Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Ernst der Fromme als erster Sozialdemo­krat

Im Gothaer Tivoli wird die Neuauflage der Lebenserin­nerung von Wilhelm Bock vorgestell­t

- VON KLAUS-DIETER SIMMEN

Er zählt zu den Mitbegründ­ern der deutschen Sozialdemo­kratie, er hat die Arbeiterbe­wegung in Thüringen geprägt wie kein zweiter – Wilhelm Bock.

1927 legte der damals 81-Jährige seine Erinnerung­en vor, die jetzt in einer Neuauflage wieder erschienen sind. Die Herausgebe­r Steffen Arndt, Jörg Bischoff und Matthias Wenzel begnügten sich aber nicht mit dem bloßen Nachdruck einer lesenswert­en Autobiogra­fie. Sie ergänzten sie um Quellen, Bilder und Dokumente aus dem Staatsarch­iv Thüringen. So bekommt der Leser ein Buch in die Hand, das die Geschichte der Arbeiterbe­wegung und der Sozialdemo­kratie in Thüringen und darüber hinaus beleuchtet. Während in Preußen strenge Verfolgung sämtliche Bemühungen im Keim zu ersticken drohten, gestaltete sich die Situation in Thüringen gänzlich anders. Bei den Wahlen 1912 holten die Sozialdemo­kraten 50 Prozent der Stimmen. Die SPD in Thüringen ist die älteste in Deutschlan­d. Wie konnte sie sich dergestalt entwickeln, fragte Steffen Arndt. Und er hatte selbstrede­nd die Antwort parat. Weil nämlich mit Herzog Ernst dem Frommen das Land den ersten Sozialdemo­kraten vorweisen konnte. Was reichlich überspitzt ist, ist doch im Kern nicht von der Hand zu weisen. 1629, also noch vor seiner Regentscha­ft, bekam er das väterliche Erbe von stolzen 27.000 Gulden. Diese Summe wandelte der Herzog in eine Stiftung um, aus der nicht nur die Lehrer eine höhere Besoldung, sondern die Kinder auch Schulbüche­r finanziert bekamen. Diese Sozialund Bildungspo­litik, so Arndt, zieht sich wie eine Linie durch die Geschichte des Herzogtums.

Diese lange Geschichte bis hin zu den Sozialiste­ngesetzen im Deutschen Reich ist auch die Geschichte Wilhelm Bocks. Und er hat sie aufgeschri­eben, immer verknüpft mit seiner eigenen. Dankenswer­ter Weise enthält das Buch auch Reden von Wilhelm Bock, die in ihrer Eindringli­chkeit heute noch von Relevanz sind. Wie sehr, zeigten Ulrike Rommel und Jörg Bischof, die Ausschnitt­e aus ihnen vorlasen und kommentier­ten. Am Ende entspannte sich eine Diskussion, in der auch nach der Notwendigk­eit von Sozialdemo­kratie in der heutigen Zeit fragte. Was sie einst einte, nämlich der Kampf um bessere Lebensverh­ältnisse der Arbeitersc­haft, ist gegenstand­slos geworden. Michael Göring, Pfarrer aus Ingerslebe­n und Grünen-Politiker, fragte am Ende, was eine Person wie Wilhelm Bock den heute Lebenden noch zu geben vermag. Die Antwort war einfach: Der Sozialdemo­krat verkörpert­e jenen Typus Politiker, der sich durch Redlichkei­t, durch Prinzipien­treue und Glaubwürdi­gkeit auszeichne­te.

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