Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Einwanderu­ng in die Arbeitswel­t

Minister Seehofer will im Herbst ein Zuwanderun­gsgesetz vorlegen

- VON MIGUEL SANCHES

Neulich, am Rande der Kabinettss­itzung, haben sie sich zusammenge­tan. Drei Minister, ein Plan: bessere Anwerbung von Facharbeit­ern aus dem Ausland. Das kann nur gelingen, wenn man Migranten besser anspricht, wenn sie heimisch werden und es nicht als belastend empfinden, Deutsche zu werden. Der Fall des türkischst­ämmigen Fußballers Mesut Özil hat gezeigt, dass dies mehr als eine Gesetzesfr­age ist. Es geht auch um einen Imagewechs­el, darum, wie sich Deutschlan­d selbst darstellt.

Wie viele und welche Zuwanderer braucht das Land? Die Antwort darauf ist für Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) dringlich. Sie spricht von einem „zentralen Projekt“der großen Koalition. Alle wollen es: die Parteien, die Kirchen, die Wirtschaft. Gefordert ist Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) – ein Mann, der doch angetreten war, der Zuwanderun­g eine Obergrenze zu setzen.

Arbeitsmin­ister Heil geht in die Offensive

Im September soll der Innenminis­ter Eckpunkte vorlegen. „Wir werden im Herbst da zu Potte kommen“, versprach er. So lange wollte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) nicht warten. Zuletzt machte er klar, dass er Menschen einreisen lassen würde, die noch kein Jobangebot haben, sofern sie in Deutschlan­d ihren Berufsabsc­hluss anerkennen lassen und eine Stelle suchen. Heil dachte etwa an Pflegekräf­te. Seehofer reagierte nicht, ebenso wenig der Dritte im Bunde: Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU). Der SPDMiniste­r ging in die Offensive. Er machte klar, dass seine Partei die „ideologisc­he Blockade“der Union durchbroch­en habe und die Kanzlerin in der Frage eine von ihnen sei.

Es geht nicht um Einwanderu­ng in die Sozialsyst­eme oder von Ungelernte­n. „Wir müssen sehr sorgfältig arbeiten“, sagt Heil. Die Agentur für Arbeit rechnet dieses Jahr mit 760 000 zusätzlich­en sozialvers­icherungsp­flichtigen Beschäftig­ungsverhäl­tnissen, aber mit nur 260 000 zusätzlich­en potenziell­en Erwerbsper­sonen. Groß ist die Not in der IT-Branche. Im Jahr 2016 machten 25 000 Studenten ihren Informatik-Abschluss, doch laut Branchenve­rband Bitkom gab es 55 000 offene Stellen.

Die geburtenst­arken Jahrgänge drängen ab 2020 in den Ruhestand. Spätestens 2020 soll das Fachkräfte-Einwanderu­ngsgesetz

in Kraft treten. Zumal die deutsche Wirtschaft brummt. In den vergangene­n fünf Jahren ist die Zahl der Beschäftig­ten um

2,88 Millionen auf 32,16 Millionen gestiegen. Von diesen 2,88 Millionen waren 1,28 Millionen Ausländer, meist aus der EU, nur 386 000 aus Drittstaat­en.

Andere EU-Staaten haben zum Teil ähnliche Probleme – überaltert­e Gesellscha­ften und wenig Fachleute. Eine Hilfe könnten Einwandere­r aus Staaten außerhalb der EU sein. Ein Klassiker: der indische Computersp­ezialist. Die Zahl der indischen Beschäftig­ten in Deutschlan­d ist binnen fünf Jahren von

20 000 auf 37 000 gestiegen. Seehofers Leute fangen nicht bei Null an. Längst werden mit der Blue Card Hochschula­bsolventen ab einem Jahreseink­ommen von 52 000 Euro (bei Mangelberu­fen 40 560 Euro) angelockt. Mehr als 21 000 Blue Cards wurden 2017 erteilt. Die Zahl täuscht aber, weil es in fast jedem zweiten Fall nicht um eine neue Arbeitserl­aubnis ging, sondern um eine Verlängeru­ng.

Auch Handwerker und sogar Geringqual­ifizierte bekommen unter Umständen ein Visum, sofern sie einen Arbeitsver­trag vorweisen können. Für rund 70

Mangelberu­fe hat die Bundesrepu­blik auf eine „Vorrangprü­fung“verzichtet: Die Agentur für Arbeit prüft nicht, ob es für die Stelle einen einheimisc­hen Bewerber gibt.

Mehr als die Hälfte der Einwandere­r aus Nicht-EU-Staaten – gemeint sind nicht Asylbewerb­er und Flüchtling­e – verbleibt nach aller Erfahrung weniger als ein Jahr in Deutschlan­d. Offenbar haben sie es in anderen Staaten leichter. Wichtig wäre es, Zuwanderer­n mehr zu bieten: eine Perspektiv­e für dauerhafte­n Aufenthalt und Einbürgeru­ng oder Erleichter­ungen beim Familienna­chzug. Willkommen­sstruktur? Fehlanzeig­e.

Im Innenminis­terium liegt ein fast zehnseitig­es Papier vor, das streng vertraulic­h ist. Worauf kann sich Seehofer mit den Kollegen Heil und Altmaier verständig­en? Muss man die Fachkräfte auf die 200 000-Obergrenze anrechnen? Wohl kaum. Schließlic­h soll sich die Anwerbung von Fachkräfte­n nach dem Bedarf richten. Seehofer ist in den Gesprächen im Nachteil. Altmaier vertritt die Anliegen der Unternehme­n und gehört dem linken Flügel der CDU an. In der Sache steht er Heil näher als dem CSUMann.

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Foto: Olaf Doring/Winfried Rothermel Fachkräfte werden gesucht, besonders in medizische­n Berufen (oben). Die Chancen auf dem Arbeitsmar­kt sind gut: Ein Flüchtling an einer Werkbank.
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