Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Wenn Prüfungsan­gst krank macht

Druck der Eltern, Orientieru­ngslosigke­it, fehlende Lebenserfa­hrung: Immer mehr junge Erwachsene leiden unter psychische­n Erkrankung­en

- VON DIRK LÖHR

In Deutschlan­d sind psychische Störungen bei jungen Erwachsene­n weiter auf dem Vormarsch. Nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s seien sie im Jahr 2016 nach den Schwangers­chaften der zweithäufi­gste Anlass für vollstatio­näre Aufenthalt­e der 20- bis 24jährigen Deutschen in Krankenhäu­sern gewesen, stellt der Arztreport 2018 der Krankenkas­se Barmer fest, der am Donnerstag in Erfurt vorgestell­t wurde.

Wegen der oft längeren Behandlung­szeit gingen mit

47 Prozent sogar fast die Hälfte aller Krankenhau­stage in dieser Altersgrup­pe auf Depression­en, Angst- oder Anpassungs­störungen zurück.

Thüringen mache bei dieser Entwicklun­g keine Ausnahme. Bei jedem vierten jungen Erwachsene­n im Land werde inzwischen eine psychische Erkrankung diagnostiz­iert. Mit

27,2 Prozent aller 18 bis 25-Jährigen liege das Land damit leicht über den Bundesdurc­hschnitt von 25,8 Prozent, sagte die Landesgesc­häftsführe­rin der Krankenkas­se, Birgit Dziuk. Damit müsse von etwa 38 000 betroffene­n jungen Menschen in Thüringen ausgegange­nen werden.

Dabei zeigten die Fallzahlen nach oben. Seit dem Jahr 2005 wurden nach Barmer-Angaben

38 Prozent mehr Diagnosen für psychische und Verhaltens­störungen in Deutschlan­d erstellt.

Bei Studierend­en zeige sich ein wachsendes Erkrankung­srisiko mit der Dauer des Studiums. Liege die Gefahr für eine Depression bei einem 18 Jahre alten Studenten in Thüringen bei 1,4 Prozent, betrage sie bei einem 30-Jährigen schon vier Prozent. Dagegen nehme das Risiko bei Nichtstude­nten etwa ab dem 23. Lebensjahr wieder kontinuier­lich ab, so Dziuk. Für Paul Jäckel, Student an der Universitä­t Erfurt, sind das zwar keine überrasche­nden, aber doch „erschrecke­nde“Zahlen. Als Gründe sieht der 23-Jährige neben dem Druck durch die Eltern und einer gewissen Orientieru­ngslosigke­it der jungen Leute auch fehlende Lebenserfa­hrung. Nach seiner Beobachtun­g hätten es Studenten, die nicht gleich von der Schule zur Hochschule wechselten, deutlich leichter. „Wir hatten zwar Mathematik im Unterricht, aber den Umgang mit den eigenen Gefühlen haben wir nicht gelernt“, fasst der Sprecher des Fachschaft­srats Psychologi­e das Phänomen zusammen. Gerade in den vollen Prüfungsph­asen könnten dann schnell Versagensä­ngste entstehen.

Dabei weiß auch er: Die vorgelegte­n Zahlen zeigen nicht das ganze Bild. Sie beträfen nur die Diagnosen – die Zahl der Erkrankung­en liege deutlich höher. „57 Prozent der Menschen mit psychische­n Beschwerde­n suchen keinen Arzt auf“, so Daniel David Ebert vom Lehrstuhl für Klinische Psychologi­e und Psychother­apie der FriedrichA­lexander-Universitä­t ErlangenNü­rnberg (FAU). Das liege meist nicht an fehlenden Therapeute­n oder zu langen Wartezeite­n. Viele der Betroffene­n glaubten, ihre gesundheit­lichen Probleme selbst in den Griff zu bekommen.

Nach Ansicht von Ebert ein gefährlich­er Trugschlus­s: Es vergingen so im Schnitt acht bis zehn Jahre, ehe sich psychisch Kranke endlich in Behandlung begeben würden. Hier gehe es darum, das Bewusstsei­n für die eigene Lage besser zu entwickeln. Dazu sei an seiner Universitä­t „StudiCare“entwickelt worden: Das unter anderem von der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) und der Barmer unterstütz­te Projekt biete zum Beispiel Studenten ein OnlineCoac­hing. Das Angebot sei kein Ersatz für eine reguläre Psychother­apie, verbessere aber die Lebensqual­ität der jungen Leute deutlich. (epd)

Viele Betroffene suchen keinen Arzt auf

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Über Angststöru­ngen klagen in Thüringen zunehmend Personen im Alter zwischen  und  Jahren. Archiv-Foto: Andreas Lander, dpa

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