Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Koalition wegen Flüchtlingsstreit in Gefahr
Grund (CDU): Merkel soll Chance für Verhandlungen bekommen. Schneider (SPD): In 20 Jahren Bundestag so nicht erlebt
Die Frage, ob abgelehnte und nicht registrierte Flüchtlinge bereits an der Grenze abgewiesen werden sollen, spaltet die Union. Nachdem die CSU der CDU gestern ein Ultimatum stellte, wird ein Bruch der Koalition nicht mehr ausgeschlossen.
Der Thüringer Bundestagsabgeordnete Manfred Grund (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, appelliert, Kanzlerin Angela Merkel die Chance zu geben, in den nächsten zwei Wochen in Gesprächen mit den Nachbarländern Vereinbarungen darüber zu erzielen, dass bereits in den Nachbarländern registrierte Flüchtlinge wieder zurückgenommen werden, wenn sie nach der Registrierung nach Deutschland weiterreisen. „Ich bin für eine Kontrolle und Zurückweisung an unseren Außengrenzen“, sagt Grund der TLZ. Er hoffe aber auf eine europäische oder bilaterale Lösung mit den Nachbarländern, wie sie Merkel erreichen wolle. „Sollte das nicht gelingen, dann muss Deutschland selbst handeln und seine Außengrenzen schützen“, macht er unmissverständlich klar, dass die Kanzlerin nicht mehr länger als die zwei Wochen bis zum EU-Gipfel Zeit haben dürfte, den Unionsstreit zu befrieden.
Zumindest dann, wenn nicht Horst Seehofer seinen Masterplan, der die Zurückweisung an der deutschen Grenze vorsieht, per Ministererlass in Kraft setzt. „Die Situation ist kritisch“, sagt der Thüringer Abgeordnete Mark Hauptmann, der die Gruppe der Jungen Abgeordneten in der Unionsfraktion leitet. Er forderte beide Seiten auf, aufeinander zuzugehen. Gleichzeitig stellte er sich aber deutlich auf die Seite der CSU. Die Strategie der bayerischen Schwesterpartei, die anderen EU-Staaten wie Italien und Österreich stärker unter Druck zu setzen, sei richtig.
Merkel will aber keine nationale Vorfestlegung, um unbelastet auf EU-Ebene verhandeln zu können. Dies wird auch vom CDU-Abgeordneten Tankred Schipanski aus Gotha unterstützt. „Ich halte es nicht für sinnvoll, der Kanzlerin Konditionen aufzuzwingen, welche die Verhandlungsposition Deutschlands schwächen.“
Der gestrige Tag verlief im politischen Berlin besonders dramatisch. Die Sitzung des Bundestages musste wegen getrennter Sondersitzungen der Fraktionsgruppen von CDU und CSU für vier Stunden unterbrochen werden. „Das habe ich in 20 Jahren Bundestag so noch nicht erlebt“, sagt Carsten Schneider (SPD), 1. Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Der Erfurter macht klar: „Wir werden als SPD-Fraktion das machen, wofür wir gewählt sind.“Das sei eine europäische Lösung, die auch im Koalitionsvertrag stehe. Er habe den Eindruck, dass es bei der CDU und CSU längst nur noch um Machtfragen geht. „Wir als SPD sind der Stabilitätsanker. Die sollen das klären“, sagt Schneider.
Der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring rügt indes beide Seiten: „Dieser Streit schadet uns allen.“Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) habe inhaltlich recht, wenn er bestimmte Migranten gar nicht erst ins Land lassen wolle. Dies sei auch in der CDU Mehrheitsmeinung. „Gleichzeitig müssen wir aber der Kanzlerin die Zeit geben, das mit den Nachbarländern zu verhandeln“, sagt er.
Bundestagssitzung für Stunden unterbrochen