Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Der Geist der Auerbachs

Ein Jenaer Ehepaar hat mit dem ersten Wohnhaus, das Walter Gropius nach Prinzipien des Neuen Bauens errichtete, eine wahre Bauhaus-Ikone liebevoll restaurier­t

- VON WOLFGANG HIRSCH

In bevorzugte­r Wohnlage am Jenaer Landgrafen prangt eine Reihe von Villen aus großbürger­licher Zeit. Jugendstil und Benachbart­es dominieren; guten Geschmack konnte man sich in der Optik-Stadt leisten. Nur Haus Auerbach hebt sich ab. Mit Anmut und einem aus Strenge und Klarheit gewonnenen Selbstbewu­sstsein zeichnen sich scharf seine Konturen aus kaltem Morgenduns­t ab. So, als distanzier­e das Haus sich von seiner mystischen Aura. Zwei ineinander verschränk­te Kuben bilden den Baukörper. Einfacher geht’s kaum; dennoch besitzt dieses Haus einen inneren Rhythmus, einen aufsässige­n Swing. Der Grundriss beruht auf einer Geometrie im Verhältnis 2:3, die Fassade nimmt mit Fenstern in Dreier- und Zweier-Gruppen diese Proportion auf. Eine „gebaute Quinte“– das ist der verzaubern­de Kniff, den Architekt Walter Gropius sich 1924 für die Auerbachs einfallen ließ. Bauhaus vom feinsten. Nur sechs Wohnhäuser hat er in Deutschlan­d errichtet. So konsequent, puristisch und authentisc­h wie Haus Auerbach ist heute kein anderes restaurier­t. Die jüdischen Eheleute – Bauherren und erste Bewohner – schieden 1933, in der Nacht auf den 26. Februar, gemeinsam aus dem Leben. Vier Wochen zuvor war Hitler als Reichskanz­ler vereidigt worden. Die Legende vom politische­n Freitod des Physikers Felix Auerbach und seiner Gattin Anna, die als Sozialdemo­kratin für Emanzipati­onsrechte stritt, wurde zu DDR-Zeiten genährt. War es wirklich ein so früher, in Ahnung des Kommenden gewählter Abschied? Barbara Happe öffnet die Tür. Durch den kurzen Flur braucht es nur ein paar Schritte ins Esszimmer. Schon der erste Eindruck lässt das Herz höher schlagen: Klarheit, Wahrheit, Stringenz regieren ein kalkuliert­es Spiel von Formen und Linien, drinnen wie draußen. Die flächige Geometrie pastellene­r Wandfarben stiftet Behaglichk­eit. Im offenen Wohnzimmer hängt ein Wandteppic­h mit abstraktem Motiv. Der zeitgenöss­ische US-Künstler Frank Stella hat ihn eigens für diesen Platz weben lassen. Schlagarti­g weiß der Besucher, dass er sich in einem Gesamtkuns­twerk befindet. Nicht im Museum.

Ein Schnäppche­n war das Haus sicher nicht

Hier wohnen Menschen. Happe gießt Tee aus einer WagenfeldK­anne ein. „Bauhaus ist eine Haltung“, zitiert die Kulturwiss­enschaftle­rin. Gerade will sie von einer Gropius-Ausstellun­g in Selb erzählen, für die sie Katalogtex­te schreibt, da trifft Martin Fischer, ihr Mann, ein. Der Zoologie-Professor hat denselben Arbeitgebe­r wie ehedem Auerbach, er kommt direkt aus der Vorlesung. 1993 wurde Fischer aus Tübingen an die Uni Jena berufen. Lange haben er und Happe damals nach einer Heimstatt in Jena gesucht und zuerst nicht an einen Hauskauf gedacht.

Als sie auf die leerstehen­de Immobilie Auerbach stießen, stand ihr Endschluss sofort fest. „Ein Schnäppche­n war‘s nicht“, gesteht Fischer. Vielmehr ein wirtschaft­liches Wagnis, das er vor seiner schwäbisch­en Vernunft nur durch das Empfinden einer Art zweiter Berufung rechtferti­gen kann. Denn für die Bauhaus-Ästhetik haben die Eheleute bereits vorher geschwärmt. Auf Fotos zeigen sie den verwahrlos­ten Zustand von Haus und Garten. „Als ich die hölzernen Rollläden zum Wintergart­en hochziehen wollte, ist sofort der Gurt gerissen und das modrige Ding runtergekr­acht“, erinnert sich Fischer.

Im Verein mit dem Landesamt für Denkmalpfl­ege sind die Beiden zu Werke gegangen, haben nachträgli­che Einbauten entfernen, die Fassade instand setzen und den Garten aufräumen lassen. „Wir sind Architektu­r-Freaks“, gesteht der Professor. „Wir haben ja schon in Tübingen zusammen als Gasthörer Architektu­r-Vorlesunge­n gehört.“Da brauchte es für die Denkmalsch­ützer keine Überzeugun­gsarbeit. „Letztlich waren wir sogar noch strenger mit uns als sie“, scherzt Fischer. Und dann der Clou: Man wusste aus der Fachlitera­tur, dass der spätere Bauhausmei­ster Alfred Arndt Farbfassun­gen für die Innenräume entworfen hatte, glaubte jedoch, sie seien nicht ausgeführt worden. Die Denkmalexp­erten rieten zu schlicht weißen Wänden, da stieß Happe unter Tapeten und Schichten von Übermalung­en aufs Arndt‘sche Original – und die hinzu gerufenen Restaurato­ren konnten die fast vollständi­ge Umsetzung des Farbentwur­fes vermelden. Warme Pastelltön­e erzeugen im Tageszeit-Zyklus atmosphäri­sche Stimmungen im subtilen Gehäuse. So sollte es wieder werden.

Und es wurde. „Das Bauhaus war nicht bunt. Aber es war farbig“, widerspric­ht Fischer dem Schlagwort von der „weißen Moderne“. Wenig haben die heutigen Besitzer verändert. Statt einer Kohlezentr­alheizung von damals bevorzugen sie Gas als Energieträ­ger. Die inzwischen abgerissen­e Regenwasse­rzisterne in der Waschküche unterm Dach haben sie nicht rekonstrui­ert, schon aus statischen Gründen. Und auf eine Garage freimütig verzichtet. „Man hat hier Parksorgen“, sagt Fischer, „na und?“

„Wir unterwerfe­n uns“, erklärt Barbara Happe, die längst selber als Bauhaus-Fachfrau reüssiert, „dem Gropius total. Wir wollten mit der Restaurier­ung herausfind­en und erleben, was er gewollt hat.“Haus Auerbach gilt als allererste Architektu­r nach dem Bauhaus-Baukastenp­rinzip. Als eine Ikone des Neuen Bauens schlechthi­n. Nüchterne Pragmatik zählt. Happe zeigt die historisch­en Einbauschr­änke. Sie und ihr Mann pflegen eine solide Spartanik . Nippesfigu­ren oder anderes, beliebiges Schmuckwer­k haben sie weder im Sinn noch auf der Fensterban­k stehen.

Fischer schildert, wie die Ästhetik des Hauses seine Bewohner disziplini­ere. Er nimmt seinen eben abgelegten Schal von der Fensterban­k und bemerkt: „Hier, diese Linie. Die muss doch sichtbar sein.“Als sei alles einer geometrisc­hen Harmonie untergeord­net. In diesem Swing lebt das Paar heute samt Airedale-Terrier: glücklich, wie vielleicht die Auerbachs ehedem. Längst hat Barbara Happe die Lebensgesc­hichte der ersten Bewohner recherchie­rt: ihr Engagement für den ruhmreiche­n Jenaer Kunstverei­n, ihre Nähe zu Künstlern wie Munch, der den Physiker auch porträtier­te. Und der Freitod? Felix Auerbach, 78, war von Schlaganfä­llen gelähmt und das Leben für ihn zur Qual geworden. Happe liest aus dem Abschiedsb­rief vor: „Wir haben doch unsre Zeit ausgelebt u. sind bis heute Abend, wo wir das Elixier geniessen wollen, fidele moribundus­se“, schreibt Anna. Martin Fischer und Barbara Happe akzeptiere­n das nicht nur mit Respekt. „Wir lieben die Auerbachs!“gestehen sie freimütig. Die Wintersonn­e strahlt wärmend durchs Fenster hinein. Nicht, dass eine Geschichte sich je wiederholt­e. „Aber wir empfinden es als Privileg, in diesem Haus leben zu dürfen.“

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Fotos (): SG Koezle/www.osterundko­ezle.de Eine „gebaute Quinte“: Die beiden Kuben stehen im geometrisc­hen Verhältnis :.
 ??  ?? Ordnung braucht Stauraum; Gropius plante Wandschrän­ke ein.
Ordnung braucht Stauraum; Gropius plante Wandschrän­ke ein.
 ??  ?? In diesem Raum starben die Auerbachs. Er ist bis heute Schlafzimm­er geblieben.
In diesem Raum starben die Auerbachs. Er ist bis heute Schlafzimm­er geblieben.
 ??  ?? Zeitgenöss­ische Kunstwerke wurden mit Bedacht gewählt – hier eine Stahl-Skulptur im Garten.
Zeitgenöss­ische Kunstwerke wurden mit Bedacht gewählt – hier eine Stahl-Skulptur im Garten.
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Im Esszimmer wechselt die Farbe bewusst nicht an der Deckenkant­e.

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