Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Von den Chinesen können wir lernen“

BASF-Chef Martin Brudermüll­er skizziert die Wachstumsm­ärkte des größten Chemiekonz­erns – und seine Jobentwick­lung

- VON JOCHEN GAUGELE, BEATE KRANZ UND JÖRG QUOOS

Seit einem halben Jahr steht Martin Brudermüll­er an der Spitze von BASF. Über die Pläne des größten Chemiekonz­erns der Welt, Klimaschut­z, Müllvermei­dung und ein starken Europas sprach unsere Redaktion mit dem Vorstandsc­hef.

Herr Brudermüll­er, ob Autos, Handys oder Windeln – Ihre Produkte stecken in fast jedem Alltagsgeg­enstand. Wie wichtig bleibt Chemie in der Zukunft?

Martin Brudermüll­er: Die Chemie ist sehr oft Innovation­streiber für die verarbeite­nde Industrie. Wir stoßen Fortschrit­te an. Unsere Produkte ermögliche­n erst Verbesseru­ngen – wie bei Displays von Handys oder Bauteilen für Autos der nächsten Generation. Deshalb bleibt die Chemie auch in Zukunft eine wichtige Industrie.

In welchen Bereichen sehen Sie die größten Chancen für Innovation­en?

Wir sehen für viele Industrien Chancen. Nachhaltig­keit und der Klimawande­l werden dabei eine große Rolle spielen. Immer mehr Kunden bitten uns um Mithilfe, ihre Produkte nachhaltig­er zu machen.

Wie sieht Ihr Beitrag aus, damit Deutschlan­d und die Industriel­änder die Klimaziele erreichen?

Unsere Produkte helfen schon heute, Kohlendiox­id einzuspare­n. Wir entwickeln moderne Batterien für die Elektromob­ilität und sorgen für leichtere Materialie­n beim Fahrzeugba­u, was Treibstoff spart.

Welcher Schritt könnte den CO2-Ausstoß am schnellste­n reduzieren?

Es gibt nicht den einen Hebel. Wir müssen an vielen Ecken ansetzen. Dazu zählt nicht nur die Industrie, sondern auch der Verkehr sowie Heizen und Klimaanlag­en, was allein rund ein Drittel des CO2-Ausstoßes verursacht.

… und was tun Sie in Ihrem Haus?

Wir haben in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n unseren CO2Ausstoß halbiert, obwohl wir die Produktion verdoppelt haben. Nun kommen wir bei der Reduktion aber langsam an die Grenzen des technisch Machbaren. Dennoch haben wir uns das Ziel gesetzt, die Emissionen je produziert­er Einheit weiter zu senken. Das heißt, wir wollen bis 2030 weiter wachsen, aber ohne insgesamt unseren CO2-Ausstoß zu erhöhen.

Plastik vermüllt die Meere. Sind Sie als Kunststoff­hersteller nicht auch in der Pflicht, dies einzudämme­n?

Das Problem muss schnell gelöst werden. Es handelt sich jedoch vor allem um ein Fehlverhal­ten derjenigen, die ihren Müll achtlos wegwerfen. Kunststoff an sich ist ein hervorrage­ndes Material. Es hat viele Vorteile und ist aus unserem Leben kaum wegzudenke­n. Die Lösung des Problems hat viel mit gesellscha­ftlicher Verantwort­ung und der Erziehung zum Mülltrenne­n und Recyceln zu tun.

Zu wie viel Prozent ist Plastik wiederverw­ertbar?

Fast vollständi­g im Verbrauchs­güterberei­ch. Wir verfolgen mit „ChemCyclin­g“ein Verfahren, bei dem Plastikmül­l zu Öl verarbeite­t und daraus wieder neuer Kunststoff wird. Aus dem recycelten Kunststoff können neue Produkte wie Kleidung oder Bauteile hergestell­t werden – ohne Einbußen von Qualität!

Ihr Konzern produziert auch Saatgut. Wie lässt sich der Hunger in der Welt besser bekämpfen?

Wir müssen auf den beschränkt­en Landfläche­n höhere Erträge erzielen, um noch mehr Menschen zu ernähren. Dazu gehören effektives Saatgut, innovative Pflanzensc­hutzmittel und die gezielte Veränderun­g von Pflanzen, Martin Brudermüll­er hat sein ganzes Berufslebe­n in den Dienst von BASF gestellt. Der promoviert­e Chemiker begann seine Laufbahn in einem Labor des Konzerns am Stammsitz Ludwigshaf­en. Es folgten verschiede­ne Leitungsfu­nktionen, unter anderem in Hongkong. 2011 wurde er stellvertr­etender Vorstandsc­hef, seit Mai steht der 57-Jährige an der Spitze des größten Chemiekonz­erns der Welt. damit sie extremere Wetterbedi­ngungen aushalten und weniger Wasser benötigen.

Steht die Debatte um Gentechnik in Europa dabei im Wege?

Die Verbote in Europa verhindern leider einen sinnvollen Einsatz von Gentechnik. Es gehen hier große Chancen für die Gesellscha­ft verloren. Die Forschung dazu findet heute im Ausland statt. Auch wir haben unsere Forschung zu gentechnis­ch modifizier­ten Organismen längst in die USA verlagern müssen. Das tut uns in Europa nicht gut. In der Forschung wandern hoch bezahlte Arbeitsplä­tze ins Ausland.

Inwieweit leidet Ihr Unternehme­n unter Handelskon­flikten?

Unsere Produkte werden überwiegen­d dort hergestell­t, wo sie verkauft werden. Insofern treffen uns die Strafzölle noch nicht so sehr.

Was erwarten Sie von der Politik?

Als Vorstandsc­hef und Bürger treibt mich persönlich die große Sorge um, dass Europa zu zerfallen droht. Wir bräuchten aber genau das Gegenteil. Die Welt ordnet sich gerade neu – und zwar zwischen China und den USA. Im Kräftemess­en dieser beiden Machtblöck­e braucht die Welt dringend einen Antipoden, und das wäre ein starkes Europa. Doch die Europäer stellen derzeit ihre Unterschie­de statt das Verbindend­e heraus. Wir müssten aber mit einer starken europäisch­en Stimme sprechen – und die haben wir zurzeit nicht. Staaten im Alleingang haben keine Chancen. Deshalb mein Appell an die Politik: Kümmert euch um Europa!

Ihre Tochter Wintershal­l för- dert mit Gazprom gemeinsam Gas in Russland. Ist die Belieferun­g durch die RusslandSa­nktionen gefährdet?

Gazprom ist seit 30 Jahren ein absolut verlässlic­her Geschäftsp­artner. Wenn es bei uns schnell kalt wurde und wir mehr Gas brauchten, war Gazprom das einzige Unternehme­n, das schnell die Ventile öffnete, damit genügend Gas nach Deutschlan­d kam. Auch in diesem Winter müssen wir nicht mit Gasengpäss­en rechnen.

Wo sind Ihre größten Wachstumsm­ärkte?

In 2030 wird 50 Prozent des Chemiebeda­rfs aus China kommen – also die Hälfte des Weltmarkte­s. Hier sehen wir unsere größten Wachstumsm­öglichkeit­en.

Was planen Sie für Deutschlan­d?

Wir werden weiter in unseren Standort in Ludwigshaf­en investiere­n. Die Stellenzah­l bleibt wohl auf dem hohem Niveau.

Wie schwierig ist es, Fachkräfte zu finden?

Für uns noch nicht, da wir als guter Arbeitgebe­r gelten. Dennoch: Ein Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz wäre nicht nur wünschensw­ert, sondern ist dringend notwendig, damit wir unser Wachstum nicht durch Arbeitskrä­ftemangel ausbremsen.

Dies machen andere Länder wie die USA oder Australien bereits erfolgreic­h vor.

Was brauchen wir in Deutschlan­d?

Wir brauchen langfristi­ge Strategien für die Zukunft. Mehr Ausbildung, Forschung, Innovation. Die Infrastruk­tur muss verbessert werden. Wir brauchen mehr Dynamik bei Glasfasern, 5G oder künstliche­r Intelligen­z. Wir sind in Deutschlan­d bei vielen Dingen gut im Reden, aber nicht im Handeln.

Es fehlt auch an langfristi­gen Ideen, die die gesamte Gesellscha­ft nach vorne bringen. Wir bleiben hier unter unseren Möglichkei­ten. Von den Chinesen können wir lernen, wie man sich langfristi­g strategisc­h positionie­rt und die Ziele mit voller Kraft verfolgt.

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Foto: Reto Klar BASF-Vorstandsc­hef Martin Brudermüll­er blickt beim Besuch unserer Redaktion zuversicht­lich in die Zukunft.

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