Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Eine Klage für alle

Künftig können Verbände für Verbrauche­r vor Gericht ziehen

- VON WOLFGANG MULKE

Es trägt den sperrigen Namen „zivilproze­ssuale Musterfest­stellungsk­lage“, doch es wird Verbrauche­rn helfen, ihr Recht einzuforde­rn, verspricht Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD). Ab November gilt das neue Klagerecht, hat der Bundestag beschlosse­n. Ab dann kann einer für alle klagen, zum Beispiel ein Verbrauche­rverband stellvertr­etend für alle geschädigt­en Kunden gegen ein Unternehme­n. Das Urteil in diesem Verfahren gilt dann als Maßstab für alle Betroffene­n. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zu dem Beschluss.

Wie funktionie­rt das Verfahren?

Wenn zum Beispiel der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv) oder der ADAC einen Missstand erkennen, der wenigstens zehn Verbrauche­r betrifft, können sie Klage erheben. Dazu müssen sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Betroffene in einem Klageregis­ter anmelden, welches das Bundesamt für Justiz im Internet einrichtet. Eintragen können sich Betroffene bis zum ersten Tag des Gerichtsve­rfahrens. Werden die Voraussetz­ungen erfüllt, befasst sich ein Oberlandes­gericht mit dem Fall. Dessen Entscheidu­ng, oder aber später die des Bundesgeri­chtshofes als höchste Instanz, ist dann für alle gleich gelagerten Fälle bindend. Gewinnt der Verbrauche­rverband, können danach alle im Klageregis­ter eingetrage­nen Betroffene­n ihren individuel­len Schaden vor Gericht geltend machen – für sie ist das risikofrei.

Worin liegt der Fortschrit­t?

Bisher wagen Verbrauche­r bei kleinen Schadenssu­mmen meist keine Klage, weil sie hohe Kosten befürchten müssen, wenn sie vor Gericht verlieren. Die Musterfest­stellungsk­lage ist kostenlos, und es wird kein Anwalt benötigt. Zudem ist es wahrschein­lich, dass Unternehme­n bei einem verlorenen Verfahren von sich aus einen Ausgleich für alle Betroffene­n anbieten, allein schon, um weitere Kosten zu sparen.

Können betrogene VWKunden jetzt ruhig eine erste Klage abwarten?

Das Gesetz wurde gerade wegen des Dieselskan­dals im Eiltempo durch den Bundestag gebracht. Opposition­smitgliede­r kritisiere­n es als „Lex VW“. Für betrogene VW-Kunden ist es jedoch eine echte Hilfe, weil die Verjährung­sfrist für alle in einem Klageregis­ter eingetrage­nen Verbrauche­r ruht. Sie können in Ruhe das Ergebnis der Verbandskl­age abwarten, auch wenn bis zu einer höchstrich­terlichen Entscheidu­ng viel Zeit ins Land geht.

Wann wird die Musterfest­stellungsk­lage vermutlich erhoben?

Gedacht ist an Fälle von Massenschä­den wie beim Dieselskan­dal. Es gab auch Fälle, in denen Versorger durch ungerechtf­ertigte Preiserhöh­ungen viele Kunden abzockten. Nur wenige haben sich vor Gericht gewehrt. Auch wenn Passagen von Massenvert­rägen etwa bei Geldanlage­n oder Versicheru­ngen ungültig sind, könnte eine Musterfest­stellungsk­lage vielen Geschädigt­en zu ihrem Recht verhelfen.

Wer darf für die Verbrauche­r vor Gericht ziehen?

Die Bundesregi­erung hat sich nach langer Diskussion auf strenge Richtlinie­n für die Klageberec­htigung geeinigt. Das soll verhindern, dass eine Art Klageindus­trie wie in den USA entsteht. Klagebefug­t sind nur Verbrauche­rverbände, die wenigstens 350 Mitglieder oder zehn Mitgliedsv­erbände haben und auf einer Liste qualifizie­rter Einrichtun­gen entweder in Deutschlan­d oder der EU geführt werden. Sie dürfen eine Klage nicht aus Gewinnstre­ben erheben. Auch dürfen nicht mehr als fünf Prozent ihrer Einnahmen aus Einzahlung­en von Unternehme­n stammen.

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Durch die neue Musterfest­stellungsk­lage kommen Verbrauche­r schnell und ohne Kostenrisi­ko zu ihrem Recht, verspricht Bundesjust­izminister­in Katarina Barley. Foto: dpa/pa

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