Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Einwanderung in die Arbeitswelt
Minister Seehofer will im Herbst ein Zuwanderungsgesetz vorlegen
Neulich, am Rande der Kabinettssitzung, haben sie sich zusammengetan. Drei Minister, ein Plan: bessere Anwerbung von Facharbeitern aus dem Ausland. Das kann nur gelingen, wenn man Migranten besser anspricht, wenn sie heimisch werden und es nicht als belastend empfinden, Deutsche zu werden. Der Fall des türkischstämmigen Fußballers Mesut Özil hat gezeigt, dass dies mehr als eine Gesetzesfrage ist. Es geht auch um einen Imagewechsel, darum, wie sich Deutschland selbst darstellt.
Wie viele und welche Zuwanderer braucht das Land? Die Antwort darauf ist für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dringlich. Sie spricht von einem „zentralen Projekt“der großen Koalition. Alle wollen es: die Parteien, die Kirchen, die Wirtschaft. Gefordert ist Innenminister Horst Seehofer (CSU) – ein Mann, der doch angetreten war, der Zuwanderung eine Obergrenze zu setzen.
Arbeitsminister Heil geht in die Offensive
Im September soll der Innenminister Eckpunkte vorlegen. „Wir werden im Herbst da zu Potte kommen“, versprach er. So lange wollte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht warten. Zuletzt machte er klar, dass er Menschen einreisen lassen würde, die noch kein Jobangebot haben, sofern sie in Deutschland ihren Berufsabschluss anerkennen lassen und eine Stelle suchen. Heil dachte etwa an Pflegekräfte. Seehofer reagierte nicht, ebenso wenig der Dritte im Bunde: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Der SPDMinister ging in die Offensive. Er machte klar, dass seine Partei die „ideologische Blockade“der Union durchbrochen habe und die Kanzlerin in der Frage eine von ihnen sei.
Es geht nicht um Einwanderung in die Sozialsysteme oder von Ungelernten. „Wir müssen sehr sorgfältig arbeiten“, sagt Heil. Die Agentur für Arbeit rechnet dieses Jahr mit 760 000 zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, aber mit nur 260 000 zusätzlichen potenziellen Erwerbspersonen. Groß ist die Not in der IT-Branche. Im Jahr 2016 machten 25 000 Studenten ihren Informatik-Abschluss, doch laut Branchenverband Bitkom gab es 55 000 offene Stellen.
Die geburtenstarken Jahrgänge drängen ab 2020 in den Ruhestand. Spätestens 2020 soll das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz
in Kraft treten. Zumal die deutsche Wirtschaft brummt. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Beschäftigten um
2,88 Millionen auf 32,16 Millionen gestiegen. Von diesen 2,88 Millionen waren 1,28 Millionen Ausländer, meist aus der EU, nur 386 000 aus Drittstaaten.
Andere EU-Staaten haben zum Teil ähnliche Probleme – überalterte Gesellschaften und wenig Fachleute. Eine Hilfe könnten Einwanderer aus Staaten außerhalb der EU sein. Ein Klassiker: der indische Computerspezialist. Die Zahl der indischen Beschäftigten in Deutschland ist binnen fünf Jahren von
20 000 auf 37 000 gestiegen. Seehofers Leute fangen nicht bei Null an. Längst werden mit der Blue Card Hochschulabsolventen ab einem Jahreseinkommen von 52 000 Euro (bei Mangelberufen 40 560 Euro) angelockt. Mehr als 21 000 Blue Cards wurden 2017 erteilt. Die Zahl täuscht aber, weil es in fast jedem zweiten Fall nicht um eine neue Arbeitserlaubnis ging, sondern um eine Verlängerung.
Auch Handwerker und sogar Geringqualifizierte bekommen unter Umständen ein Visum, sofern sie einen Arbeitsvertrag vorweisen können. Für rund 70
Mangelberufe hat die Bundesrepublik auf eine „Vorrangprüfung“verzichtet: Die Agentur für Arbeit prüft nicht, ob es für die Stelle einen einheimischen Bewerber gibt.
Mehr als die Hälfte der Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten – gemeint sind nicht Asylbewerber und Flüchtlinge – verbleibt nach aller Erfahrung weniger als ein Jahr in Deutschland. Offenbar haben sie es in anderen Staaten leichter. Wichtig wäre es, Zuwanderern mehr zu bieten: eine Perspektive für dauerhaften Aufenthalt und Einbürgerung oder Erleichterungen beim Familiennachzug. Willkommensstruktur? Fehlanzeige.
Im Innenministerium liegt ein fast zehnseitiges Papier vor, das streng vertraulich ist. Worauf kann sich Seehofer mit den Kollegen Heil und Altmaier verständigen? Muss man die Fachkräfte auf die 200 000-Obergrenze anrechnen? Wohl kaum. Schließlich soll sich die Anwerbung von Fachkräften nach dem Bedarf richten. Seehofer ist in den Gesprächen im Nachteil. Altmaier vertritt die Anliegen der Unternehmen und gehört dem linken Flügel der CDU an. In der Sache steht er Heil näher als dem CSUMann.