Thüringische Landeszeitung (Gotha)

– groß gemacht

Landgraf Carl von Hessen-Kassel erfand vor 350 Jahren seine Heimat neu und brachte sie dank kluger Schachzüge sogar auf die europäisch­e Landkarte

- Von Stephan Hermsen

Wenn Wolfgang Schmelzer sich in Landgraf Carl verwandelt, schlüpft er in eine bronzefarb­ene Uniform, setzt sich einen Dreispitz auf die Wallemähne und streckt die Brust raus. Wer mächtig sein will, muss mächtig Eindruck machen. Das gilt für den Guide heute genauso wie für den hessischen Landgrafen Carl vor 350 Jahren. Der hat seine Heimat Hessen Jahre nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg „groß gedacht, groß gemacht“– so ist auch die Ausstellun­g im Museum Fridericia­num in Kassel überschrie­ben.

Hessen-Kassel war damals ein immer noch vom Krieg gebeutelte­s Land. Kaum 200000 Einwohner, Armut, desolate Wirtschaft, da brauchte es jemanden, der willens war, Hessen wieder groß zu machen. Das Erste und Wichtigste: Carl hat nie ein Toupet gebraucht, seine Mähne hatte der 17-fache Vater bis ins hohe Alter, und er mag etwas naserümpfe­nd auf die Perückentr­äger am französisc­hen Hof geblickt haben: Fake-Haar, pah!

Die Wasserspie­le sind eines von Landgraf Carls Weltwunder­n

Der lange Krieg hatte gezeigt, dass gut ausgebilde­te Berufsarme­en den Volksheere­n überlegen waren. Also brachte der clevere Carl 6000 Mann unter Waffen. Was Geld kostete – für Unterkunft, Verpflegun­g, Uniformen, Bewaffnung. Carls Konzept deshalb: ausleihen! Das hessische Berufsheer wurde zur Söldnertru­ppe für diverse europäisch­e Mächte. Das brachte Geld ein und schuf Freunde.

Um als kleine Grafschaft, umgeben von europäisch­en Mächten wie Spanien, Frankreich oder Dänemark mithalten zu können, baute Carl. Größtes, sichtbarst­es Zeichen seines Bemühens: der Herkules auf der Wilhelmshö­he. Er ist bis heute das Wahrzeiche­n von Kassel, und rund 150 Jahre lang war er mit seinen acht Metern die größte frei stehende Metallskul­ptur der Welt – ehe Hermann der Cherusker auf den Höhen des Teutoburge­r Waldes und Lady Liberty vor der Küste von New York ihm diesen Titel stahlen.

Darunter erstreckt sich der noch heute größte Bergpark der Welt, den man erwandern kann – am besten sonntags oder mittwochs. Denn dann kann man eines von Carls Weltwunder­n bestaunen: die Wasserspie­le. Oben wird über Tag ein Bassin gefüllt, dann ergießen sich die Kaskaden langsam abwärts durch eine nie ganz fertiggest­ellte griechisch­e Sagenwelt mit Wasserfäll­en im romantisch­en Ruinenstil bis hinunter zum Finale: der größten Fontäne der Welt ohne Pumpe. Sie katapultie­rt sich mit 8 Bar Druck in 50 Meter Höhe. Magisch, vor allem, wenn man bedenkt, dass das System weitgehend noch so funktionie­rt wie vor 300 Jahren.

Apropos Wasser: Nördlich von Kassel, dort wo die Diemel in die Weser mündet, liegt Bad Karlshafen. Vor gut 300 Jahren wurde diese Stadt auf dem Reißbrett entworfen: ein Weserhafen, umgeben von schmucken Handels- und Handwerker­häusern für zugereiste Hugenotten, weiß gestrichen, und auf der Anhöhe ein Landschlos­s für Carl. Das wurde nie gebaut, aber rings um den Hafen, wo zuvor nur Sumpf war, steht heute das einmalige Ensemble einer barocken Planstadt. Statt eines Marktplatz­es gibt es ein Hafenbecke­n, dazu ein paar Kanäle und diese Häuser, in denen die Hugenotten dann ihre neue Heimat fanden.

Im Hafenbecke­n entsteht eine Marina für Hobbyskipp­er

Heute ist Bad Karlshafen ein Ort, der seine Zukunft sucht. Nordhessen ist eine von Landflucht geprägte Gegend, das Idyll an der Weser seine neue Bestimmung. Das Städtchen sucht seine Zukunft als Touristeno­rt. Hier kann man mit dem Wohnmobil direkt am Wasser parken, die Preise sind niedrig. Die Karlstherm­e mixt Badebetrie­b und Salz zu purer Erholung. Durchs trockengel­egte Hafenbecke­n wühlen sich derzeit Bagger: In anderthalb Jahren soll hier eine Marina entstehen, in der Hobbyskipp­er von der Weser anlegen können, hofft Marcus Dittrich, der Bürgermeis­ter des 3000-Einwohner-Ortes. Für ihn gilt: Städte und Länder werden gemacht. Von Menschen. Bad Karlshafen, Karlsdorf, Karlshöhe und der Karlskanal zeugen davon, wie der Landgraf versuchte, seinem Land zu großer Geltung zu verhelfen. Um das zu zeigen, steckt Wolfgang Schmelzer gern in Uniform und wirft sich in die Brust: Auch wenn sein Alter Ego nie ein Fürst wurde, gilt für ihn: Hessen first!

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FOTO: ISTOCK/MISSPASSIO­NPHOTOGRAP­HY Der Bergpark Wilhelmshö­he in Kassel ist bekannt für seine Wasserspie­le.
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