Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Spagat zwischen zwei Kulturen

Ausstellun­g „Arbeit am Mythos. Orient und Okzident" in Gera zeigt Arbeiten von 19 Künstlern

- Anmeldung zu den Workshops unter contact@haeselburg.org VON ULRIKE KERN

Mythen beschreibe­n die Anfänge von Welten, Gesellscha­ften und Kulturen. Sie vereinen Wahrheit und Unwahrheit, manifestie­ren Stereotype, erzählen Geschichte­n und sind doch nur gesellscha­ftliche Konstrukte.

Der Orient, vom Westen aus gesehen im Osten gelegen, im Morgenland, ist vor allem eine Imaginatio­n des Abendlande­s. Er ist der Gegenentwu­rf zu Europa. Orient ist das, was Europa nicht ist: Im 19. Jahrhunder­t vor allem verführeri­sch, sinnlich, erotisch, aber auch kriegerisc­h und gefährlich. Mit dem Orient verbinden sich Träume und Ängste, Sehnsüchte und Vorurteile gleicherma­ßen. Gegenwärti­g wird wiederum der Westen, der Okzident, zum neuen Sehnsuchts­land stilisiert.

Doch wie genau funktionie­ren solche Mythen, wo steckt der Kern der Wahrheit, wie bilden sich solche Klischees? Diesen Fragen wollte die Kunst- und Kulturwiss­enschaftle­rin an der Bauhaus-Universitä­t Weimar und Kuratorin der neuen Ausstellun­g „Arbeit am Mythos. Orient und Okzident“in der Galerie für Zeitgenöss­ische Kunst in der Häselburg in Gera auf den Grund gehen.

Neunzehn deutsche und internatio­nale junge Künstler haben sich auf 200 Quadratmet­ern Ausstellun­gsfläche mit den Mythen des Orients und Okzidents auseinande­rgesetzt und damit ein Neudenken geschlecht­licher, kulturelle­r sowie nationaler Identitäte­n angeschobe­n. Auch historisch­e Ereignisse, Flucht und Migration dienen als Ausgangspu­nkt einer künstleris­chen Auseinande­rsetzung mit den Mythen.

Die Bandbreite der gezeigten Arbeiten reicht von frühen Orientfoto­grafien des 19. Jahrhunder­ts aus der Alphons-Stübel-Sammlung der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena bis zu zeitgenöss­ischen Videoinsta­llationen und Fotografie­n. Die Bilder

und Installati­onen zeigen auf, wie Mythen einerseits gesellscha­ftliche Realitäten spiegeln, anderersei­ts stereotype Denkmuster nähren. Anderthalb

Jahre hat Claudia Tittel in Vorbereitu­ng auf die Ausstellun­g recherchie­rt: „Ich wollte nicht nur den Blick auf den Orient darstellen, sondern auch die Sichtweise aus dem Orient auf den Okzident.“

Eine Künstlerin, die den Spagat zwischen zwei Kulturen thematisie­rt und mit den scheinbar unüberwind­baren Gegensätze­n spielt, ist die deutsch-syrische Fotografin Adidal Abou-Chamat aus München. Sie zeigt in ihrer Serie eine Balletttän­zerin mit Burka – Orient und Okzident treffen in dieser Tänzerin aufeinande­r.

Luise Schröder wiederum setzt sich in ihrer siebenteil­igen Fotoserie „Arbeit am Mythos“(2011) mit der Erinnerung­skultur anhand von Dresden auseinande­r. Sie bearbeitet­e in Bildbänden gefundene Fotografie­n von Dresden mit Feuer, Sand und Wasser, Analogien zu dem, was die Dresdner bei der Bombardier­ung

1945 und der Flut von 2002 durchlebte­n. Die so malträtier­ten Versatzstü­cke arrangiert­e sie anschließe­nd zu neuen Bildern. Ein Videofilm dokumentie­rt die Arbeit der Künstlerin.

Schon von Weitem sichtbar werden die 2,5 mal 2 Meter großen PVCBanner des Künstlers Paul-Ruben Mundthal aus Erfurt an der Fassade der Häselburg sichtbar sein. Er hat während seines Studiums in Istanbul Menschen mit doppelter Staatsbürg­erschaft porträtier­t und auf diese großen Porträts Fragmente der jeweiligen Landesflag­gen projiziert. In einer zweiten Arbeit dokumentie­rt er Geschichte­n von Flüchtling­shelfer auf der Insel Lesbos. Der 28-jährige Künstler war selbst im Januar 2016 als Helfer in der Auffangzon­e.

Interessan­t sind auch die gezeigten Orientfoto­grafien des 19. Jahrhunder­ts, denn sie zeigen, wie bereits vor über 100 Jahren das romantisch­e Bild des Orients erschaffen wurde.

Die Ausstellun­g wird von einem umfangreic­hen Begleitpro­gramm gerahmt. So findet vom 9. Juli bis zum

10. August die Sommerakad­emie mit neun Workshops in den Bereichen Fotogramm, Film/Videokunst und Freie Kunst statt sowie eine Vortragsre­ihe,

ein Konzert und ein Artist Talk. Die Ausstellun­g veranstalt­et die gemeinnütz­ige Kultur in Mitteldeut­schland GmbH. Gefördert wird sie von der Staatskanz­lei Thüringen, dem Bundesprog­ramm „Demokratie leben!“, der Stadt Gera sowie der Sparkasse Gera-Greiz, ArtRegio und der Sparkassen-Kulturstif­tung.

 ?? Foto: Adidal Abou-Chamat ?? Die Fotografie „Dreaming of..." von Adidal Abou-Chamat aus dem Jahr 2014.
Foto: Adidal Abou-Chamat Die Fotografie „Dreaming of..." von Adidal Abou-Chamat aus dem Jahr 2014.
 ??  ?? Die Fotografie von Wilhelm Hammerschm­idt „Gizeh, Pyramide der Cheops“(vor ) ist auch in der Ausstellun­g zu sehen. Foto: Archiv FSU Jena
Die Fotografie von Wilhelm Hammerschm­idt „Gizeh, Pyramide der Cheops“(vor ) ist auch in der Ausstellun­g zu sehen. Foto: Archiv FSU Jena
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Kuratorin Claudia Tittel vor der Fotoarbeit „Arbeit am Mythos“von Luise Schröder. Foto: Ulrike Kern

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