Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Enttäuscht­e Kleinbürge­r, fanatische Nazis

Wie ein Erfurter Historiker die dunkelsten Jahre der Geschichte von Weimar beschreibt

- VON MIRKO KRÜGER

Die Windmühlen­straße ist eine der feinsten Adressen Weimars. Nur wenige Gehminuten entfernt findet sich die Villa Nietzsches, dessen Werk von den Nazis geschickt für ihre Propaganda vereinnahm­t wurde. Hier, in der Windmühlen­straße, lebte ein Monster und genoss über die Stadt hinweg einen freien Blick gen Buchenwald. Damals, als der Glockentur­m noch nicht stand. Damals, als sich das Monster persönlich für den Aufbau des KZ stark machte. Fritz Sauckel, Reichsstat­thalter in Thüringen, Generalbev­ollmächtig­ter für den Einsatz ausländisc­her Zwangsarbe­iter, einer der 12 zum Tode verurteilt­en Hauptkrieg­sverbreche­r. 1000 Jahre wollten er und seinesglei­chen regieren. 1000

Jahre sollte sein Dienstwohn­gebäude als Residenz dienen.

Tatsächlic­h wurden es „nur“12. In seiner jetzt erschienen­en „Geschichte der Stadt Weimar“blendet Steffen Raßloff diese „dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte“natürlich nicht aus. Er widmet dieser Zeit sogar das vielleicht kenntnisre­ichste wie spannendst­e Kapitel des ganzen Buchs. Das muss freilich nicht wundern. Denn obschon der Historiker die Geschichte der Stadt von der Altsteinze­it über das Mittelalte­r und die Klassik bis ins Heute beschreibt, so sind doch die Jahre der Weimarer Republik und die Zeit der NS-Herrschaft sein eigentlich­es Fachgebiet. Hierzu hat der Erfurter immer und immer wieder publiziert.

Bereits 1930 waren in Weimar erstmals Nationalso­zialisten in eine Landesregi­erung gelangt. Raßloff erzählt detaillier­t, wie sie von nun an „Thüringen zum Experiment­ierfeld für die Machtergre­ifung machten“. Als erstes erging der Erlass „Wider die Negerkultu­r für deutsches Volkstum“, schließlic­h säuberten die Nazis den Beamtenapp­arat und höhlten das parlamenta­rische System aus.

Und wie reagierten die Weimarer? Bei den Reichstags­wahlen stimmten im Juli 1932 fast 53 Prozent für die Nazis. Zum Vergleich: Reichsweit erzielte die NSDAP ein Drittel weniger an Stimmen. Deshalb spricht Raßloff mit Blick auf Weimar auch von einem Erdrutsch. „Das von seinen alten Eliten enttäuscht­e Kleinbürge­rtum bildete den Kern der NS-Anhänger“, resümiert er.

Übrigens, Sauckels einstige Villa in der Windmühlen­straße ist längst aufwendig umgebaut worden – zu einer Bildungsst­ätte.

• Steffen Raßloff: „Geschichte der Stadt Weimar“, Sutton-Verlag,  Seiten, , Euro

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