Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Avanti Dilettanti!
Da soll noch mal jemand sagen, in Thüringen sei nichts los.
Gleich dreimal stand der Freistaat jetzt im politischen Rampenlicht. Wobei in allen Fällen die Protagonisten wohl am liebsten im Erdboden versunken wären. Motto: Avanti Dilettanti! Aber der Reihe nach. Am Sonntag twittert Mike Mohring ein Foto. Darauf 18 Männer, die sich – bemüht lächelnd – um eine Dame gruppieren, deren Hände eine Raute bilden: Kanzlerin Angela Merkel inmitten der bundesdeutschen Unionsfraktionsvorsteher, einem mächtigen Gremium, dem Mohring vorsitzt.
Das Bild transportiert mindestens drei Botschaften:
1. Dunkle Anzüge sind bei Entscheidern jenseits der 40 immer noch der Renner.
2. Nur wer einen hellen Einreiher trägt (Mohring) darf auf Tuchfühlung mit Merkel gehen.
3. Auch Unionschristen können mehr Frauen in Spitzenpositionen vertragen.
So weit, so unverfänglich. Doch irgendwann wird Karl Lauterbach auf den Schnappschuss aufmerksam und zwitschert fröhlich-boshaft: „ Thüringens Innenministerium mit CDU Spitzen. Was fehlt hier aus der Sicht von 50% der Bevölkerung?“Der Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion geißelt – natürlich – die fehlende Weiblichkeit auf dem Foto. Dennoch hätte er besser geschwiegen. Als Erster meldet sich Parteifreund Georg Maier zu Wort: „Lieber Karl, ich bin der Innenminister des schönen Freistaates Thüringen und zugleich Mitglied der SPD. Weder ich noch Mitarbeiter*innen meines Ministeriums sind auf dem Bild. Ich bitte um Klarstellung.“Auch Mohring hat etwas beizutragen: „Lieber @Karl_Lauterbach zum twittern gehört auch Wissen um die Fakten, oder einfach die Finger still halten in der Welt der #Vorurteile.“
Aber Lauterbach ist nicht der Einzige, der sich in dieser Woche selbst ramponiert: Christian Carius, jüngst als Landtagspräsident zurückgetreten, gibt bekannt, dass er Lobbyist bei einem Autozulieferer wird. Der Weltmarktführer, den Carius aus seiner Ministerzeit kennt, hat einen auch großen Standort im Landkreis Sömmerda, wo Carius seinen Wahlkreis hat. Wann der CDU-Mann sein Mandat niederlegt, lässt er weiter offen. Der fliegende Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft hat ein Geschmäckle und ist ein Paradebeispiel, wie man auf die eigene Reputation und die Partei pfeift.
In letzterer Disziplin ist auch Friedrich Merz ein wahrer Meister. Der alte, neue Hoffnungsträger der CDU mit einer Vorliebe für Flugzeuge und Blasinstrumente betätigt sich als Hobbyturner: Seine ungelenke Rolle rückwärts in der „Ich-stelle- das-Grundrecht-auf-Asyl-infrage“-Debatte hätte kaum ein Populist besser hingekriegt. Ausgangspunkt der Merz‘schen Verbalakrobatik ist Seebach, wo die CDU zur Regionalkonferenz für ihr Vorsitzendenschaulaufen geladen hat. Als die Wartburgkreisgemeinde zuletzt in den Schlagzeilen war, hatte AfD-Chef Alexander Gauland Hitler und die Nazis als „Vogelschiss“in über 1000 Jahren deutscher Geschichte bezeichnet. Das beschauliche Seebach scheint für bestimmte politische Kräfte der ideale Ort des kalkulierten Tabubruchs zu sein.