Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Hackt jetzt jeder auf diesem Fußballer herum?
Sie haben Recht, die Hitze ist schwer auszuhalten – besonders hier auf dem Land.
Da wir immer noch nicht über Ihre Rolle in der JuliZehVerfilmung sprechen dürfen, wenden wir uns vielleicht mal dem Aufreger der Woche zu: dem Fußballer Mesut Özil. Ich verstehe es nicht.
Ich auch nicht.
Gut, dann fasse ich mal zusammen: DFBKritik an Özils ErdoganAnbiederung, RassismusVorwurf Özils gegen DFBBoss Reinhard Grindel, „Drecks“Vorwürfe von Uli Hoeneß gegen Özil... Hackt jetzt jeder auf diesem einen Fußballer herum?
Es gibt doch von dem großen Georg Büchner – damit wir in diese unsägliche Debatte mal ein bisschen Kultur reinbringen – den berühmten Satz: „Die Kategorien sind in der schändlichsten Verwirrung.“
Lustspiel „Leonce und Lena“, absurdes Theater!
Genau. Also, Sie sehen nicht durch, und ich sehe auch nicht durch, weil die Angelegenheit komplex und absurd ist. Aber was ich sehe, ist, dass sich da über Jahre unter dem Deckmantel des Integrationswillens, des großen Erfolges, den es ja mal gegeben hat, und dieser unbegründeten Euphorie vor der WM in Russland etwas angestaut hat. Erst ging Theo Zwanziger vom Acker, Wolfgang Niersbach ging vom Acker, „Kaiser“Beckenbauer wurde zurückgestuft, ist maximal noch Edelmann...
...und ist in Deckung gegangen.
Ja, Beckenbauer tauchte vollständig ab. Einige andere zogen die Köpfe ein, weil unkontrolliert Munition umherschwirrte, die sie auch noch hätte erwischen können. Damit fing’s an.
Sie sprechen jetzt nicht über die Fußballer.
Ich rede nur über die Führungsetage. Ich habe nicht das geringste Interesse, mich über Özil auszulassen. Die Stärken und Schwächen von Özil haben wir, glaube ich, schon mal ziemlich präzise herausgearbeitet. Außerdem –
Ist doch alles unglaublich, oder?
Sie wissen, ich denke manchmal ein bisschen anders – kann ich in dem Foto mit Erdogan keine weltdramatische Bedeutung entdecken, zumal die drei Fußballer türkischstämmig sind. Jeder Politiker schüttelte Erdogan herzlich die Hände, einschließlich Frau Merkel. Er ist ein Gesprächspartner und will immer noch in die EU. Da hätte ich mal die Kirche im Dorf gelassen und wäre mit einer gewissen weltmännischen Gelassenheit drüber hinweggegangen. Aber – schön deutsch reagiert. Frage: Würden wir, lieber Dr. Quilitzsch, jetzt darüber sprechen, wenn die deutsche Mannschaft ins Finale gekommen wäre?
Nein, alles wäre hübsch unter der Decke geblieben.
Möglicherweise hätte sich Özil auch ganz anders geäußert. Prekär ist ja nicht der Rassismus-Vorwurf – einen latenten Rassismus-Vorwurf kann man in Deutschland jederzeit jeder Behörde, jedem Verein gegenüber äußern, und man liegt selten ganz falsch. Das Schlimmste ist Özils Vorwurf der vollständigen Inkompetenz des Herrn Grindel. Ist das nicht komisch, dass ich immer dachte, der kann das nicht? Ich hatte immer das Gefühl, der ist eingesetzt worden, den hat man aus der Politik delegiert, damit der ins Wanken gekommene Riese DFB, der größte Verein Deutschlands, nicht zur Seite kippt und umfällt. Dass der überhaupt keine Persönlichkeitswerte hat, die ihn dafür prädestinieren, dieses Amt auszuüben, hat man offenbar nicht wahrgenommen. Jetzt kommt eben alles zusammen. Hoeneß hat gepoltert, die Politiker jeder Couleur haben sich positioniert – darüber wird man wieder zur Tagesordnung übergehen. Aber was wird aus dem deutschen Fußball? Was wird aus unserer Nationalmannschaft? Wie soll denn der ohnehin nicht mehr im Vollbesitz seiner Aura befindliche Joachim Löw weitermachen? Ich bin gespannt, wer diese Kategorien, die, wie wir eingangs sagten, in der schändlichsten Verwirrung sind, wieder zurechtrückt.