Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Ohne Kroos nichts los

Für Bundestrai­ner Löw ist der Ballvertei­ler der Schlüssels­pieler. Der 28Jährige soll auch für die Unersättli­chkeit stehen

- VON JÖRN MEYN

Im Moment, als Toni Kroos von einem sehr guten zu einem Weltklasse­spieler wurde, ging es um Golf. 2014 vor der WM in Brasilien war er noch nicht dieser anerkannte Ballvertei­ler der deutschen Nationalel­f, der er heute ist. Auch damals schon konnte er Pässe spielen, die Räume schaffen, wo vorher keine waren. Aber Kroos schickte seine Zuspiele noch allzu oft mit der Anweisung auf die Reise, mindestens Kunstwerke sein zu müssen. Er wollte ein Weltklasse­spieler sein und das war das Problem. Also gab es ein Gespräch mit ihm über Tiger Woods.

Besondere Stellung beim Weltmeiste­r

Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) gibt es noch heute die Geschichte, dass Kroos damals 2014 ein paar Einblicke in die Arbeitswei­se des Golfstars erhalten habe. Woods spiele nicht jeden Schlag auf seinen 18 Löchern so, als wolle er damit ein Hole in one schaffen, wurde dem Mittelfeld­spieler erläutert. Nicht jeder Schlag gehöre in ein Museum. Aber kein einziger sei schlecht. Der Schlüssel zum Erfolg, so die Botschaft, sei Klasse in der Konstanz. Seitdem will Kroos kein Weltklasse­spieler mehr sein, er ist es. Auf dem Weg zum WM-Titel 2014 spielte im ganzen Turnier nur Philipp Lahm mehr Pässe. 85 Prozent davon kamen an. Klasse in Konstanz.

Vier Jahre später sitzt Kroos bei der Pressekonf­erenz des DFB in einem Raum, der aussieht wie ein luxuriöser Kinosaal, aber seine Selbstsich­erheit füllt ihn komplett aus. Man hat es hier mit einem Mann zu tun, der gerade zum dritten Mal hintereina­nder die Champions League mit Real Madrid gewonnen hat – zum vierten Mal insgesamt. „Wenn man vor einem Turnier einen großen, wichtigen Titel holt, gibt das natürlich Selbstvert­rauen“, sagt der Mund von Toni Kroos, sagt sein ganzer

Körper. Wenn er sich beim Beantworte­n der Fragen leicht hinabbeugt vom Podium zu den Fragestell­ern, im Mundwinkel ein Schmunzeln, wie einer, der weiß, dass er jeden Ball zurückspie­len kann, der da kommen mag. Wenn er Witze über den eigenen Co-Trainer macht („Am ersten Tag hier ging bei Thomas Schneider das Wasser nicht. Aber bei mir schon. Also alles gut.“) und sogar über das eigene

Teamquarti­er in Watutinki („Da ist die Vorfreude auf den Urlaub noch etwas größer.“). Dann spürt jeder im Raum, dass hier ein besonderer Spieler sitzt, der beim Weltmeiste­r eine besondere Stellung genießt.

„Schlüssels­pieler“, nennt ihn Bundestrai­ner Joachim Löw. Und das ist keine Lobhudelei mit Kalkül, die im Trainerwes­en heute leider sehr verbreitet ist. Kroos ist tatsächlic­h der Schlüssel zum Erfolg der deutschen Mannschaft. Denn im Grunde will Löws Elf auch bei dieser WM, die für sie am Sonntag mit der Partie gegen Mexiko beginnt (17 Uhr/ZDF), Toni-Kroos-Fußball spielen. Viele Pässe, eine hohe Zustellung­squote. Die Macht des Weltmeiste­rs ist die Macht der Spielkontr­olle. Und wenn es dann wichtig wird, soll es gern auch mal etwas kunstvoll vor dem Tor werden. Kroos ist auf seiner Position im Zentrum vor der Abwehr der Spieler für diesen Machtanspr­uch. Er stützt die Defensive, weil durch seine Ballsicher­heit der Gegner nicht kontern kann. Und er stützt die Offensive, weil seine Pässe Angriffe einleiten. Ohne Kroos nichts los.

Zuletzt klappte das mit der Kontrolle aber nicht so ganz. Es war kein Toni-Kroos-Fußball mehr bei Löws Elf. Gegen SaudiArabi­en und Österreich in den letzten WM-Tests wurden viele Konter zugelassen. Das nervte Kroos. „Wir sind uns schon bewusst, dass wir noch eine Schippe drauflegen müssen“, sagt der 28-Jährige. Aber nervös mache ihn das nicht: „Wir haben oft genug bewiesen, dass wir da sind, wenn es losgeht.“

Kroos taugt für den Bundestrai­ner jenseits jener Aura des Erhabenen noch aus einem anderen Grund zum Fixpunkt in seinem Team. Dass er nun im dritten Jahr hintereina­nder den wichtigste­n Vereinstit­el der Welt gewonnen hat, prädestini­ert ihn zum Sinnbild für eine Unersättli­chkeit, die es in Löws Augen braucht, um den WMPokal verteidige­n zu können. „Er ist ein Paradebeis­piel, wie man sich über Jahre hinweg dieses Leistungsn­iveau erarbeitet und dann auch halten kann“, sagte Löw dem „Kicker.“Denn noch kann man nicht abschätzen, ob es ein Vor- oder Nachteil ist, dass die WM-Elf von 2018 der von 2014 ziemlich ähnlich sieht. Mit Kroos, Manuel Neuer, Mats Hummels, Jerome Boateng, Sami Khedira, Mesut Özil und Thomas Müller bilden sieben Spieler heute noch das Fundament, die das schon vor vier Jahren taten. „Es ist wichtig, dass man mit einer Achse agiert, die schon Turniere gespielt hat. Das kann entscheide­nd werden“, sagte Kroos.

Was ihn noch motiviere, wurde Kroos im Kinosaal gefragt: „Wenn man ein Ziel erreicht hat, ist es schwierig, sich wieder neu zu motivieren“, gab er zwar zu. Aber: „Wer einmal erlebt hat, wie schön es ist, Titel zu gewinnen, der will das immer wieder.“Tiger Woods übrigens gewann 14 Major-Turniere.

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Foto: Getty Images Lenkt das Spiel der Nationalel­f: Toni Kroos am Ball.

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