Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Falsche „Befehle“und vorgetäuschte Anrufe
Die Retter von Gotha 1945: Fliegerhauptmann Erich Wendler und sein Verhältnis zu Josef Ritter von Gadolla
Welche Männer und Frauen waren 1945 am Ende des Zweiten Weltkrieges außer Josef Gadolla beteiligt, dass Gotha kampflos übergeben wurde? In der Ausgabe am 17. Juli schrieb KlausDieter Simmen über Erich Wendler. Zu dem Piloten kann die Historikerin Helga Raschke viele weitere Informationen beisteuern. Hier Teil 2.
Während der Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht am 31. März davon faselte, dass feindliche Panzerspitzen nordwestlich von Hersfeld und Fulda zurückgeworfen wurden, überschritten die amerikanischen Truppen bereits am 1. April die Grenze von Thüringen. Am 3. April 1945 stand die 4. Panzerdivision des XX. Korps der Dritten amerikanischen Armee am Krahnberg und bei Goldbach in Bereitstellung zum Angriff auf Gotha. Seit den frühen Morgenstunden umkreisten britische Flugzeuge die Stadt. Um 10.10 Uhr heulten die Sirenen mit einem fünf Minuten lang anhaltenden Dauerton. Feindalarm! Zusätzlich mussten der Volkssturm und alle noch marschfähigen Verwundeten aus den Lazaretten in ihre vorgesehenen Kampfstellungen eilen.
Das Kommando von Hauptmann Wendler hatte Aufklärungsflüge über der Front geflogen. Um 13 Uhr fuhr Erich Wendler zum Kampfkommandanten Gadolla, dessen Befehlsstelle sich im Keller des Ostturmes von Schloss Friedenstein befand. Er berichtete über die Truppenstärke der amerikanischen Streitkräfte, die zum Angriff auf Gotha bei Goldbach und westlich des Krahnbergs die Stellung hielten. Außerdem griff er zu der Notlüge, dass die Ersatzteile für seine Flugzeuge nicht eingetroffen wären und die Staffel folglich nicht einsatzfähig wäre.
Danach verwirklichte Hauptmann Wendler seinen seit Wochen ausgedachten Plan, in den er Alfred Vogel (1895 -1963) eingeweiht hatte. Mit dem Sohn Gaston Vogel war er auf der Fliegerschule ausgebildet worden. Vermutlich hatte Gaston ihm gesagt, dass er sich in heiklen Fragen vertrauensvoll an seinen Vater wenden könne, der wie Wendler auch vor 1933 der SPD angehört hatte.
Eine entscheidende Wende in dem Kampf um Gotha brachte Wendlers Anruf bei Gadolla vom Peiler des Fliegerhorstes aus. Er meldete sich als Generalkommando Thüringen und befahl die Truppen auf die Linie Erfurt-Arnstadt zu verlegen. Er vermied, dass Gadolla eine Frage stellen konnte, indem er das weitere Gespräch sofort störte. Er war sich einigermaßen sicher, dass die sehr wagemutige Falschmeldung nicht von anderen gehört werden konnte.
In seinen Erinnerungen schrieb er dazu: „Da mir von Frl. Albert vom Fernamt Gotha durch Zufall versichert wurde, dass bei Feindalarm alle die Post verlassen werden, so hatte ich nicht zu befürchten, dass eine Verbindung nach Außerhalb im Ernstfall zustande kommen würde.“Wendler konnte sich also in die Leitung vom Fliegerhorst einschalten, „Befehle“durchgeben oder auch eine Verbindung stören.
Diesen Trick, falsche Befehle über diese Leitung zu vermitteln, hatte Wendler bereits einige Stunden vor der letzten Beratung bei Gadolla erfolgreich angewandt: Ein General vom Luftgau Dresden wollte die Verteidigungsbereitschaft der Fliegertruppen überprüfen. Um von den laufenden Sprengungen auf dem Flugplatz abzulenken, hatte Wendler ihm über den Peiler einen vorgetäuschten Anruf seiner höheren Dienststelle übermittelt. Und der General eilte nach Langensalza!
Nach dem falschen Befehl an Gadolla kehrte Wendler gegen 15.30 Uhr in den Keller des Ostturmes zurück und gab einen Lagebericht, dass mit jeder Minute der Angriff auf Gotha beginnen könnte. In seine Ausführungen griff Gadolla ein und sagte, dass Erfurt angerufen habe und die neue Auffanglinie Erfurt-Arnstadt sei.
Mit dem fingierten Anruf von Wendler war Gadolla in seiner Meinung über die Unmöglichkeit des Kampfes bestärkt worden. Nach eingehender Beratung mit den Abschnittskommandanten ließ er von diesen ein Protokoll über die aussichtslose militärische Lage verfassen. Darin hielten die Beteiligen fest, dass Gotha ohne schwere Waffen und die Luftwaffe nicht verteidigt werden kann. Beeinflusst durch diese Einschätzung konnte Gadolla auch den Verteidigungsausschuss bedrängen eine Erklärung zur Kapitulation abzugeben.
Einerseits bestand der „Führerbefehl“, nach dem Gotha ohne Rücksicht auf Verluste verteidigt werden sollte, andererseits zwang die militärische Überlegenheit der Alliierten zu einer Entscheidung der Vernunft und des Gewissens. Gadolla entschied sich für letzteres und musste die Zwangslage mit seinem Leben bezahlen.
In Leitung „Fliegerhorst“eingeschaltet