Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„Von den Chinesen können wir lernen“
BASF-Chef Martin Brudermüller skizziert die Wachstumsmärkte des größten Chemiekonzerns – und seine Jobentwicklung
Seit einem halben Jahr steht Martin Brudermüller an der Spitze von BASF. Über die Pläne des größten Chemiekonzerns der Welt, Klimaschutz, Müllvermeidung und ein starken Europas sprach unsere Redaktion mit dem Vorstandschef.
Herr Brudermüller, ob Autos, Handys oder Windeln – Ihre Produkte stecken in fast jedem Alltagsgegenstand. Wie wichtig bleibt Chemie in der Zukunft?
Martin Brudermüller: Die Chemie ist sehr oft Innovationstreiber für die verarbeitende Industrie. Wir stoßen Fortschritte an. Unsere Produkte ermöglichen erst Verbesserungen – wie bei Displays von Handys oder Bauteilen für Autos der nächsten Generation. Deshalb bleibt die Chemie auch in Zukunft eine wichtige Industrie.
In welchen Bereichen sehen Sie die größten Chancen für Innovationen?
Wir sehen für viele Industrien Chancen. Nachhaltigkeit und der Klimawandel werden dabei eine große Rolle spielen. Immer mehr Kunden bitten uns um Mithilfe, ihre Produkte nachhaltiger zu machen.
Wie sieht Ihr Beitrag aus, damit Deutschland und die Industrieländer die Klimaziele erreichen?
Unsere Produkte helfen schon heute, Kohlendioxid einzusparen. Wir entwickeln moderne Batterien für die Elektromobilität und sorgen für leichtere Materialien beim Fahrzeugbau, was Treibstoff spart.
Welcher Schritt könnte den CO2-Ausstoß am schnellsten reduzieren?
Es gibt nicht den einen Hebel. Wir müssen an vielen Ecken ansetzen. Dazu zählt nicht nur die Industrie, sondern auch der Verkehr sowie Heizen und Klimaanlagen, was allein rund ein Drittel des CO2-Ausstoßes verursacht.
… und was tun Sie in Ihrem Haus?
Wir haben in den vergangenen drei Jahrzehnten unseren CO2Ausstoß halbiert, obwohl wir die Produktion verdoppelt haben. Nun kommen wir bei der Reduktion aber langsam an die Grenzen des technisch Machbaren. Dennoch haben wir uns das Ziel gesetzt, die Emissionen je produzierter Einheit weiter zu senken. Das heißt, wir wollen bis 2030 weiter wachsen, aber ohne insgesamt unseren CO2-Ausstoß zu erhöhen.
Plastik vermüllt die Meere. Sind Sie als Kunststoffhersteller nicht auch in der Pflicht, dies einzudämmen?
Das Problem muss schnell gelöst werden. Es handelt sich jedoch vor allem um ein Fehlverhalten derjenigen, die ihren Müll achtlos wegwerfen. Kunststoff an sich ist ein hervorragendes Material. Es hat viele Vorteile und ist aus unserem Leben kaum wegzudenken. Die Lösung des Problems hat viel mit gesellschaftlicher Verantwortung und der Erziehung zum Mülltrennen und Recyceln zu tun.
Zu wie viel Prozent ist Plastik wiederverwertbar?
Fast vollständig im Verbrauchsgüterbereich. Wir verfolgen mit „ChemCycling“ein Verfahren, bei dem Plastikmüll zu Öl verarbeitet und daraus wieder neuer Kunststoff wird. Aus dem recycelten Kunststoff können neue Produkte wie Kleidung oder Bauteile hergestellt werden – ohne Einbußen von Qualität!
Ihr Konzern produziert auch Saatgut. Wie lässt sich der Hunger in der Welt besser bekämpfen?
Wir müssen auf den beschränkten Landflächen höhere Erträge erzielen, um noch mehr Menschen zu ernähren. Dazu gehören effektives Saatgut, innovative Pflanzenschutzmittel und die gezielte Veränderung von Pflanzen, Martin Brudermüller hat sein ganzes Berufsleben in den Dienst von BASF gestellt. Der promovierte Chemiker begann seine Laufbahn in einem Labor des Konzerns am Stammsitz Ludwigshafen. Es folgten verschiedene Leitungsfunktionen, unter anderem in Hongkong. 2011 wurde er stellvertretender Vorstandschef, seit Mai steht der 57-Jährige an der Spitze des größten Chemiekonzerns der Welt. damit sie extremere Wetterbedingungen aushalten und weniger Wasser benötigen.
Steht die Debatte um Gentechnik in Europa dabei im Wege?
Die Verbote in Europa verhindern leider einen sinnvollen Einsatz von Gentechnik. Es gehen hier große Chancen für die Gesellschaft verloren. Die Forschung dazu findet heute im Ausland statt. Auch wir haben unsere Forschung zu gentechnisch modifizierten Organismen längst in die USA verlagern müssen. Das tut uns in Europa nicht gut. In der Forschung wandern hoch bezahlte Arbeitsplätze ins Ausland.
Inwieweit leidet Ihr Unternehmen unter Handelskonflikten?
Unsere Produkte werden überwiegend dort hergestellt, wo sie verkauft werden. Insofern treffen uns die Strafzölle noch nicht so sehr.
Was erwarten Sie von der Politik?
Als Vorstandschef und Bürger treibt mich persönlich die große Sorge um, dass Europa zu zerfallen droht. Wir bräuchten aber genau das Gegenteil. Die Welt ordnet sich gerade neu – und zwar zwischen China und den USA. Im Kräftemessen dieser beiden Machtblöcke braucht die Welt dringend einen Antipoden, und das wäre ein starkes Europa. Doch die Europäer stellen derzeit ihre Unterschiede statt das Verbindende heraus. Wir müssten aber mit einer starken europäischen Stimme sprechen – und die haben wir zurzeit nicht. Staaten im Alleingang haben keine Chancen. Deshalb mein Appell an die Politik: Kümmert euch um Europa!
Ihre Tochter Wintershall för- dert mit Gazprom gemeinsam Gas in Russland. Ist die Belieferung durch die RusslandSanktionen gefährdet?
Gazprom ist seit 30 Jahren ein absolut verlässlicher Geschäftspartner. Wenn es bei uns schnell kalt wurde und wir mehr Gas brauchten, war Gazprom das einzige Unternehmen, das schnell die Ventile öffnete, damit genügend Gas nach Deutschland kam. Auch in diesem Winter müssen wir nicht mit Gasengpässen rechnen.
Wo sind Ihre größten Wachstumsmärkte?
In 2030 wird 50 Prozent des Chemiebedarfs aus China kommen – also die Hälfte des Weltmarktes. Hier sehen wir unsere größten Wachstumsmöglichkeiten.
Was planen Sie für Deutschland?
Wir werden weiter in unseren Standort in Ludwigshafen investieren. Die Stellenzahl bleibt wohl auf dem hohem Niveau.
Wie schwierig ist es, Fachkräfte zu finden?
Für uns noch nicht, da wir als guter Arbeitgeber gelten. Dennoch: Ein Fachkräftezuwanderungsgesetz wäre nicht nur wünschenswert, sondern ist dringend notwendig, damit wir unser Wachstum nicht durch Arbeitskräftemangel ausbremsen.
Dies machen andere Länder wie die USA oder Australien bereits erfolgreich vor.
Was brauchen wir in Deutschland?
Wir brauchen langfristige Strategien für die Zukunft. Mehr Ausbildung, Forschung, Innovation. Die Infrastruktur muss verbessert werden. Wir brauchen mehr Dynamik bei Glasfasern, 5G oder künstlicher Intelligenz. Wir sind in Deutschland bei vielen Dingen gut im Reden, aber nicht im Handeln.
Es fehlt auch an langfristigen Ideen, die die gesamte Gesellschaft nach vorne bringen. Wir bleiben hier unter unseren Möglichkeiten. Von den Chinesen können wir lernen, wie man sich langfristig strategisch positioniert und die Ziele mit voller Kraft verfolgt.