Alleingang in der Flüchtlingspolitik – und stellt ein neues Ultimatum
Die Krise der Schwesterparteien CDU und CSU in Berlin spitzt sich zu. Innenminister Horst Seehofer droht, per Ministererlass seinen Masterplan durchzuziehen. Kanzlerin Angela Merkel will in Gesprächen mit den Nachbarländern Vereinbarungen über die Rückführung bereits in anderen europäischen Ländern registrierter Flüchtlinge erreichen. (fa)
Es ist ein Showdown, eine Situation, die an Dramatik kaum zu überbieten ist. Deutschland befindet sich mitten in einer Regierungskrise. Ausgang unbekannt. Der Zwist zwischen CDU und CSU über die richtige Flüchtlingspolitik hat sich zu einem Machtkampf entwickelt, bei dem alles möglich scheint – auch ein Aufkündigen der Fraktionsgemeinschaft der Union aus CDU und CSU. Im Kern streiten CSU und CDU seit Tagen darüber, ob auch Asylbewerber ohne Papiere sowie bereits abgeschobene Bewerber wie von der CSU gefordert nicht mehr über die deutsche Grenze gelangen dürfen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) pfiff am Montag ihren Bundesinnenminister Horst Seehofer zurück, der CSU-Chef musste die Vorstellung seines „Masterplans Migration“absagen. Am Dienstag kam es zum Aufstand in der Unionsfraktion gegen Merkel. Viele Abgeordnete unterstützten Seehofers Plan. Am Mittwochabend hatte es ein Krisentreffen zwischen CDU und CSU im Kanzleramt gegeben, ohne Einigung. Am Donnerstag dann sammeln beide Seiten ihre Truppen: Erst berät das CDU-Präsidium – und stellt sich hinter die Kanzlerin. Man unterstütze Merkels Initiative für bilaterale Vereinbarungen mit EU-Partnern.
Um 11.30 Uhr treffen sich die CDU- und CSU-Abgeordneten zu getrennten Sondersitzungen. Seehofer droht der Kanzlerin mit einem Alleingang. Sollte es keine Einigung über die Zurückweisung von Asylbewerbern an der Grenze geben, will Seehofer notfalls per Ministerentscheid handeln – also die Zurückweisungen von Flüchtlingen kraft seines Amtes anordnen – ohne Zustimmung Merkels. Wohl wissend, dass sie es kategorisch ablehnt. Schon am Montag will sich Seehofer dafür den Auftrag des CSU-Parteivorstands holen. Was danach passiert, ist unklar. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kommt als einer der Ersten mit ernster Miene und verschränkten Armen am Donnerstag, um kurz nach elf Uhr, auf die Fraktionsebene. „Wir stehen vor einer historischen Situation“, sagt er mit Blick auf die getrennten Sitzungen der Unions-Fraktion. Der CSU gehe es um die „Neuordnung des Asylsystems“. Die Entscheidungen dazu müssten „jetzt fallen“. Es sei nötig, die Flüchtlinge, die bereits in einem anderen europäischen Land registriert sind, zurückzuweisen.
Im CDU-Teil der Fraktion wirbt die Kanzlerin dagegen um Unterstützung für ihren Plan. Sie bittet die CDU-Abgeordneten um Vertrauen und Zeit bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel. Sie wolle bis dahin tief greifende Fortschritte für eine gemeinsame Asylregelung in der EU erreichen. Etwa bilaterale Abkommen mit den Haupt-Ankunftsländern Italien und Griechenland.
Als erster Redner nach Merkel ergreift Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble das Wort. Der 75-Jährige stellt sich hinter den Kurs der Kanzlerin. Für seine Rede gibt es starken Applaus. Der dienstälteste Bundestagsabgeordnete mahnt: Er sei der Einzige, der 1976 erlebt habe, wie der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß in Wildbad Kreuth das Ende der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU verkündete. Schäuble warnt eindringlich: Das darf nie wieder vorkommen. Sein Wort hat Gewicht. Dennoch: „Es wird knapp“, „Lage sehr ernst“, steht in SMS, die CDU-Abgeordnete aus dem Fraktionssaal schicken.
Im Saal nebenan skizziert Seehofer seinen Alleingang: Sollte es keine Einigung geben, wolle er notfalls per Ministerentscheid handeln und seinen Masterplan vorstellen, und dazu am Montag den Auftrag des CSUVorstandes einholen. Doch Seehofer wirke getrieben, so erzählt einer. Ginge es nur nach ihm, so würde ein Kompromiss erzielt. Wirklich? Es ist schwer zu sagen an diesem denkwürdigen Tag.
„Wir bewegen uns nicht“, heißt es aus der CSU
„Inhaltlich bin ich bei Seehofer“, sagt der Hamburger CDUAbgeordnete Christoph de Vries. „Aber der Kurs maximaler Eskalation der CSU mit Ultimatum an die Kanzlerin hat zu einem kompletten Stimmungsumschwung bei der CDU geführt.“Die fast 70 Jahre andauernde Fraktionsgemeinschaft wegen eines einzelnen strittigen Punktes von 63 im Masterplan infrage zu stellen, sei „irrational und unverantwortlich“.
„Wir bewegen uns nicht“, lautet derweil die Nachricht aus der CSU. Man sei mit der Geduld mit Merkel am Ende. Weite Teile der CSU scheinen gewillt, um der eigenen Glaubwürdigkeit willen den Koalitionsbruch in Kauf zu nehmen. Merkel selbst rechnet nicht damit, dass es so weit kommt. Man werde schneller und konzentrierter bei den anstehenden Projekten arbeiten – und zwar gemeinsam, sagte sie nach der Krisensitzung.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagt dieser Redaktion: „Zurückweisungen an der Grenze sofort sind mit dem geltenden Recht vereinbar, moralisch vertretbar und dringend notwendig, um in der Asylpolitik in Europa endlich etwas zu bewegen.“CSU-Generalsekretär Markus Blume sagt, es gehe nicht um die Frage, „ob irgendwo gewählt wird“. Das glaubt ihm niemand. Am 14. Oktober wird in Bayern gewählt.