Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Ein Roman ist noch kein Drehbuch
Von Alfred Döblin bis Hape Kerkeling: Neue deutsche Literaturverfilmungen werden beim Kino-Kongress in Erfurt vorgestellt
Über Alfred Döblins großen Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“schrieb Burhan Qurbani vor 18 Jahren eine Abiturarbeit. Er hat ihn daher „naturgemäß gehasst, über alle Maßen“und auch „komplett versagt.“Doch gab’s dann doch „diesen komischen Drang“, Döblins literarische Montage der Moderne durchdringen zu wollen. Längst in Berlin zu Hause, in der Neuköllner Hasenheide, machte es plötzlich Klick, so erzählt es Qurbani: im Austausch mit der schwarzafrikanischen Community nämlich, der er dort zwangsläufig begegnet.
Die vielleicht außergewöhnlichste Literaturverfilmung des Kinojahres 2019 stellte der deutsch-afghanische Regisseur am Freitag in Erfurt vor. Auf ihrem Kongress präsentierte die „Vision Kino“acht „kommende Filmproduktionen für die Bildung“. Sechs davon basieren auf Büchern. Aus Döblins Franz Biberkopf, der aus dem Gefängnis kommt und ein guter Mensch zu werden gedenkt, ist bei Qurbani Francis aus Afrika (Welket Bungué) geworden, der als Einziger ein Bootsunglück auf dem Mittelmeer überlebt. Qurbani hat sich den Roman von 1929 aber nicht „mit Ignoranz und Frechheit“geschnappt, wie er sagt, um von Flucht 2018 zu erzählen. „Es geht ums Ankommen.“Er spricht von Döblins Utopie, ein Subproletariat, das ungesehen ein paralleles Leben lebt, ins Bürgertum zu heben, vom „Bodensatz der Gesellschaft“in deren Mitte zu führen.
Qurbani bestätigte eine Erfahrung, die zuvor Drehbuchautorin Heide Schwochow beschrieb: „dass man nur sehr selten Dialoge aus den Romanen übernehmen kann“. Deshalb übernahm sie zwar den Geist und Geschmack von Siegfried Lenz, als sie aus dessen Roman „Deutschstunde“ein Drehbuch machte, schrieb aber alles neu: für Regisseur Christian Schwochow, ihren Sohn.
Wie „Berlin Alexanderplatz“ist auch die „Deutschstunde“von 1968 Teil des literarischen Kanons geworden, in diesem Fall als Nachkriegsliteratur zur NS-Diktatur. Die dreht sich um ein Malverbot gegen den Expressionisten Nansen, in dem man Emil Nolde zu erkennen meint. Heutzutage weiß man zwar von Noldes Existenz als verhinderter NSStaatsmaler und Antisemit. „Für uns ist das gar nicht Nolde“, sagt Heide Schwochow allerdings. Nansen sei bei Lenz „sogar die schwächste Figur, weil er alles richtig macht.“Um dem zu begegnen, besetzte man Tobias Moretti, der Abgründe und mindestens drei Ebenen spielen könne.
„Mit Trauerarbeit“verabschiedete sich Schwochow von Ebenen und Strängen des Romans. So gelangte sie, anders als Lenz, zum Kern einer „Missbrauchsgeschichte“: Jepsens zehnjähriger Sohn werde von allen Erwachsenen benutzt, und er wolle jedem gerecht werden, was Verrat am jeweils anderen bedeute. „Es ist ein Kammerspiel geworden.“„Groß und üppig“hingegen verfilmte Oscar-Gewinner Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher“) Hermann Hesses „Narziss und Goldmund“, im romantisierten Mittelalter verortet. Als Familienfilm, der am 2. Januar 2020 ins Kino kommt, verhandelt er die Frage eines jeden Halbwüchsigen, wo es soll mit ihm hingehen soll.
In der Tat sei es dabei eine Herausforderung gewesen, so die Producerin Lydia Elmer, sich mit Verlag und Erben über Werktreue zu unterhalten. Es brauche „einen gewissen Wiedererkennungswert“, müsse aber für ein heutiges Publikum bleiben. „Ziemlich viele Geschichten“aus drei Büchern, die Gerhard HoltzBaumert zwischen 1958 und 1995 über den Pechvogel „Alfons Zitterbacke“schrieb, hat Regisseur Mark Schlichter übernommen. Sein Film hat die DDR hinter sich gelassen und zum Beispiel Sigmund Jähn durch Alexander Gerst ersetzt, der auf der ISS eine Szene beisteuerte. Auch sonst ist das Ensemble illuster besetzt: Devid Striesow als Vater (und so zugleich erwachsen gewordener DDR-Alfons), Stephanie und Wolfgang Stumph, Katharina Thalbach, Olaf Schubert, Bürger Lars Dietrich. Schlichters Kinder hatten sich einst „totgelacht über das Buch und vor allem die Schallplatte“, jetzt soll seine Neuverfilmung im kommenden Frühjahr wohl Ähnliches erreichen. Und sie taugt auch als Betriebsanleitung für den Bau einer Wasserrakete. In die DDR zurück, genauer nach Leipzig 1989, führt die Zeichentrickverfilmung „Fritzi – eine Wendewundergeschichte“. Ralf Kukula erweitert darin Hanna Schotts Kinderbuch von 2009, das ihn „total angefixt“hatte. Der Film ist seitdem „das Projekt, an dem ich am meisten hänge, das am meisten mit mir zu tun hat.“Er erzählt von einem ganzen Land als Gefängnis, von Stasi, innerdeutscher Grenze und Ausreise, schließlich von friedlicher Revolution. Die Premiere findet am 7. Oktober 2019 in der Nikolaikirche Leipzig, statt, zwei Tage später ist Kinostart: 30 Jahre nach der großen Montagsdemo, die eine Wende brachte. Bereits dieses Jahr, am 25. Dezember, dem ersten Weihnachtstag, läuft „Der Junge muss an die frische Luft“an: Caroline Link verfilmte Hape Kerkelings Autobiografie, Ruth Toma schrieb das Drehbuch. Im Zentrum steht zwar ein Kind, der dickliche Hans-Peter, der im Ruhrgebiet versucht, seine depressive Mutter aufzuheitern, bis sie dann doch stirbt. Ein Kinderfilm ist das aber nicht, betont Toma. Ans Ende setzte sie originale Sätze, mit denen auch Kerkeling geendet hatte: „Ich bin meine Familie. Meine Familie spiegelt sich in mir.“