Thüringische Landeszeitung (Gotha)
– groß gemacht
Landgraf Carl von Hessen-Kassel erfand vor 350 Jahren seine Heimat neu und brachte sie dank kluger Schachzüge sogar auf die europäische Landkarte
Wenn Wolfgang Schmelzer sich in Landgraf Carl verwandelt, schlüpft er in eine bronzefarbene Uniform, setzt sich einen Dreispitz auf die Wallemähne und streckt die Brust raus. Wer mächtig sein will, muss mächtig Eindruck machen. Das gilt für den Guide heute genauso wie für den hessischen Landgrafen Carl vor 350 Jahren. Der hat seine Heimat Hessen Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg „groß gedacht, groß gemacht“– so ist auch die Ausstellung im Museum Fridericianum in Kassel überschrieben.
Hessen-Kassel war damals ein immer noch vom Krieg gebeuteltes Land. Kaum 200000 Einwohner, Armut, desolate Wirtschaft, da brauchte es jemanden, der willens war, Hessen wieder groß zu machen. Das Erste und Wichtigste: Carl hat nie ein Toupet gebraucht, seine Mähne hatte der 17-fache Vater bis ins hohe Alter, und er mag etwas naserümpfend auf die Perückenträger am französischen Hof geblickt haben: Fake-Haar, pah!
Die Wasserspiele sind eines von Landgraf Carls Weltwundern
Der lange Krieg hatte gezeigt, dass gut ausgebildete Berufsarmeen den Volksheeren überlegen waren. Also brachte der clevere Carl 6000 Mann unter Waffen. Was Geld kostete – für Unterkunft, Verpflegung, Uniformen, Bewaffnung. Carls Konzept deshalb: ausleihen! Das hessische Berufsheer wurde zur Söldnertruppe für diverse europäische Mächte. Das brachte Geld ein und schuf Freunde.
Um als kleine Grafschaft, umgeben von europäischen Mächten wie Spanien, Frankreich oder Dänemark mithalten zu können, baute Carl. Größtes, sichtbarstes Zeichen seines Bemühens: der Herkules auf der Wilhelmshöhe. Er ist bis heute das Wahrzeichen von Kassel, und rund 150 Jahre lang war er mit seinen acht Metern die größte frei stehende Metallskulptur der Welt – ehe Hermann der Cherusker auf den Höhen des Teutoburger Waldes und Lady Liberty vor der Küste von New York ihm diesen Titel stahlen.
Darunter erstreckt sich der noch heute größte Bergpark der Welt, den man erwandern kann – am besten sonntags oder mittwochs. Denn dann kann man eines von Carls Weltwundern bestaunen: die Wasserspiele. Oben wird über Tag ein Bassin gefüllt, dann ergießen sich die Kaskaden langsam abwärts durch eine nie ganz fertiggestellte griechische Sagenwelt mit Wasserfällen im romantischen Ruinenstil bis hinunter zum Finale: der größten Fontäne der Welt ohne Pumpe. Sie katapultiert sich mit 8 Bar Druck in 50 Meter Höhe. Magisch, vor allem, wenn man bedenkt, dass das System weitgehend noch so funktioniert wie vor 300 Jahren.
Apropos Wasser: Nördlich von Kassel, dort wo die Diemel in die Weser mündet, liegt Bad Karlshafen. Vor gut 300 Jahren wurde diese Stadt auf dem Reißbrett entworfen: ein Weserhafen, umgeben von schmucken Handels- und Handwerkerhäusern für zugereiste Hugenotten, weiß gestrichen, und auf der Anhöhe ein Landschloss für Carl. Das wurde nie gebaut, aber rings um den Hafen, wo zuvor nur Sumpf war, steht heute das einmalige Ensemble einer barocken Planstadt. Statt eines Marktplatzes gibt es ein Hafenbecken, dazu ein paar Kanäle und diese Häuser, in denen die Hugenotten dann ihre neue Heimat fanden.
Im Hafenbecken entsteht eine Marina für Hobbyskipper
Heute ist Bad Karlshafen ein Ort, der seine Zukunft sucht. Nordhessen ist eine von Landflucht geprägte Gegend, das Idyll an der Weser seine neue Bestimmung. Das Städtchen sucht seine Zukunft als Touristenort. Hier kann man mit dem Wohnmobil direkt am Wasser parken, die Preise sind niedrig. Die Karlstherme mixt Badebetrieb und Salz zu purer Erholung. Durchs trockengelegte Hafenbecken wühlen sich derzeit Bagger: In anderthalb Jahren soll hier eine Marina entstehen, in der Hobbyskipper von der Weser anlegen können, hofft Marcus Dittrich, der Bürgermeister des 3000-Einwohner-Ortes. Für ihn gilt: Städte und Länder werden gemacht. Von Menschen. Bad Karlshafen, Karlsdorf, Karlshöhe und der Karlskanal zeugen davon, wie der Landgraf versuchte, seinem Land zu großer Geltung zu verhelfen. Um das zu zeigen, steckt Wolfgang Schmelzer gern in Uniform und wirft sich in die Brust: Auch wenn sein Alter Ego nie ein Fürst wurde, gilt für ihn: Hessen first!