Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Gülleorgel und Melkspinne
Die kuriosen LandmaschinenInstrumente erklingen bei den „Stelzenfestspielen bei Reuth“nahe Schleiz
Große landwirtschaftliche Geräte wie Güllesprüher oder Melkmaschinen faszinierten den Gewandhaus-Musiker Henry Schneider schon immer. Er konnte sich gut vorstellen, daraus Musikinstrumente zu bauen. In Erwin Stache und André Böhme fand er kongeniale Partner, und gemeinsam erfand das Trio so skurrile Instrumente wie Gülleorgel und Melkspinne. Selbst der „Sendung mit der Maus“war die Gülleorgel schon eine Sachgeschichte wert.
Zu erleben sind die urigen Musikinstrumente alljährlich zu den „Stelzenfestspielen bei Reuth“, wenn zum Auftakt in der Stelzener Festspielscheune die Landmaschinensinfonie zwei Mal hintereinander erklingt.
Am Freitag, 22. Juni, entern Schneider und Stache mit Gleichgesinnten wieder die Scheunenbühne. In diesem Jahr, kündigt Henry Schneider an, werde in der Landmaschinensinfonie dem Regenwurm gehuldigt. Im Vorfeld wurden dafür extra Kriechgeräusche der Würmer mit Spezialmikrofonen aufgenommen. „Das klingt wie ein Kratzen“, sagt der Begründer der Stelzenfestspiele. Der Regenwurm wird aber auch live zu erleben sein – via Kameraübertragung auf großer Leinwand.
Unabhängig von den wunderbar versponnenen Jahresthemen sind natürlich die Landmaschineninstrumente die Hauptakteure der Sinfonie. Die Gülleorgel wurde, wie der Name schon sagt, aus einem Güllesprüher konstruiert. Anstelle von übel riechendem Kuh- und Schweinedung wird nun Luft durch die Schläuche gepresst, um Orgelpfeifen zum klingen zu bringen. Gespielt wird das eindrucksvolle Instrument mit einer Klaviatur von der Bühne aus.
Auch die Melkspinne ist ein Orgelinstrument. Und auch hier dringt nicht Milch, sondern Luft durch die Schläuche. An jedem Ende befinden sich vier Zitzenbecher, an denen Milchflaschen angebracht wurden, die wiederum über kleine Orgelpfeifen verfügen.
Während die Gülleorgel imposant über der Bühne hängt, ist die Melkspinne in der Scheunenmitte wie eine Art intergalaktischer Kronleuchter in Szene gesetzt, der sich obendrein bewegen lässt und leuchten kann. „Die Luft kommt übrigens aus einem riesigen Kompressor und wird unterirdisch in die Festspielscheune geleitet“, sagt der gebürtige Vogtländer Henry Schneider. Der Kompressor stehe 100 Metern entfernt in einer anderen Scheune.
Das gigantische Hammerwerk, das die Balken der Scheune zum Beben bringen kann, wird ebenfalls mit Druckluft betrieben. Weitere großartige Erfindungen sind die fünf Akkordeons, deren Bälge von der Decke bis zum Boden reichen, oder die acht Kuckucksuhren, deren Kuckucksvögel verschiedene Töne singen oder husten können.
Insgesamt bieten die 1993 ins Leben gerufenen Stelzenfestspiele mehr als 20 Programmpunkte. Neben Konzerten, Ausstellungen und einem Fußballmatch wird es wieder eine Theaterinszenierung der Inselbühne Leipzig gemeinsam mit Behinderten der Wohnstätten Stelzen geben. Für Henry Schneider gehören die alle zwei Jahre stattfindenden Theaterproduktionen stets zu den Höhepunkten des Festivals. 2018 stehen „Die Irrfahrten des Odysseus“auf dem Programm.
Das Besondere der Stelzenfestspiele: International gefragte Künstler treten ohne Gage auf, und die Dorfbewohner beteiligen sich mit viel Herzblut an den Vorbereitungen und der Durchführung.
• Mehr Informationen zum Thema gibt es unter www.stelzenfestspiele.de