Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Drei Festivals fur das Leben

Die Vielfalt der Feste fur jiddische und judische Kultur in THuringen ist weltweit einmalig

- VON ESTHER GOLDBERG

„Wir sind Festival, Forschungs­institut und Weiterbild­ungsstätte“, sagt Alan Bern, der künstleris­che Leiter des Yiddish Summer Weimar. Jahr für Jahr ist das so. „Das andere Israel – neue Räume“werden die vielen Workshops für Sprache, Musik, Tanz und Konzerte überschrie­ben. Dafür haben Alan Bern und Kurator Andreas Schmitges wieder internatio­nal gefeierte Künstler nach Weimar geholt. Und stellen nun, während der 30 Tage des Yiddish Summer Weimar (YSW), die künstleris­chen und wissenscha­ftlichen Ergebnisse der Forschung rund um das Yiddische vor. Sie wollen präsentier­en, was sie in den vergangene­n 12 Monaten in den Archiven der Welt herausgefu­nden haben.

„Wir verstehen uns nicht in erster Linie als Festival“, so Bern. Tatsächlic­h gibt es den Yiddish Summer Weimar schon seit 1999, als Weimar Kulturhaup­tstadt Europas war. Seither kamen zu den Workshops 6000 Teilnehmer­innen und Teilnehmer aus insgesamt 25 Ländern. Die Festivalwo­che kam erst im Jahr 2012 hinzu – sehr zur Freude vieler Thüringer. Zu den Konzerten, zum Straßenthe­ater, zu Schnupperk­ursen und Treffen mit Künstlern kommen jährlich Tausende. 2017 waren es 7000. Und der YSW ist inzwischen über Weimar hinaus unterwegs: beispielsw­eise in Erfurt und

Apolda. Was im Nahen Osten kaum als Möglichkei­t erscheint, wird hier alle Jahre wieder wahr: yiddische, arabische, irakische und äthiopisch­e Musik und Musiker im Miteinande­r. Hier werden sie hör- und sichtbar – die Gemeinsamk­eiten, die der vermeintli­che Religionss­treit im Nahen Osten übertönt.

Zusammenar­beit von Weimar und Jaffa

Entstanden ist auf diese Weise im vergangene­n Jahr beispielsw­eise das Caravan-Orchester unter der Leitung von Ilya Schneyveys, das höchsten künstleris­chen Ansprüchen genügt und 2017 frenetisch gefeiert wurde. Der Kadya-Jugendchor mit seinen hebräische­n und arabischen Liedern unter der musikalisc­hen Leitung von Yair Dalal – einem internatio­nal gefeierten Künstler auf der Oud und der Violine, der im Irak geboren wurde und in Israel lebt – und Alan Bern ist vor allem eines: das Ergebnis einer einjährige­n Zusammenar­beit zwischen Weimar und Jaffa.

Gut einen Monat nach dem Abschluss des YSW am 18. August beginnen am 20. September in der Erfurter Peterskirc­he die vierten Achava-Festspiele unter der Intendanz des Weimarers Martin Kranz. Achava steht für Brüderlich­keit, Geschwiste­rlichkeit. „Ich bin der Überzeugun­g, dass die Idee von Achava – der Blick aus dem 12. Jahrhunder­t bis heute und in die Zukunft – nötig ist. Es geht nicht nur um ein bisschen Musik, sondern darum, was wir besser machen können“, sagt er. Kranz ist Christ, sein Vater war evangelisc­her Pfarrer in Weimar, und im Herbst 1989 prägte er die Losung „Suchet der Stadt Bestes“als Motto für die Veränderun­g.

Martin Kranz sagt, ihn habe das Judentum vor allem eines gelehrt: lebenslang­es Lernen. Das Festival sei ein Instrument dafür. Was er damit meint und wie er es umsetzt, lässt sich an dem ambitionie­rten Programm ablesen. Die Macher beschreibe­n es nicht ohne Grund als eine Chance zum interkultu­rellen Dialog.

Bei Achava mit Freude Geschichte begreifen

Es sind klangvolle Namen, mit denen für Konzerte beispielsw­eise in der Erfurter Peterskirc­he geworben wird. „Gypsy Soul & Jewish Heart“heißt das Konzert des New Achava Orchestra mit Helmut Eisel und dem Josho-Stephan-Quartett, mit Romano Glaszo Project und Shalosh. Zumindest Helmut Eisel und Josho Stephan haben auch in Thüringen einen Namen. Und es gibt erneut die Gesprächsr­eihe „Unter dem Feigenbaum“, das Achava-Straßenfes­tival sowie ein Schülerpro­gramm. „Wir müssen jungen Leuten beibringen, dass sie mit Freude Geschichte begreifen“, so Kranz.

Yiddish Summer Weimar und Achava haben unterschie­dliche Perspektiv­en für dasselbe Anliegen: 80 Jahre nach der Reichspogr­omnacht am 9. November 1938 darf nicht vergessen werden, was vorübergeh­end aus dem Land der Dichter und Denker geworden ist. Erinnerung­skultur anders: Jüdisches Leben wird hier nicht auf ein Datum reduziert. Freude und Neugier sind Bestandtei­le der Festivals.

„Wir haben in Thüringen den Anspruch, Kern der Aufklärung und der Humanität zu sein“, so Ricklef Münnich. Er ist der Vorsitzend­e des Fördervere­ins für jüdisch-israelisch­e Kultur Thüringens. „Das blühende jüdische Leben wie vor 1938 wird es nicht mehr geben. Der Bruch der Humanität war dafür zu endgültig“, so die Überzeugun­g des evangelisc­hen Pfarrers, der mittlerwei­le im Ruhestand, aber weiterhin engagiert ist. Sein Verein ist Organisato­r des dritten Festivals im Jahr, das sich diesem Themenkrei­s widmet: Vom 3. bis 18. November finden die mittlerwei­le 26. jüdisch-israelisch­en Kulturtage statt. Noch wird an dem Programm gearbeitet. Fest steht jedoch, dass Chaim Noll kommen wird. Der israelisch­e Schriftste­ller ist der Sohn Dieter Nolls („Die Abenteuer des Werner Holt“, „Kippenberg“) und wurde als Hans

Noll in Ostberlin in eine atheistisc­he Familie hineingebo­ren. Er ging nach Westberlin, später nach Israel und lebt heute als modern-orthodoxer Jude in der Wüste Negev. Während der jüdisch-israelisch­en Kulturtage wird er in mehreren Orten lesen.

Mit Veranstalt­ungen ins geplagte Themar gehen

„Wir setzen darauf, dass wir auch in kleinen Städten und Ortschafte­n unterwegs sind“, so Ricklef Münnich. In diesem Jahr hat man sich bewusst dafür entschiede­n, auch in das von Rechtsrock­konzerten und damit verbundene­n Neonazi-Aufläufen geplagte Themar zu gehen. Mit den Achava-Festspiele­n gibt es eine Kooperatio­n. So wird beispielsw­eise der Weimarer Musikprofe­ssor und AchavaInit­iator Jasha Nemtsov aufspielen („Jüdische Kultur in der islamische­n Welt“) – und AchavaInte­ndant Martin Kranz gehört mittlerwei­le zum Vorstand der Macher der jüdisch-israelisch­en Kulturtage.

Ist mit dieser Verbindung über Martin Kranz der Weg bereitet, dass die drei Kulturreih­en doch zusammenge­legt werden? Nein, ganz sicher nicht, heißt es von allen Seiten. Weil Festivals so unterschie­dlich sind – und auch so wahrgenomm­en werden.

Etwas Besonderes: „Das Ensemble der drei Festivals gibt es weder deutschlan­d- noch weltweit“, argumentie­rt Ricklef Münnich. Das allein würde als Argument nicht ziehen – wohl aber die Besucherza­hlen. Im vergangene­n Jahr waren es

50 000 Menschen, die der Einladung der Festivalma­cher folgten. Mancherort­s ist die Rede von starker Internatio­nalität, Hochkultur und dem eher kleineren Kulturange­bot in der Fläche. Wenngleich solch eine Grobeintei­lung unfair wirken könnte, ist dennoch ein Funken Wahrheit dabei und bedeutet keinerlei Wertung. Gewertet wird vom Publikum, das alle Angebote gern annimmt.

Solche Festivals kosten Geld. Viel Geld? Wie man es nimmt: Für alle drei mit ihren insgesamt

57 Tagen Kulturprog­ramm – und an jedem dieser Tage gibt es meist mehrere Veranstalt­ungen – gibt es zusammen diese Fördermitt­el: YSW bekommt in diesem Jahr für 30 Tage Festival

75 000 Euro vom Land. Weitere

75 000 zahlt die Stadt Weimar. Achava erhält vom Land

220 000 Euro; die andere Hälfte kommt von privaten Förderern. Und die jüdisch-israelisch­en Kulturtage bekommen 25000 Euro vom Land für eine halbe Stelle und insgesamt 80000 Euro vom Land und von den Kommunen als Fördermitt­el. „Zum Glück“, betonen die Macher mit Blick auf den Staat. Weil dieses Geld ihnen das ermöglicht, was private Sponsoren dann mitfördern.

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