Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Der Kapitän verlässt die Brücke
Peter Gerwinat übergibt die Fahrgastschifffahrt am Hohenwarte-Stausee an neuen Besitzer
Nebel verhüllt die Staumauer, die Höhen über dem Hohenwarte-Stausee grüßen mit dem ersten Weiß. Im Kassenhäuschen der Fahrgastschifffahrt setzt Peter Gerwinat die Teetasse ab, lauscht in die Stille. Schon einige Jahre, sagt er, habe er darauf hingearbeitet, das Unternehmen zu übergeben: „Man muss auch loslassen können. Jetzt bin ich soweit.“
Ja, nickt Gerwinat, er habe endlich einen Investor gefunden, jemanden aus der Region, zwar nicht direkt aus der maritimen Branche, aber mit Gastronomie-Erfahrung, die Verhandlungen seien auf gutem Weg. Im Frühjahr, bevor „Saaleland“, „Saaletal“und „Hohenwarte“wieder in See stechen, werde sich der neue Eigner der Fahrgastschifffahrt vorstellen. Gerwinat auf immer an Land, mit 63 Jahren entschwunden von Steuerrad und Brücke? Kaum vorstellbar, wenn man doch seit Jahrzehnten sicher sein konnte, ihn zwischen Frühling und Herbst an jedem Tag und bei jedem Wetter an oder auf den Schiffen anzutreffen. Er, der erst als Hochsee-Matrose um die Welt schipperte und seit 1981 als Brigadier die Außenstelle Hohenwarte des KraftverkehrKombinatsbetriebes Schleiz führte, dessen Saalfelder Wohnhaus von seemännischem Zierrat umgeben ist, will sich fürderhin als Landratte bescheiden?
„Seefahrt ist harte Arbeit“, erklärt Gerwinat. Erst die zwölfbis 18-Stunden-Schichten als Matrose, über halbe Jahre oder auch länger am Stück. Dann im Grunde das Gleiche auf der Talsperre, wenn zu DDR-Zeiten schon morgens um acht 500 Fahrgäste für die erste Tour anstanden und nach der Wende freie Tage während der Saison nicht in Frage kamen. Der Weg für die Passagiere uferabwärts samt Stützmauer, Kasse und Schifferklause, Anleger und Tankstelle–allesmussteneuerrichtet oder zumindest grundlegend modernisiert werden. Von den praktisch fast nie ruhenden Arbeiten an den Schiffen ganz abgesehen. „Irgendwann spürt man das alles in den Knochen“, brummt Gerwinat.“
Seinem Nachfolger hinterlässt er ein gut bestelltes Haus. Nach vier Jahren leichter Steigerungen habe die diesjährige Saison noch einmal einen Umsatzsprung von etwa 15 Prozent gebracht, berichtet Gerwinat. Weniger wegen des langen und teils sehr warmen Sommers, sondern wegen des ungewöhnlich gut gefüllten Stausees. „Bis Anfang September hatten wir Höchstpegel, das gab es noch nie“, freut sich der Reeder noch immer. Bundesweit hingegen seien wegen der langen Trockenheit und niedriger Wasserstände die Passagierzahlen von Juni bis August um 15 Prozent eingebrochen.
Langfristig zahlten sich auch scheinbare Kleinigkeiten aus, resümiert Gerwinat. So zum Beispiel der breite Weg zum Anleger an der Staumauer hinunter. „Die Reiseveranstalter wissen, dass bei uns auch Leute mit Rollatoren gut aufs Schiff kommen, während anderswo schon Kinderwagen Probleme machen.“Selbst das tägliche Putzen aller Schiffsfenster punktet. Auf dem Brombachsee in Hessen fährt zwar seit 1999 ein toller Trimaran, der nach seinem Start auch viele vormalige Hohenwarte-Besucher abzog. Aber dort würden die Fenster nur einmal pro Woche gereinigt, was gerade in der Hauptsaison für Missfallen sorge. „Inzwischen kommen die Leute wieder lieber zu uns“, betont Gerwinat, der zudem einen klaren Vorteil darin sieht, mit seinen drei Schiffen sehr flexibel auf Schwankungen im Fahrgast-Aufkommen reagieren zu können.
Eine voraussichtlich 2019 in Kraft tretende Neuregelung könnte weiteren Schwung bringen, vor allem mehr Stabilität bei den Einnahmen: Demnach wird das Land wieder Linienfahrten auf den Talsperren und Flüssen derart bezuschussen, damit die reinen Betriebskosten auch bei nur wenigen Passagieren gedeckt werden – allerdings nur bei öffentlichen Aufgabenträgern, wie das Thüringer Verkehrsministerium auf OTZNachfrage konkretisiert. Gerwinat, dessen Schiffe von der Staumauer aus die Alterbucht und die Portenschmiede ansteuern, geht davon aus, dass diese Fahrten als Linienverkehr anerkannt und bezuschusst werden. Bis zu neun Mal täglich sollen sich in der nächsten Saison deshalb „Saaletal“oder „Hohenwarte“auf die Strecke begeben – und die bisherige Mindestzahl von zehn Passagieren entfällt.