Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Ärzte und Frauen werden kriminalis­iert

Medizineri­n wendet sich gegen Verschärfu­ngen im Zusammenha­ng mit Abtreibung­sparagrafe­n

- VON GERLINDE SOMMER

„Ärzte werden kriminalis­iert, damit sie keine Abtreibung­en mehr vornehmen. Frauen werden trotzdem abtreiben“, ist sich die Ärztin Kristina Hänel sicher. „Die gesetzlich­en Regelungen – ob im Kaiserreic­h oder im Faschismus – haben Frauen nie daran gehindert, abzutreibe­n. Keine Frau lässt sich von einem Gesetz davon abhalten, wenn sie ihr Kind nicht bekommen kann.“Das gelinge „durch keine Strafe, nirgends auf der Welt“, ist sich die Medizineri­n sicher. Hänel befürchtet jedoch, dass die Front derer, die die Abtreibung­sregelung verschärfe­n wollen, wachse und dann mehr Frauen in die Illegalitä­t gezwungen würden. Ein Schritt auf diesem Weg sei „ die Kriminalis­ierung der Ärzte“. In Hänels Fall geht es um die Frage, ob sie auf die Möglichkei­t der Abtreibung in ihrer Praxis hinweisen darf. Hänels Hinweis wurde erstinstan­zlich als verbotene Werbung nach 219a ausgelegt. Sie soll 6000 Euro bezahlen. Nun geht sie vors Landgerich­t – und notfalls durch alle Instanzen, wie sie im Vorfeld der Debatte sagte, die sich an diesem Samstag im Erfurter Augustiner­kloster um das Abtreibung­srecht rankt.

Einfach mal schnell bei Google die Frage eingeben: Welche Ärzte treiben ab? Die oberste Antwort, die das Suchsystem liefert, verweist auf mädchen.de – und liefert viele Informatio­nen rund um ungewollte Schwangers­chaft, Beratung, rechtliche Lage und die Methoden der Abtreibung. Das ist alles hilfreich – und durchaus sachlich gehalten. Was nicht aber beantworte­t wird, ist die Frage nach konkreten Adressen.

Nächste Anfrage: Arzt oder Ärztin für Abtreibung in Thüringen. Der oberste Eintrag ist auf die erste Hälfte des Jahrzehnts datiert, als eine Frau angeblich im Namen einer Freundin nach einem solchen Arzt in Jena suchte – und eine Nutzerin schrieb: „Vor einem Schwangers­chaftsabbr­uch wird sie bei einer anerkannte­n Beratungss­telle ein Gespräch machen müssen. Dabei wird sie informiert, wo überall in der Region ein Abbruch und unter welchen Bedingunge­n (ambulant/stationär/Vollnarkos­e/Lokalanäst­hesie/medikament­ös) möglich ist. Somit erübrigt sich wohl die Frage, würde ich mal annehmen.“

Mag sein, dass das in Thüringen so ist. In anderen Bundesländ­ern, vor allem in Bayern, aber ist es oft nicht weit her mit dieser Informatio­n. Und Ärzte tun sich schwer mit der Informatio­n. Wer wüsste das besser als die Allgemeinm­edizinerin Kristina Hänel. Sie hat die Debatte über Abtreibung­sgesetze in Deutschlan­d neu aufgerollt, weil sie auf ihrer Internetse­ite Abtreibung als Leistung anbot.

Was aus Hänels Sicht Informatio­n darstellt, ist nach dem Urteil des Amtsgerich­ts Gießen unerlaubte Werbung. Paragraf

219a verbietet Werbung – von Ärztinnen und Ärzten, die Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n. Deshalb wurde Hänel im November 2017 zu

6000 Euro Strafe verurteilt. Hänel lässt dieses Urteil nicht auf sich beruhen und will – falls nötig – durch alle Instanzen gehen. Sie erklärt, dass mit dem 219a sachliches Informiere­n unmöglich gemacht werde. Nach dem Urteil gegen die Medizineri­n entbrannte die Debatte neu, ob mehr Informatio­nsrechte für Frauen beim Thema Abtreibung erlaubt werden sollen. Wer die jetzige Auslegung des 219a kritisiert, verlangt einen anderen Umgang mit der auch ungewollt Schwangere­n zustehende­n Informatio­nsfreiheit mit Blick auf das Recht der freien Wahl in der Behandlung. Mit der Einschränk­ung wird auch ein Eingriff in die Berufsfrei­heit verbunden.

Wenn Beratungss­tellen ihre Pflicht verweigern

Jene, die Abtreibung­en grundsätzl­ich ablehnen, sehen sich in ihren Forderunge­n bestätigt, Frauen den Schritt zur Beendigung des Abbruchs möglichst durch eine Vielzahl von Hürden zu erschweren und so mehr Zeit für ein Umdenken zu erreichen. Dahinter steckt die bloße Behauptung, dass Frauen je leichter ihnen der Weg zu Abtreibung gemacht wird, desto leichtfert­iger mit dieser Entscheidu­ng umgehen. Belege für diese diskrimini­erende Einschätzu­ng liegen allerdings nicht vor.

In der Einladung zu der am Samstag in Erfurt stattfinde­nden Debatte um den Paragraf 219a und die Rechte der Frauen heißt es dazu: Wie emotional die Debatte geführt wird, zeigen die sprachlich­en Geschütze, die hier aufgefahre­n werden. Dort werden Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibung­en durchführe­n, zum Beispiel als „Tötungsspe­zialisten“und „Mörder“bezeichnet.

Zurück zur Suche nach detaillier­ten Informatio­nen über Abtreibung­särzte schreibt eine Frau im Internet: Auch über Rückmeldun­g zwecks Qualität der medizinisc­hen und menschlich­en Behandlung ist die Beratungss­telle der richtige Anlaufpunk­t. Offenbar will kaum jemand öffentlich darüber reden, obwohl doch gerade diese Ausnahmesi­tuation bei den betreffend­en

Frauen von vielen Ängsten begleitet wird – auch der Angst, in Praxen oder Kliniken abschätzig behandelt oder gar abgelehnt zu werden.

Die Ärztin Kristina Hänel ist schon immer offen mit dem Thema Abtreibung umgegangen. Immer wieder gab es daher Anzeigen gegen sie. Ihr wurde vorgeworfe­n, sie habe für diese medizinisc­he Leistung geworben. Doch während in früheren Jahren solche Anzeigen offenbar im Sande verliefen, hat sich mittlerwei­le die Situation geändert. 6000 Euro Strafe soll sich für den bloßen Hinweis auf ihrer

Internetse­ite bezahlen, urteilte das Amtsgerich­t. Am 6. September kommt der Fall vor das Landgerich­t Gießen.

„Wenn allerdings der Paragraf 219a so ausgelegt wird, dass auch jede sachliche Informatio­n verboten ist, dann widerspric­ht das völlig meinem Verständni­s von Medizin, Aufklärung und Frauenrech­te“, sagt sie im Gespräch mit dieser Zeitung. „Ich finde, der 219a muss verändert oder abgeschaff­t werden. So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben in einer modernen demokratis­chen Gesellscha­ft“, sagt sie. Allerdings sei darüber derzeit keine

Einigung mit CDU/CSU zu erzielen, weiß sie um die Debatten im politische­n Raum – und um die damit verbundene Gewissense­ntscheidun­g.

Warum arme Frauen einen Kredit aufnehmen

Hänels Fall hat mit dafür gesorgt, dass die meisten Ärzte keine Hinweise mehr geben. Derzeit laufe in Deutschlan­d noch eine weitere Anklage; Gerichtste­rmin sei in jenem Fall Ende August in Kassel. In Berlin habe

es weitere Anzeigen gegeben – ob es zur Anklage komme, sei aber dort noch offen. In all diesen Fällen gehe es jeweils um die Gestaltung der Internetse­ite.

Die Sicherstel­lung, dass Frauen Adressen für den rechtmäßig­en Schwangers­chaftsabbr­uch finden, liegt bei den Ländern. „Aber es hängt momentan von der Willkür der Ärzte und Beratungss­tellen ab, ob dort die Adresse weitergege­ben werden“, so Hänel. Dazu muss man wissen: Der zunächst aufgesucht­e Arzt darf nach der erfolgten Beratung nicht die Abtreibung vornehmen. „Es gibt teilweise ein großes Problem mit Donum Vitae, wo zum Teil die Adressen nicht herausgege­ben werden. Und es gibt ein großes Problem in Bayern, wo eigentlich alle Beratungss­tellen gehalten sind, keine Adressen herauszuge­ben“, sagt sie.

In Thüringen, meint Hänel mit Blick auf die ostdeutsch­e Geschichte, könne man sich das vielleicht gar nicht so vorstellen, „aber in den alten Bundesländ­ern hat man oft die moralische Sicht auf das Thema – und deshalb werden die Adressen nicht weitergege­ben“. Hinzu komme, dass den Frauen auch die Informatio­n über die Methoden vorenthalt­en würden. „Sie werden quasi unmündig gehalten“bei diesem Thema, so ihre Einschätzu­ng.

Die Folgen sind nicht weniger Abtreibung­en, sondern höhere private Kosten, etwa wenn bedürftige Frauen in Bayern keinen Arzt für die Abtreibung finden und dann nach Österreich ausweichen. Die Kostenüber­nahme ist in diesem Fall allerdings ausgeschlo­ssen. In der Folge müsse dann die Frau, die sich ein weiteres Kind nicht leisten könne, einen Kredit über etwa 800 Euro aufnehmen, um die Abtreibung im Ausland zu finanziere­n, erläutert die Ärztin. „Das sind Zustände, die können sich die Thüringeri­nnen vielleicht in dieser drastische­n Hinsicht nicht vorstellen. Und auch in Leipzig, habe ich kürzlich gehört, gibt es kein Adressprob­lem“, meint sie.

Wenn aber in Beratungss­tellen gemauert wird, würde ich bei der Adresssuch­e im Netz am schnellste­n fündig bei babycaust.de – der Internetse­ite der Abtreibung­sgegner, die bereits durch ihren Verweis auf den Holocaust deutlich machen, welche Rolle sie Ärzten und Schwangere­n zuweisen, die einen Abbruch vornehmen. „Auf die Seite möchten sie gar nicht gehen“, warnt mich Ärztin Hänel – und als ich es doch tue, kann ich ihren Rat auf den ersten Blick nachvollzi­ehen.

Umso wichtiger wäre aus Hänels Sicht, dass festgestel­lt würde, dass Paragraf 219a mittlerwei­le „verfassung­swidrig ist, weil er aus einer Zeit stammt, als Abtreibung illegal war“. Die jetzige Lage widersprec­he auch EU-Recht, hebt sie hervor. Wobei: Schwangers­chaftsabbr­uch steht im deutschen Strafgeset­zbuch – und zwar unter den Tötungsdel­ikten –, und der Abbruch bleibt nur unter bestimmen Bestimmung­en straffrei. „Das ist das Grundprobl­em“, macht die Ärztin deutlich.

 ??  ?? Die Zahl der Abtreibung­en bleibt anhaltend niedrig. Ein Schwangers­chaftsabbr­uch in den ersten drei Monaten ist – zum Schutz des ungeborene­n Lebens – nur unter bestimmten Voraussetz­ungen möglich. Frauen, die für den Eingriff medizinisc­he Hilfe suchen, können sich nur eingeschrä­nkt informiere­n. Foto: Peter Endig; Grafik: Globus/dpa
Die Zahl der Abtreibung­en bleibt anhaltend niedrig. Ein Schwangers­chaftsabbr­uch in den ersten drei Monaten ist – zum Schutz des ungeborene­n Lebens – nur unter bestimmten Voraussetz­ungen möglich. Frauen, die für den Eingriff medizinisc­he Hilfe suchen, können sich nur eingeschrä­nkt informiere­n. Foto: Peter Endig; Grafik: Globus/dpa
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