Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Bayerische Erpressung
Was für ein Spektakel. Am Donnerstag schrillten im Bundestag die Alarmglocken, um die Abgeordneten von CDU und CSU zu getrennten (!) Sondersitzungen zu rufen. Nach nicht einmal 100 Tagen großer Koalition zerlegt sich die Union im Asylstreit. Die Kanzlerin wird getrieben, wiederholt von der sogenannten Schwesterpartei CSU. Unvergessen, wie Merkel Ende 2015 auf einem CSUParteitag wie ein Schulmädchen Seehofers Belehrungen zu ihrer Flüchtlingspolitik ertragen musste.
Horst Seehofer, seines Zeichens Bundesinnenminister, und die CSU nehmen im Streit um die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze die Demontage, ja womöglich den Sturz der Kanzlerin in Kauf. Ein Christsozialer beklagte, Merkel wolle nicht kapieren, was im Land los sei. In den Wahlkreisen wachse die Wut. Einzelne CSUler drohten mit dem Bruch der Fraktionsgemeinschaft. Das erinnert an Zeiten, als zwischen Franz Josef Strauß und Helmut Kohl die Fetzen flogen. Doch der bayerische Löwe brüllt gern laut, aber er beißt selten zu. Bis Montag will die CSUSpitze nun warten, bevor sie Ernst macht. Merkel hat etwas Zeit gewonnen, um die CSU von einem Alleingang abzuhalten.
Andernfalls will Seehofer qua Amt die Bundespolizei anweisen, Flüchtlinge an den Grenzen zurückzuschicken. Würde er dies gegen den Willen der Kanzlerin tun, müsste sie ihn eigentlich entlassen. Damit wäre die Regierung am Ende. Ein Minister könne doch Maßnahmen ergreifen, während die Kanzlerin in Europa nach einer Lösung suche, heißt es aus der CDU. Das deutet darauf hin, dass beide Seiten die Hoffnung auf eine gemeinsame Linie noch nicht aufgegeben haben.